Der, der die Stimme erhebt

Reden, Interviews und Theaterstücke von Erich Loest in einem Sammelband

Von Manuela LückRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manuela Lück

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hier bezieht jemand Stellung, mischt sich ein und hält an seiner Meinung fest. Erich Loest, der zu Recht immer wieder als Chronist der (ost-)deutschen Geschichte bezeichnet wird, verfällt auch im hohen Alter nicht einer falschen Sentimentalität und Nostalgie.

Der vorliegende Band "Einmal Exil und zurück" versammelt Reden, Interviews und zwei Theaterstücke, die eines immer wieder deutlich machen: Erich Loest ist kein bequemer Zeitgenosse und wird es sicher auch nicht mehr werden. Alle Reden, Interviews und Kommentare nehmen die historische und kulturelle Auseinandersetzung mit der DDR, besonders in Sachsen und dort vor allem in Leipzig, in Vergangenheit und Gegenwart in den Blick. Die Reden, zu verschiedenen Anlässen gehalten, sind Erinnerung und Er-Mahnung in einer Zeit, die oftmals ein besonders kurzes Gedächtnis zu haben scheint. In einer Gegenwart, die ihren eigenen historischen Ort in Europa, zwischen verschiedenen Erinnerungs- und Gedenkkulturen immer noch sucht, sind Chronisten und Zeitzeugen wie Erich Loest wichtiger denn je. Nicht etwa weil Loest einen historischen oder gesellschaftlichen Konsens herstellt, sondern weil er sich immer wieder einmischt, an Ereignisse erinnert, die einige versuchen zu verdrängen und zu vergessen. Er fügt Informationen hinzu, die andere beiläufig oder absichtlich weglassen, um ihr Bild von der Geschichte trag- und zukunftsfähig zu machen und stellt diesen seine Gedanken zum Thema gegenüber.

Im Mittelpunkt seiner Kritik an der Erinnerungs- und Gedenkpolitik der Stadt Leipzig und der Leipziger Universitätsleitung steht immer wieder der Streit um die Paulinerkirche und das in Zeiten des Sozialismus entstandene Relief, dass einige am selben Ort wiederaufgebaut sehen wollen. Erich Loest spart hier nicht mit Kritik, weiß er doch zu genau um die Gefahren des Vergessens und der historischen Uminterpretationen. Und zu Recht, möge man meinen, denn welche Gefahr lauert doch in einem Umdeuten der Geschichte, dem Sich-gefügig-machen. Wenn es jemand aus dieser Generation eindringlich erzählen und immer wieder daran erinnern kann, dann ist es Loest, der beide deutsche Diktaturen am eigenen Leib erfahren hat. Bindlings folgte er als Jugendlicher der Ideologie des Nationalsozialismus und war in den letzten Kriegstagen Mitglied des "Werwolfs", geriet Jahre später in den Konflikt mit den ideologischen Vorgaben des Sozialismus und musste dafür sieben Jahre Haft in Bautzen verbringen. Nach seiner Haftentlassung versuchte er erneut, als Schriftsteller Fuß zu fassen. Er verließ nach Auseinandersetzungen mit der DDR-Zensur um seinen Roman "Es geht seinen Gang oder die Mühen der Ebene" 1981 die DDR mit einem Dreijahresvisum und kehrte erst nach der Wende 1990 zurück. Für Loes der sich, trotz der Jahre am Rhein bis heute mit dem mitteldeutschen Kulturraum sehr verbunden fühlt, war die Übersiedlung in die Bundesrepublik trotz des gleichen Sprach- und Kulturraumes ein Heimatverlust. So spricht er schon 1984 davon, dass "mein Stoff in meiner alten kalten Heimat [liegt], und vielleicht bin ich doch im Exil". Mit den Ereignissen in Leipzig im Herbst 1989 und der gesellschaftlichen Wende eröffnet sich für Loest die Chance, nach Leipzig zurückzukehren. Diese Ereignisse zeichnet er auch in seinem bislang erfolgreichsten Roman "Nikolaikirche" nach.

Beigefügt sind diesem Band auch zwei Theaterstücke (Die Prahlerin, Ratzel speist im "Falco". Revolutionsstück), die genau diese Linie wiederaufnehmen. Zum einen das Stück, "Die Prahlerin", ein Gegenentwurf zu Stefan Hermlins Novelle "Die Kommandeuse". Hermlins Stück entsprach der offiziellen DDR-Interpretation des 17. Juni 1953 als "antifaschistischen" und von westlichen Agenten ausgelösten Putsches. Loests Theaterstück schreibt gegen diese ,Interpretation' an und beschreibt Erna Dorn, die Hauptperson des Stückes, nicht als faschistische Umstürzlerin, die den Aufstand in Halle nutzt, um dem Nationalsozialismus neue Macht zu verschaffen, sondern als Frau, die ihre eigene Geschichte immer wieder selbst neu erfindet. Erna Dorn hat es tatsächlich gegeben, ob und inwieweit sie im NS-System etabliert beziehungsweise integriert war, bleibt historisch unklar.

Das zweite Theaterstück, "Ratzel speist im ,Falco'. Revolutionsstück" ist eine Auseinandersetzung mit den früheren DDR-Kadern, die in der Zeit der Wende sehr schnell Möglichkeiten und Nischen für ihr Auskommen fanden und denen damals und heute jegliches Bewusstsein einer moralischen Schuld oder das Eingeständnis für das von ihnen verursachte Unrecht fehlt.

Alle Beiträge, die in diesem Band versammelt sind, kennzeichnet eines: Das Anschreiben gegen ein Vergessen und Beschönigen der DDR-Diktatur und ein immer wieder hervorgebrachtes Erinnern, das sicher an manchen Stellen wiederholend wirkt, aber Erich Loest ist geprägt durch sein Erleben, seine Erfahrungen, und dies veranlasst ihn, immer wieder Stellung zu beziehen und sich im Historischen zu verorten. Er spart auch den Schmerz und die Enttäuschung nicht aus, wenn er beschreibt, wie er feststellt, dass nahe Freunde ihn bespitzelt und verraten haben und auch nach Jahren nicht von ihren eigenen Lebenslügen lassen können. Dies sind die Momente, in denen die Texte über eine begleitende Chronistenrolle hinauswachsen und Einblick in eine persönliche Ebene erlauben, und hier bringt man Verständnis auf für den manchmal sehr nachhaltig angeschlagenen Ton.


Titelbild

Erich Loest: Einmal Exil und zurück.
Steidl Verlag, Göttingen 2008.
284 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783865216656

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