"Auf Vers-Wogen einherschwimmend"

Brecht und Laotse in einer kleinen, feinen Studie von Heinrich Detering

Von Laura WilfingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Laura Wilfinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Hat er was rausgekriegt?", fragt der Zöllner, allerdings "in einer heitren Regung", als Laotse auf dem Weg in die Emigration die Landesgrenze passieren will. Wenn einer keine "Kostbarkeiten" erarbeitet hat, die er nun verzollen könnte, sondern im Leben nur "gelehrt [hat]", erscheint die Frage nach dem "Ertrag" ironisch doppeldeutig. Wie alle aus der Legende und der Historie herbeizitierten Gestalten in Bertolt Brechts Figurenkabinett zeigt auch der Laotse, der "alte Weise", wie sein Name übersetzt lautet, als Protagonist der "Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration" mehrere Gesichter: Eines hatte den jungen Dichter schon früh angesprochen, weil es, so notiert er 1920 ins Tagebuch, "mit mir so sehr überein[stimmt]".

Heinrich Detering hat den Weg des legendären Begründers des Taoismus über die Brecht'schen Lektüren bis in die späten Gedichte hinein nachgezeichnet und dabei bekannte wie weniger bekannte Ana- und Genealogien aufgezeigt, die diese Studie auf eine sehr übersichtliche Weise zusammenstellt. Auf knapp hundert Seiten beleuchtet er ausgehend von der doppelten "Legende", nämlich einer von Brecht rezipierten und einer von ihm "produzierten", eine Auseinandersetzung mit einem Grundmotiv des Taoismus, die sich als eine "taoistische Unterströmung" bis in die poetologischen Verfahren hinein nachverfolgen lässt.

Mit der 1920 eingestandenen Faszination des "alten Weisen" gerät auch Brecht in den Bannkreis jenes "Mode-Philosophen" (Max Weber), dessen "Taoteking" in der 1911 erschienenen Übersetzung durch den Theologen und Sinologen Richard Wilhelm unter den deutschsprachigen Intellektuellen weite Kreise zog. Die Lehre vom Tao und dem Tê, dem metaphorisch mit dem steten Fließen des Wassers illustrierten "Weg" des Seins und der entsprechenden menschlichen Verhaltensweise (wörtlich: "Lebenskraft"), erhält durch Wilhelms Interpretation Züge einer christlichen Heilslehre, die "die chinesische Tradition [...] innerhalb einer christlich bestimmten Kultur verstehbar werden lassen." Wo Wilhelm - wie der Goethe'sche Faust das biblische logos - das Tao mit dem Wort "Sinn" übersetzt und die chinesische Weisheit in biblische Gleichnisrede kleidet, deutet sich der solcherart aufbereitete Taoismus als "modernitätskompatible Überbietung" des altbekannten christlichen Modells an, die vor allem in expressionistischen Kreisen auf fruchtbaren Boden fiel.

Neben Döblin mit seinem "chinesische[n] Roman" "Die drei Sprünge des Wang-lun" ist hier vor allem Klabund zu nennen, der mit seinen Dichtungen und Nachdichtungen chinesischer Lyrik "zu einem veritablen Bestsellerautor" wird, weil er die "lakonisch-bildhafte Sprache des Taoteking" und verwandter Texte in ein "verführerisch schönes Deutsch" zu übertragen versteht und dem kosmischen Weben des Tao eine poetische Gestalt verleiht. Auch bei Brecht, der sich zu dieser Zeit mit Klabund anfreundet, finden sich Spuren dieses taoistischen Gedankenguts, so etwa, wo es sich als Wu-wei, als "Nicht-Widerstreben" gegen jenes "anfangs- und endlose Strömen des fließenden Wassers" in einigen Gedichten der "Hauspostille" nachweisen lässt.

Dieses scheinbar programmatische "Nicht-Handeln", das dem Tê (als Verhaltensweise) und so auch dem Tao (als kosmische Allmacht) entspricht, birgt für den "angehenden" Marxisten jedoch einen problematischen Kern, den zu überwinden, so Detering in seiner Schlussbemerkung, weder Brecht selbst noch (zumindest bestimmte Bereiche) der Brecht-Forschung gelungen sei. Während sich Klabund auf die Position des "Herzensrevolutionär[s]" und damit vom aktiven Klassenkampf zurückzieht, hat sich Brecht noch einem anderen Lehrer verpflichtet: Lenin, mit dem der "Fluß der Dinge" jene historische, konkret umstürzlerische Bedeutung erhält, nach der, wie es im "Buch der Wendungen" heißt, nur vergeht, was auch "zum Vergehen gezwungen wird".

Als "Revolutionär" zeigt sich Brecht - und mit ihm sein Laotse auf dem Weg in die Emigration - erst nach einer "eingreifenden Änderung" an der ersten Fassung des Gedichts von 1938, die Detering hier noch einmal anschaulich nachzeichnet. Von entscheidender Bedeutung bleibt für ihn die Gleichzeitigkeit von taoistischer Nachgiebigkeit und dem klassenbewussten Auftreten des engagierten und in die Emigration gezwungenen Intellektuellen, der mit dem Subalternen buchstäblich das Interesse (nämlich: "wer wen besiegt") und infolgedessen auch sein Wissen teilt. Die eigentlich paradoxe Doppelrolle, die Brecht diesem "Verhaltenslehrer" zuschreibt, weist hier - das deutet der Autor nur an - auf das intellektuelle Selbstverständnis des emigrierten Dichters selbst zurück.

Wo Detering durch eine Analyse der metrischen Komposition das Fließen des Tao "an der Oberfläche des Textes" nachweist, wird, neben der erwiesenermaßen dauerhaften Faszination Brechts für das taoistische Grundmuster, ein charakteristisches Verfahren des "eingreifend Denkenden" kenntlich. Es beruht auf der mehrdeutigen "Entsprechung", wie sie Herr Keuner als eine der zitierten "Maßnahmen gegen die Gewalt" praktiziert: Hier lehrt er, wie man äußerlich scheinbar nachgibt und dabei innerlich jene Haltung bewahrt, die die Kraft zum endgültigen Widersprechen birgt. Eine Andeutung dieses "Wider-Spruchs" macht Detering in der "subtile[n] Balance von Norm und Abweichung" im Rhythmus des Gedichts aus, die die "Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration" als sprachliche Realisierung der in Strophe fünf paraphrasierten (und in ihrer Konsequenz allerdings "revolutionären") Lehre lesbar macht: "[...] daß das weiche Wasser in Bewegung / Mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt / Du verstehst, das Harte unterliegt."

Zwar geht auch diese Studie auf vorangegangene Publikationen und Vorträge des Autors zurück, doch ist in diesem Fall aus dem gesammelten Material ein gut lesbares - und übrigens tadellos lektoriertes - Büchlein entstanden. Nicht zuletzt aufgrund seiner Übersichtlichkeit und Detailfülle, die Brecht-Kennern wie Lesern, die es werden wollen, eine Vielzahl von Anregungen bereitstellt, darf es sich daher als - um mit Brecht zu sprechen - "brauchbarer" Beitrag zur immer fälligen Re-Interpretation des dichtenden Denkenden verstehen.


Titelbild

Heinrich Detering: Bertolt Brecht und Laotse.
Wallstein Verlag, Göttingen 2008.
111 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783835302662

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