Brüste wie Mittelstreckenraketen

Verena Carls Roman "Irgendwie, irgendwann" gibt Rätsel auf

Von Thomas BlumRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Blum

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die pubertierende Lola, aus deren Perspektive hier erzählt wird, hat es nicht leicht. In den frühen achtziger Jahren in der Bundesrepublik aufzuwachsen, zwischen Dinkelflocken und dem Psycho-Blabla ihrer lesbischen Mutter und deren Freundin, ist kein Zuckerschlecken. Vor allem dann nicht, wenn der Atomtod praktisch kurz bevorsteht und das Mädchen sich überdies in einen Erwachsenen verliebt, den hypersensiblen, blonden Empfindsamkeitsschwätzer Anton.

Man ist schon allein wegen dieser Geschichte versucht, das Buch wegzuwerfen, bevor man einen Blick hineingeworfen hat. Doch dann kann man nicht widerstehen und liest ein wenig darin: "Kälte lag wie ein nasser Sack über der Landschaft." "Dennoch schien mein Körper im letzten Jahr über seine Grenzen zu treten wie Wasser über ein Bachbett." "Der Himmel hing tief an den Wipfeln, aufgeknüpft wie ein schmutziges Leintuch."

Hat man erst einmal genug von an Wipfeln aufgeknüpft hängenden Himmeln, wie Wasser übers Bachbett tretenden Körpern und "Wölkchen", die "wie Schneeberge im Himmel" sind, wendet man sich vom Landschaftsquatsch ab und den Personen zu, um zu prüfen, was das niederschmetternde sprachliche Unvermögen der Autorin noch so zu bieten hat. Und siehe da: "Eine Locke baumelte vor ihrem Gesicht wie eine Kinderschaukel aus Haar."

Was passiert noch? Personen, die lachen, werfen natürlich "dabei den Kopf in den Nacken". "Durch die geschlossenen Fensterläden drang Sonnenlicht ins Zimmer. Staubkörnchen tanzten vor meinen Augen." "Durch den Stoff meines Sweatshirts spürte ich die Wärme seiner Hand [...] auf eine verwirrende Weise fühlte sich alles richtig an." "Die Dinge waren gleichzeitig deutlich und undeutlich, nah und fern." "Sie hatte sich über mich gebeugt [...] und mir eine Hand auf die Schulter gelegt oder mich geküsst. Ich ließ es zu, aber wenn sich ihre Lippen meinem Gesicht näherten, hielt ich den Atem an."

Jeder Satz steht so da, als habe man ihn aus einem Brevier der abgegriffensten, verbrauchtesten und dümmsten Sätze der gesammelten deutschen Trivialliteratur abgeschrieben. Das Machwerk, das der Verlag ein "prallbuntes Panorama der achtziger Jahre" zu nennen beliebt und das, was seine sprachliche Finesse angeht, mit jedem Groschenroman konkurrieren kann, versammelt jedoch nicht nur Sprachrotz, sondern auch jedes Klischee über die so genannten "Neuen Sozialen Bewegungen" der Bundesrepublik der siebziger und achtziger Jahre, das von drittklassigen deutschen "Comedy"-Shows bereits hundertfach durchgenudelt wurde: die rigoros moralistische, verhärmte Kampflesbe mit Kurzhaarfrisur, Fasten und Schweigen für den Frieden, Biobrot in der Landkommune, Neue Innerlichkeit, Naturkult, Bhagwan, Esoterikquatsch und so weiter.

Über einen Satz rätselt der Rezensent noch immer: "Nichts würde bleiben, nichts als das Bild von Insa in einem kurzen Seidenmäntelchen, die spitzen Brüste auf mich gerichtet wie Mittelstreckenraketen." Das Beste an all dem scheint der Umstand zu sein, dass das Buch gar nicht komisch sein will.

Es ist erstaunlich, was man heutzutage alles einen "Roman" nennen darf.


Titelbild

Verena Carl: Irgendwie irgendwann. Roman.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
300 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783821858258

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