"Bin kein Breitwandstratege"

Zum Tod des Georg-Büchner-Preisträgers Peter Rühmkorf

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sein Werk bewegt sich "im Spannungsfeld politischer Wirkungs- und persönlicher Ausdrucksästhetik", hieß es 1993 in der Begründung der Jury anlässlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises. Schon 17 Jahre zuvor war Peter Rühmkorf von der Darmstädter Akademie ausgezeichnet worden - mit dem Johann-Heinrich Merck-Preis für literarische Kritik und Essay. Ein vielseitiger Dichter - eigenwillig, scharfzüngig bis zur beißenden Polemik, ein streitbarer Kämpfer, der das Wort als Waffe benutzte und der lange mit der Erfolglosigkeit seiner Werke haderte.

Peter Rühmkorf wurde am 25. Oktober 1929 in Dortmund-Hörde als Sohn einer Lehrerin und eines Puppenspielers (den er nie kennenlernte) geboren. Vom Vater scheint er die Affinität zur Gaukelei und zum spitzbübischen Hintersinn geerbt zu haben, von der Mutter den analytischen Blick. Er engagierte sich früh in einem Studententheater, veröffentlichte 1959 den Gedichtband "Irdisches Vergnügen in G" und war längst ein bekannter Autor, als er mit der 68er-Bewegung sympathisierte, ohne sich allerdings ideologisch vereinnahmen zu lassen.

Peter Rühmkorf, der auch als Lektor des Rowohlt Verlages und brillanter Essayist die Literaturszene mitgeprägt hat, sah sich selbst stets "als Aufklärer in kleinen Schritten."

Für literarisches Aufsehen sorgte 1972 das Erscheinen seines bis heute noch bekanntesten Buches "Die Jahre, die ihr kennt", das Ende der 1990er-Jahre noch einmal neu aufgelegt wurde.

"Ich bin kein epischer Stoffballenwälzer und kein Breitwandstratege", führt Rühmkorf beinahe entschuldigend aus, weil er nie den großen Zeitroman geschrieben hat, der von ihm verlangt worden war, sondern sich als Epiker immer auf das Textfragment beschränkt hat. Ein wenig Neid ob der Erfolge seiner Altersgenossen Günter Grass, Siegfried Lenz, Martin Walser und Hans Magnus Enzensberger klang unüberhörbar aus seinen Zeilen.

So dominierte in seinem letzten Tagebuchband "Tabu II" wieder der typische Rühmkorf-Tonfall - analytisch und polemisch, immer auf dem schmalen Grat zwischen beißender Gesellschaftskritik und trübsinniger Larmoyanz. "Hätte ein anderes Tagebuch schreiben sollen. Dieses kerbt nur Wunden nach und schleift unabgegoltene Ressentiments hinter sich her", notierte der Autor.

Eine "nette Harmoniegestalt", das hat Rühmkorf selbst einmal eingeräumt, wolle er nie werden. So gehörte auch er - ebenso wie sein Weggefährte Günter Grass - auch Anfang der 1990er-Jahre zu den Kritikern des rasanten deutschen Vereinigungsprozesses.

In seinen Gedichten, die zu den lesbarsten und dennoch prägnantesten der Nachkriegslyrik gehören, mischten sich stets Skepsis, Zuversicht, Humor und die Affinität zur Sprachspielerei zu einem ganz individuellen Duktus: "Keiner / ist alleiner / als in seinem lyrischen Einer", schrieb er einmal (sich selbst charakterisierend) auf einer Postkarte an den Frankfurter Kritiker Wolfram Schütte.

Peter Rühmkorf schien in Reim, Rhythmus und Aphorismus zu leben und zu denken. Einen visuell reizvollen Einblick in das Leben dieses liebenswerten Außenseiters, des "größten lebenden Vers-Virtuosen Deutschlands" (Enzensberger), gewährt der bei Steidl erschienene großformatige Text-Fotoband "Wenn ich mal richtig ICH sag...". In diesem Frühjahr war sein vielbeachteter Lyrikband "Paradiesvogelschiß" erschienen.

Eines der treffendsten Urteile über Rühmkorf fällte vor knapp 20 Jahren der Tübinger Rhetorik-Professor und Literaturkritiker Gert Ueding, als er nach Rühmkorfs gerade überstandener Bandscheibenoperation befand: "Auch wenn er liegt, ist seine Haltung aufrechter als die der meisten." Am 8. Juni 2008 ist Peter Rühmkorf im Alter von 78 Jahren an einem Krebsleiden gestorben.


Titelbild

Peter Rühmkorf: Paradiesvogelschiss. Gedichte.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2008.
142 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783498057824

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