Alle russischen Lieder handeln von Abschied

Lena Gorelik beschreibt eine Reise nach Sankt Petersburg

Von Behrang SamsamiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Behrang Samsami

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bücher über Russland haben derzeit Konjunktur. Seien es nun Biografien über den ehemaligen Präsidenten Wladimir Putin, Sachbücher über das allmächtige staatliche Wirtschaftsunternehmen Gazprom oder sozialkritische (Fernseh-) Reportagen westlicher Journalisten über die einstige Supermacht im Osten Europas. In Deutschland herrscht ein großer Bedarf nach Informationen über die neuesten Vorgänge in diesem für viele nach wie vor unbekannten Land, dem die Verlage nun mit einer Fülle von Neuerscheinungen und Übersetzungen ausländischer Bücher beizukommen versuchen.

Aus dieser großen Menge von Russland-Texten hebt sich ein kleines Buch heraus, das im Gegensatz zu den oben genannten Werken einen sehr persönlichen und dabei humorvollen Einblick in das russische Alltagsleben gewährt, weil es sich in erster Linie nicht mit der hohen, sondern mit der kleinen Politik der einfachen Menschen befasst. Der Titel des Buches lautet: "Verliebt in Sankt Petersburg". Die Autorin heißt Lena Gorelik.

Wer den Lebenslauf dieser jungen Frau kennt, der weiß, dass sie ganz besonders dazu prädestiniert ist, über Russland zu schreiben. Wer nicht, dem mögen einige Informationen über sie Auskunft geben: Geboren 1981 im früheren Leningrad. Einwanderung mit ihrer russisch-jüdischen Familie als "Kontingentflüchtling" in die Bundesrepublik im Jahre 1992. Danach Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Erfolgreiche Teilnahme am Elitestudiengang "Osteuropastudien". Und fast nebenbei noch zwei erfolgreiche Romane: "Meine weißen Nächte" (2004) und "Hochzeit in Jerusalem" (2007).

Nun liegt ihr drittes Buch vor: "Verliebt in Sankt Petersburg" (2008). Der Klappentext spricht von einem "sehr persönlichen Reisebuch". Und in der Tat: Lena Gorelik lässt ihre Leser von Anfang an an ihrer "russischen Reise" teilhaben. Nicht jedoch, ohne den Nichtrussen immer wieder augenzwinkernd Tipps zu geben, was man - nein vor allem, was man nicht - alles tun soll, um den Aufenthalt in ihrer alten Heimatstadt so unkompliziert wie möglich zu gestalten, ja, um am Ende vielleicht sogar wie sie selber "verliebt in St. Petersburg" zu sein. Wenn man das als Tourist schon nicht erleben sollte, als Leser wird man es - dank der (tragi-)komischen Schreibweise der jungen Schriftstellerin.

Immer wieder muss man bei der Lektüre ihres Buches vor sich hinlächeln. Wie kommt einem das Ganze - die Vorbereitung, die Reise und schließlich die Rückkehr - aus eigener Erfahrung bekannt vor: Der unvermeidliche Gang auf die Botschaft mit ihren nicht gerade immer hilfsbereiten Mitarbeitern, die Angst vor dem schon öfter überholten und nichtsdestoweniger klapprigen Flugzeug. Das ist ja aber noch gar nichts im Vergleich zur Verwandtschaft, die gastfreundlich und überschwänglich, aber genauso schnell beleidigt ist, wenn man nicht ihre Stadt mit all den Sehenswürdigkeiten über alles andere lobt. In ihrem Fall kommt dazu noch der russische Alltag, der ganz normale Wahnsinn...

Lena Gorelik macht vor, wie man die Reise am Besten übersteht und dabei sein Lächeln nicht verliert: Mit Humor, mit sehr viel Humor. Trotz Zusammenbruch der Sowjetunion, Namensänderung und erstmaliger Demokratie (allerdings auf russische Art) hat sich das Alltagsleben der Durchschnittsrussen seit den Zeiten der Kommunisten in Sankt Petersburg nicht wesentlich verändert - nein, es ist vielleicht noch schlechter, noch teurer, das Leben noch härter geworden als früher.

Zusammen mit einem deutschen Freund namens Jost, der sie auf ihrer Reise begleitet, wohnt die junge Frau bei hinreißend liebevoll-nervigen Verwandten, die sie unbedingt verheiraten und wieder zu einer "richtigen Russin" machen wollen. Sie taucht wieder ein in ein für sie scheinbar längst vergangenes Leben mit seinem Aberglauben, seinen Traditionen und auch schrägen Liebenswürdigkeiten, die dabei zu einem guten Teil der zur Normalität gewordenen Mangelwirtschaft in Russland geschuldet sind. Mit Jost schlendert sie schließlich durch ihr altbekannte Straßen und Läden und zeigt ihm sämtliche Sehenswürdigkeiten der Stadt - ohne dabei die Pannen und ungewollt komischen Situationen auszulassen.

Doch während man auf so unterhaltsame Art und Weise viel über das russische Alltagsleben erfährt und dabei bezüglich so einiger Mythen - der russischen Frau, des Wodkas und der "weißen Nächte" - entzaubert wird, wird einem aber auch immer stärker die große Traurigkeit des Ganzen, die im Subtext stets mitschwingt, gewahr: Alles Lachen ist letztlich Maskerade, weil notwendig, um die Härten und Ungerechtigkeiten, vor allem aber die scheinbare Unveränderbarkeit des Lebens in Russland einigermaßen erträglich zu machen: "Russen trinken Wodka. Sie tun es aber auf eine ästhetisch schöne, ja, fast schon poetische Weise. Sie tun es nicht, um ,gut drauf zu sein', sie werden nicht lustig und nicht verrückt. Sie werden melancholisch."

Was bleibt am Ende nach der Lektüre von Goreliks Reisebuch? Ein lachendes und ein weinendes Auge. Und die Erkenntnis, dass die Freude und die Trauer der Russen vielleicht deshalb stets so groß ist, weil ihr ganzes Dasein mit all seinen Schwierigkeiten ihnen immer wieder die Kürze des Glücks bewusst werden lässt: Nichts ist sicher und selbstverständlich, alles muss wieder und wieder neu erkämpft werden. Daher auch ihre große Melancholie, die im Gesang einen besonders intensiven Ausdruck erfährt: "Es stellt sich heraus, dass alle russischen Lieder von Abschied handeln. Es geht darin um Liebe, Freundschaft, Familien, aber letztendlich läuft alles auf den Abschied hinaus."


Titelbild

Lena Gorelik: Verliebt in Sankt Petersburg. Meine russische Reise.
SchirmerGraf Verlag, München 2008.
170 Seiten, 17,80 EUR.
ISBN-13: 9783865550545

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