Gemeinsam sind wir stark

Robert Kagan mahnt die demokratischen Staaten zur Geschlossenheit in der Auseinandersetzung mit Autokratie und Islamismus

Von Josef BordatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Josef Bordat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist die entscheidende Frage der politischen Theorie und Praxis im beginnenden 21. Jahrhundert, die Robert Kagan im Untertitel seines Essays "Die Demokratie und ihre Feinde" stellt: "Wer gestaltet die neue Weltordnung?" Dieser ist eine andere Frage vorgelagert: Ist die "neue Weltordnung" eine neue Ordnung der alten, ewig gleichen Weltverhältnisse von Rivalität, Konflikt und Kampf, oder hat sich unsere Welt selbst geändert und eine neue Ordnung stellt sich damit gleichsam automatisch ein und braucht nur noch politologisch beschrieben und politisch gefestigt zu werden?

Nach dem Mauerfall und dem Ende der Sowjetunion konnte man genau diesen Eindruck haben, den Kagan, der den vermeintlich epochalen Umbruch als Mitglied des "Councils on Foreign Relations" im US-Außenministerium erlebte, jedoch gleich auf der ersten Seite ein "Trugbild" nennt. Er macht deutlich: Wir leben nicht in einer "neuen" Welt, die - ans "Ende der Geschichte" (Francis Fukuyama) vorgestoßen - friedlich und frei prosperiert. Die nationalstaatlich befeuerten Rivalitäten sind zwar andere als im 19. und 20. Jahrhundert, doch es gibt sie - stärker denn je. Das in den frühen 1990er-Jahren aufblitzende kantische Ideal eines globalen Föderalismus' von Republiken, die mit Waren statt mit Waffen zueinander kommen, ist längst wieder verblasst, geschluckt von der trüben Realität neu aufkeimender Rivalität: "Nationalismus und die Nation an sich sind heute alles andere als durch die Globalisierung geschwächt; sie kehren vielmehr mit Macht zurück."

Dieser treffenden Analyse der geopolitischen Gesamtsituation folgen zum Beleg Fallstudien zur jüngsten Geschichte der aufstrebenden Mächte: Russland, dessen "Liberalismus im Inneren ins Stocken geriet", um dann "ins Gegenteil" umzuschlagen ("dasselbe gilt für die Außenpolitik"), China, der "geopolitische und wirtschaftliche Riese", "Erzfeind" Japan, dessen wirtschaftliche und militärische Stärke man angesichts des China-Booms "leicht übersieht". Und dann gebe es noch zwei regionale Hegemonialstaaten: Indien und Iran. Während Indien "kein körperloses, im Äther schwebendes Callcenter" bilde, sondern "eine Nation aus Fleisch und Blut, mit allen Leidenschaften, Ressentiments und Ambitionen, die der menschlichen Seele eigen sind", mit einer ambitionierten Führung, die in den letzten Jahren strategisch von der "Macht des Arguments" zum "Argument der Macht" umgeschwenkt sei, sehe sich der Iran in der Tradition des alten Perserreichs und kultiviere "sein Gefühl der Überlegenheit, ja seine Arroganz und seinen Glauben an seine Bestimmung". Für all das sei er "in der Region berühmt". So verschieden diese Staaten sind, sie eine, so Kagan, allesamt das eine: der Wille zur Macht. Großmachtambitionen und Großmachtkalkül bestimmten ihre Politik.

Angesichts dieser Rückkehr des Großmachtnationalismus auf breiter Front und eingedenk der Gefahren von Autokratie und Islamismus gelangt Kagan schließlich zu einem flammenden Appell: Zusammenrücken, Demokraten! Freilich unter der Führung der USA, deren Rolle als "Sheriff wider Willen" er wohlwollend hervorhebt. Kagan teilt die Überzeugung vieler US-Amerikaner, dass die letzte Supermacht ihrem Selbstverständnis nach nicht gezielt ausrücke, um ihre Machtposition in der Welt zu festigen, sondern lediglich bei Bedarf eine Ordnungsfunktion ausübe und dabei "im Dienste der internationalen Gemeinschaft" stehe. Daher müsse diese verstärkt bei der Gestaltung der Ordnung mithelfen, statt zu kritisieren. Kagan will statt des US-Solos ein "Konzert der Demokratien", in das sich die anderen Nationalstaaten westlicher Provenienz harmonisch einbringen, statt im Publikum sitzend jeden Misston zu brandmarken. Die westlichen Demokratien sollten sich des Ernstes der Lage bewusst werden und gemeinsam "ihre Interessen und ihre Prinzipien in einer Welt, in der diese wieder einmal mit Macht angefochten werden, schützen und fördern", was nur dann nachhaltig gelinge, wenn "Multipolarität und Gleichberechtigung" das internationale System bestimmten.

