Fragenkatalog eines Rezensenten

Statt einer Rezension über Maximilian Dorners "Mein Dämon ist ein Stubenhocker"

Von Martin SpießRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Spieß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie schreibt man über ein Buch, in dem ein Mann Mitte 30 - der Münchner Lektor Maximilian Dorner - aus seinem Leben mit multipler Sklerose erzählt? Der erzählt, wie hart ihn die Diagnose traf, wie er aber feststellte, dass es ihm "abzüglich der durch die Krankheit verhagelten Tage - besser geht als vor Jahren"? Zitiert man Sätze wie den vorherigen, oder einen wie den folgenden? "Dass ich mehr in mir ruhe, leuchtete ihm noch ein wegen der Läuterung durch die Krankheit, aber nicht, dass Risse in der Existenz das durchschnittliche Glücksniveau nur vorübergehend absenken."

Wie spricht man über einen, der sich von der Diagnose MS nicht umwerfen lässt, der zwar - im wahrsten Sinne des Wortes - hin und wieder strauchelt und hinfällt, aber immer wieder aufsteht? Schreibt man Sätze, die mit Worten wie "trotz allem" beginnen oder enden? Lobt man seinen Schreibstil, seine Einstellung, irgendwie weiterzumachen, trotz allem? Eine Einstellung und einen Witz, der aus Sätzen wie dem folgenden spricht?

"Es ist elf Uhr dreißig am Samstagabend. Ich bin 34 Jahre alt. Statt in einer Bar zu trinken, zu flirten, abzuschleppen, zu tanzen, mit Fremden zu philosophieren, kauere ich mit krummem Rücken vor meinem Laptop und schreibe über Behindertentoiletten. Das ist behindert."

Nennt man den Autor tapfer, lebensmutig? Oder sollte man sich eine solch karitative Haltung verbieten? Sollte man Lorbeeren dafür verteilen, dass einer mit Behinderung genau das macht, was er vor der und ohne die Behinderung gemacht hat - mit der Einschränkung, dass er jetzt nicht mehr ohne Weiteres spazieren gehen, Treppen steigen, geschweige denn wandern oder tanzen kann? Kann man ernstlich etwas anderes schreiben, vor allem wenn der Autor selbst folgendes sagt?

"Ich bin 34 Jahre alt und kein lebendes Denkmal, das zu Allerseelen an die Türen klopft und mit rauer Stimmer flüstert: 'Sieh her, so wirst Du auch bald aussehen.' [... Niemand soll durch meinen Anblick an seine eigene Gebrechlichkeit erinnert werden. [...] Da ist mir die pragmatische Reaktion einer verschleiert dreinblickenden Dicken doch lieber, die gestern Abend abwechselnd auf meinen Stock und auf mich starrte. Entschuldigend sagte ich: 'Ich habe eine schwere Nervenkrankheit und kann nicht mehr ohne Stock gehen.' Sie brauchte ein paar Sekunden, um die Information zu verarbeiten. Man sah ihr förmlich an, wie sie mit sich rang, etwas Angemessenes zu erwidern. Schließlich entgegnete sie: 'Ach, wie unpraktisch. Gerade auf einer Stehparty.'"

Trotzdem - wie unterdrückt man das Gefühl der Bewunderung für so viel Optimismus? Oder ist das der falsche Weg, weil es nur menschlich ist, Menschen zu bewundern, die im Angesicht von Behinderung so tapfer, lebensmutig und noch viel mehr sind? Zum Beispiel eine so berührende - gleichsam witzige wie nachdenkliche, gleichsam wütende wie fröhliche - Schreibe ihr Eigen nennen?

"Ein Grundrecht des Menschen ist das auf Dankbarkeit. Wer sich bedankt, übt den aufrechten Gang, auch im Liegen oder Sitzen. Wer sich bedankt, hat akzeptiert, dass es ohne fremde Hilfe nicht geht."

Der sich im Anschluss an diesen Absatz bei Familie, Freunden, Passanten, Funktionären, Sozialpolitikern, Beamten, seiner Krankenkasse und den chinesischen Forschern, die das Medikament, das er sich spritzt, entwickelt haben, bedankt, in einer Art und Weise, die man nicht mit "trotz allem", sondern nur mit "gerade weil" beschreiben kann?

Aus dessen Zeilen soviel Herz spricht, dass man ihm wünscht, dass er nicht nur "der Typ mit dem Stock, sondern der mit den sanften Augen" ist? Hofft man, dass er es einem Rezensenten verzeiht, wenn dieser am Ende doch nicht um die Bewunderung herumgekommen ist?

Ja.

Und dass man einen Fragenkatalog auch mit einer Aussage schließen kann.


Titelbild

Maximilian Dorner: Mein Dämon ist ein Stubenhocker.
Zabert Sandmann Verlag, München 2008.
165 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783898831987

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