Dem Papierkorb entkommen

Wenn Thomas Hürlimann in seinem Schreibmüll kramt, kommen "Geschichten und Gedanken am Rand" zum Vorschein

Von Christina LangnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Langner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1981 ist das Jahr der Gründung des Amman Verlags. Zur Eröffnung liest Thomas Hürliman aus seinem Erzählband "Die Tessinerin". Es ist Hürlimanns erstes veröffentlichtes Prosawerk und zugleich das erste Projekt des Amman Verlags. Diese bis heute haltende Verbindung war und ist für beide Seiten - den Autor und seinen Verlag - von erstaunlichem Erfolg begleitet: Hürlimann erhält den Aspekte-Literaturpreis, im Jahr darauf den Rauriser Literaturpreis und die SWR-Bestenliste führt seinen Band auf Platz 1. Der Amman Verlag hat sich im Laufe der Jahre als feststehende Größe in der Literaturszene etabliert und lässt nicht nur die Werke seines Gründungsautors immer wieder zuverlässig am Literaturhimmel funkeln.

In einer der kleinen Erzählungen des jüngst erschienenen Bändchens "Der Sprung in den Papierkorb" beschreibt Hürlimann vergnüglich und erhebend, wie es zu dieser bemerkenswerten Verbindung kam. Ein zarter, gleichwohl glänzender Einstieg, den der Autor da noch einmal aus seinem vermeintlichen Schreibmüll hervorgekramt hat. Vorträge, Artikel und früher bereits veröffentlichte Erzählungen - "Geschichten, Gedanken und Notizen am Rand" - hat er für dieses Bändchen aus dem Papierkorb gefischt und zusammengestellt. Es ist wahrlich erstaunlich, welch unterhaltende und zugleich lehrreiche Gedankenprosa da bereits in Hürlimanns Papierkorb gelandet war. Gut, dass er sich noch einmal besonnen hat und wir uns an seinen poetisch lehrreichen und dabei so angenehm unanstrengenden Wortgebilden erfreuen dürfen.

Der Schweizer Autor erweist sich einmal mehr als brillanter Beobachter, der seine enorme Lebensweisheit beeindruckend zurückhaltend und uneitel in geschmeidig gewobene Sätze zu fassen vermag. Ganz egal, ob es sich um philosophische Gedanken oder persönliche Anekdoten handelt, ob er begeistert von Jean Paul erzählt, seine Leidenschaft für den Fußball auf den Leser überträgt oder sich an eine gescheiterte Liebesgeschichte erinnert: Allen seinen von Leichtigkeit getragenen Berichten "lauscht" der Leser schmunzelnd, ja geradezu entzückt und mit einem gewissen Neid auf eine solch faszinierend klarsichtige Denkkreativität. So spielt etwa die Treppe in allen hier versammelten Miniaturen eine bedeutende Rolle. Im letzten Aufsatz sinnt Hürlimann gar über ihren philosophischen Gehalt und zieht dabei ganz befremdlich anmutende, obgleich tiefenscharfe und amüsant-schonungslose Rückschlüsse auf die Welt.


Titelbild

Thomas Hürlimann: Der Sprung in den Papierkorb. Geschichten und Gedanken am Rand.
Ammann Verlag, Zürich 2008.
137 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783250601258

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