Das ist die eine These. Die andere betrifft das Miteinander von "Interessen" und "Prinzipien" - Kagan ist ein Realist, der weiß, dass diese ohne jene nicht in die Welt getragen werden. Er betont, dass es zu diesem Realismus, bei dem die "guten" Nationalstaaten die "bösen" Nationalstaaten im Zaum halten, kaum eine echte Alternative gebe. Kagan stellt nämlich der UNO in ihrer jetzigen Verfassung kein gutes Zeugnis aus: der Sicherheitsrat sei "seit der Spaltung zwischen seinen autokratischen und seinen demokratischen Mitgliedern paralysiert", die Vereinten Nationen blieben insgesamt eine "Vision", ein "Ideal", das anzustreben zwar löblich, das aber als bloßes Konstrukt der Hoffnung auf eine bessere Welt nur wenig zweckdienlich sei, wenn es um die tatsächlichen geopolitischen Fragen geht, die sich hier und jetzt stellen. Eine UN-Reform wird zwischen den Zeilen angemahnt, um langfristig die momentan vorhandenen Mängel zu beheben, woher angesichts der pessimistischen Beurteilung allerdings die Kraft für diese Reform kommen soll, bleibt offen, ebenso wie die Frage, wie vor diesem Hintergrund die neueren Institutionen (Statut von Rom, Kyoto-Protokoll) und der Responsibility to protect-Ansatz zu bewerten sind - auch und gerade hinsichtlich der allseits abwehrenden Haltung der USA. Es verwundert, dass Kagan hier nicht tiefer bohrt, denn es drängt sich doch der Verdacht förmlich auf, dass der heutigen Schwäche der Vereinten Nationen eine gezielte systematische Schwächung durch die Vereinigten Staaten vorausging.

Wie passt das zu deren angeblich nur schwach ausgeprägten Weltmachtambitionen? Würde das Verhältnis von USA und UNO thematisiert, ergäben sich weitere Fragen: Stimmt es wirklich, dass der Sheriff stets zum Wohle des "global village" eingreift? Ist nicht die Tatsache, dass dabei mancher Schurke zur Strecke gebracht wird, eher ein Neben- beziehungsweise Zufallsprodukt? Sucht der Sheriff strategische Verbündete oder Hilfssheriffs? Darauf kommt Kagan nicht: Würde sich die Haltung der USA zu den Vereinten Nationen und ihren Bemühungen zum Besseren ändern, hätten wir wirklich die Chance auf eine effiziente und friedliche Weltordnung zum Wohle der meisten Menschen. Das wäre nicht nur ein echtes Novum, auch Kagans Konzert würde harmonischer klingen.

Ein noch weitreichenderes Problem ergibt sich aus Kagans Ansatz, der Dichotomie von Demokratie und (Noch-)Nicht-Demokratie in der Staatenwelt sowie der Bewertung dieser als negativ, jener hingegen als positiv. Die Demokratie ist bei Kagan die einzig wünschenswerte Konstitution eines Gemeinwesens, ihre Ausbreitung zu fördern daher ein hohes Gebot. Wer wollte widersprechen. Doch im Detail wird es schwierig. Der Verweis darauf, dass Weltherrschaftsphantasien russischer Gas-Oligarchen und iranischer Mullahs "absurd" sind, ist sicher richtig, doch das Thema Demokratisierung darf nicht auf das technische Wie begrenzt bleiben, sondern es muss auch über das Warum gesprochen werden. Denn es stellen sich Fragen: Ist jeder Demokratie-Skeptiker ein "Feind" der Demokratie? Muss denn am Wesen westlicher Demokratien die Welt genesen? Wo liegen die Grenzen der Einmischung? Wie viel Pluralismus müssen wir ertragen? Wer legt fest, ab wann ein Regime "autokratisch" oder "islamistisch" ist? Wieso wollen sich die Menschen offenbar nicht überall "unsere" Prinzipien zu eigen machen? Das sind hochinteressante Fragen. Sie werden in der etwas oberflächlichen Analyse nicht nur nicht beantwortet (das kann man nicht erwarten), sie werden erst gar nicht gestellt (das sollte man erwarten). Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit - das gilt nicht nur deskriptiv, sondern - in näher zu bestimmenden engen Grenzen - auch normativ.

Robert Kagans Buch "Die Demokratie und ihre Feinde" überzeugt mithin weniger durch Tiefgang, sondern mehr dadurch, in klarer Sprache einen guten Überblick zu verschaffen, der als Ausgangspunkt für die brennenden Fragen unserer Zeit genommen werden kann. Sein Verdienst ist ferner, gut begründet einen multipolaren Ansatz zu verfechten, der allerdings noch konsequenter weitergedacht werden muss. Seine Schlussfolgerungen aus der stimmigen Analyse sind im Grundsatz konsensfähig, sie müssen jedoch detaillierter betrachtet werden und sollten hinterfragt werden dürfen. Denn die Wirklichkeit ist komplizierter als es die Etiketten in diesem Beitrag zur geopolitischen Debatte vermuten lassen.


Titelbild

Robert Kagan: Die Demokratie und ihre Feinde. Wer gestaltet die neue Weltordnung?
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Thorsten Schmidt.
Siedler Verlag, München 2008.
128 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783886808908

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