Selbstverständliche Gewalt

Über Richard Milwards Teenager-Roman "Apples"

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Debütroman des 1984 geborenen Richard Milward erzählt vom Leben fünfzehn- und sechzehnjähriger Jugendlicher in einer eigentlich beliebigen nordenglischen Stadt. Zwei Protagonisten bestimmen die Handlung: Eve und Adam. Abwechselnd wird die Handlung des Buches aus ihren jeweiligen subjektiven Perspektiven geschildert. Adam ist eher zurückhaltend, sowohl in seinen Freizeitaktivitäten als auch in seiner Art, auf andere Menschen zuzugehen. Eve hat damit weniger Probleme. Ihr Problemhorizont erstreckt sich von der Frage nach dem nächsten Ausgehziel und dem nächsten abendlichen "Kick" bis hin zu ihrer krebskranken Mutter. Sie lässt sich treiben, von Tag zu Tag.

Der Spannungsbogen wird für den Leser durch die langsame Annäherung zwischen Adam und Eve gehalten. Während Eve Adam bestenfalls am Rande wahrnimmt, ist sie für ihn das Bild seiner Träume und Phantasien. Eves rauschhafter Alltag erlaubt nur vereinzelte klare Blicke auf ihre Umwelt. Betäubung, Drogen und Rumhängen bestimmen die "Sinnzusammenhänge" ihrer Wirklichkeit. Gewalt wird dabei resignativ akzeptiert und hingenommen. Auf einer Party wird Eve im Vollrausch vergewaltigt. Kaum mehr als ein "ungutes Gefühl" und ein wenig Unwillen bei ihr sind die Folgen. Offensichtlich eine unausweichliche "Nebenwirkung" der Partybesuche. Dass dabei der Vergewaltiger dieses Vorgehen als fast "normales" und allgemein akzeptiertes Verhalten beim "Annähern" an das andere Geschlecht in seinem sozialen Umfeld vermittelt, steckt den Rahmen der selbstverständlichen alltäglichen Gewalt ab. Ebenso ein unglücklicher Moment bei einem von Adams ersten "Ausgeh-Abenden": Unbegründet erweckt er den Unwillen eines Partygängers: er wird zusammengeschlagen, sein Kiefer ist gebrochen und das Gesicht von einer Flasche zerschnitten. Die spätere Begegnung zwischen ihm und dem Täter wird sich auf ein "Alles klar!" beschränken.

Milwards unspektakuläre Art, diese Wirklichkeiten zu schildern und seine seismografische Beobachtung der Befindlichkeiten seiner Protagonisten zeichnet ein erschreckendes Bild einer Generation von Teenagern. Er steht damit in der Nachfolge eines Bret Easton Ellis. Wie lapidar die Realität ist, wird deutlich, wenn Adam konstatiert: "Ich verdrückte noch ein paar Trauben und war insgesamt ganz guter Dinge. Meine Eltern würden mich ungern wieder aus dem Haus gehen lassen, aber das war mir mittlerweile scheißegal. Wenn ich nicht draußen verprügelt wurde, dann würde ich es zu Hause werden, und ich musste lernen, meine eigenen Fehler zu machen, statt mein ganzes Leben in Watte gepackt zu sein. Außerdem bekam ich wieder Taschengeld, wahrscheinlich aus Mitleid, weil ich so ein Versager war, es sah also gar nicht mal schlecht aus."

Dass in der Perspektivlosigkeit der Lebensentwürfe der Protagonisten immer wieder Hoffnung aufscheint, dafür sorgt Adam, der Loser, der dem Leser schnell ans Herz wächst. Seine Träume und die von ihm imaginierten Wunschbilder sind die eines großen Kindes, das an der Grenze zum Erwachsenenleben steht: "Zur Party eines wunderhübschen Mädchens zu gehen, war wie eine goldene Eintrittskarte in Willy Wonkas Schokoladenfabrik, und ich träumte von weißer Schokolade, als ich die Treppe hochstieg." Dass von Milward nicht nur Individuen gemeint sein könnten, darauf verweist vielleicht schon etwas zu plakativ die Adam-Eva-Namensgebung. Aber diese Intention schadet dem Buch denn letztendlich keineswegs, liefert die allgemeingültige Folie für die Akteure doch viel eher die Wirklichkeit.

Auf den letzten Seiten des Romans fährt Eve mit ihren Freundinnen und ihrer Mutter nach Mallorca. Eine der Freundinnen muss zuhause bleiben - sie hat zwischenzeitlich ein Kind bekommen. Mit dieser Situation überfordert, tötet sie ihr Kind, indem sie es von einer Brücke in einen Fluss wirft. Dies ist die Folie für die Schlussszene, in der Eve neben ihrer Freundin im Liegestuhl liegt und über sich und ihre Situation nachdenkt. Milward lässt einen Hoffnungsschimmer durchscheinen und Eve schließt mit seltsam entspannten Schlusssätzen den Roman: "Mein Magen rumorte - ich fragte mich, ob Sydney in mir drin mich auch liebte. Ich würde sie ganz bestimmt lieben. Und einen guten Daddy für sie finden." Ein Roman, der sprachlich und inhaltlich ein Zeitbild einer jungen Generation liefert - desillusioniert, aber auf den Punkt getroffen. Was kann man von Literatur mehr erwarten?


Titelbild

Richard Milward: Apples. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Nicolai Schweder-Schreiner.
Blumenbar Verlag, München 2008.
254 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783936738353

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