In Hitlers Gunst die Nummer Zwei

Michael Fruechtels Biografie des NS-Stararchitekten Hermann Giesler

Von Kurt SchildeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kurt Schilde

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Hermann Giesler ist Zeit seines Lebens ein überzeugter Nationalsozialist geblieben." Der 1898 in Siegen geborene und 1987 in Düsseldorf verstorbene Architekt hat - so die Sicht des Architekturhistorikers Michael Früchtel - drei Leben gehabt: Zwischen der Zeit vor 1933 und dem tiefen Fall nach 1945 gehörte er zu den zentralen Figuren des Bauens im nationalsozialistischen Deutschland: er war ein "politischer Architekt".

Das Ziel Arbeit von Früchtel - ursprünglich eine Dissertation - ist es, das Leben und architektonische Werk von Giesler zu rekonstruieren. Er wurde als eines von vier Kindern geboren und wuchs in einem bürgerlichen Elternhaus auf, erlebte den Ersten Weltkrieg als Soldat und studierte in München an der Kunstgewerbeschule. Er beteiligt sich - was er später ,vergessen' hatte - mit seiner späteren Frau Milly Hinz an der Kommune der Jugendbewegung in Blankenburg. Nach der Heirat 1923 und dem Abschluss des Studiums arbeitete er in einem Architekturbüro und trat 1931 in die NSDAP ein. Seine Brüder waren ebenfalls Parteigenossen: Paul Giesler (1928 eingetreten) machte als Gauleiter der NSDAP in München-Oberbayern politische Karriere. Die beiden anderen Brüder gehörten der Partei seit 1930 beziehungsweise 1937 an. Zu den politischen Karrieren und Präferenzen der Giesler-Brüder steht in befremdlichen Kontrast, dass ihr Vater 1903 als Architekt die Leitung beim Bau der - beim Pogrom am 10. November 1938 zerstörten - Synagoge in Siegen innehatte.

Der seit 1935 selbstständige Architekt Hermann Giesler trifft Adolf Hitler im Juli 1933 zum ersten Mal persönlich und ist von ihm lebenslang fasziniert. Der Hitler-Verehrer erwarb sich schnell den Ruf, ein überzeugter Nationalsozialist sowie Spezialist für politische Bauaufgaben zu sein. Er gehörte wie sein Konkurrent Albert Speer zur persönlichen Umgebung von Hitler und legte - im Gegensatz zu Speer - den von Hitler verliehenen Titel Professor bis an sein Lebensende nicht ab.

Durch vielfältige politische Kontakte bekam er zahlreiche Aufträge für architektonische und städtebauliche Projekte. Sein erstes Bauvorhaben war die NS-Ordensburg Sonthofen, die sich durch eine "eigentümliche Durchmischung von romantisierenden Formen, traditioneller Holzbauweise und modernen technischen Lösungen" auszeichnete. Später wurde seine Architektursprache durch die NS-Materialästhetik repräsentativer Bauten bestimmt: Achsen, Aufmarschplätze und hierarchische Anordnung der Baukörper. Er entwarf unter anderem die Bauplanung für die "Jugendstadt des Führers" Linz, die Neugestaltung der "Hauptstadt der Bewegung" München und für die "Hohe Schule der NSDAP", bei denen besondere architektonische Qualitäten kaum erkennbar sind. Dazu machte er eine "Parallelkarriere" als Parteigenosse: 1941 SA-Standartenführer, ein Jahr darauf SA-Oberführer und 1945 als letzte Auszeichnung SA-Brigadeführer. Seit 1938 war er Generalbaurat der "Hauptstadt der Bewegung" München und profitiert im Zweiten Weltkrieg von Kriegswirtschaft und Zwangsarbeit.

Er geriet in Kriegsgefangenschaft und wurde 1947 zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach seiner vorzeitigen Freilassung 1952 aus dem Kriegsverbrechergefängnis in Landsberg/Lech und der anschließenden Einstellung des Entnazifizierungsverfahrens lebte er unauffällig als freischaffender Architekt. Er bewegte sich in einem Netzwerk ehemaliger NS-Eliten in Düsseldorf und setzte sich bis zu seinem Tode publizistisch und in privaten Korrespondenzen mit seinem früheren Rivalen Speer auseinander. 1947 erschien die Rechtfertigungsschrift "Ein anderer Hitler - Bericht seines Architekten Hermann Giesler. Erlebnisse - Gespräche - Reflexionen" in einem der NS-Apologetik verpflichteten Verlag. 2005 erreichte das Machwerk bereits die siebente Auflage. Viel Beachtung hat der Versuch, Hitler als hochbegabten Architekten herauszustellen, allerdings nicht gefunden. Im Gegensatz zu der uneinsichtigen und selbstgerechten Darstellung voller Brüche und Sprünge wurde Giesler aber ein durchaus gefragter Zeitzeuge, sein letztes Interview gab er zwei Wochen vor seinem Tod. Zu seinem 100. Todestag schalteten seine Söhne in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Anzeige ,In Memoriam Prof. Hermann Giesler'.

Der voluminöse Band strotzt geradezu von Informationen über Hitlers Lieblingsarchitekten Nummer Zwei. Das Buch ist sehr aufwändig gestaltet und reichhaltig bebildert. Offenbar um Platz zu sparen, hat der Anmerkungsapparat eine fast unlesbare kleine Schrift. Ein weiterer Kritikpunkt: Die von Früchtel gewählte Darstellungsform - Hinweise auf verfügbare Aussagen und Fakten und deren Bewertung, dann Rekonstruktion und eine folgende Analyse - hat viele vermeidbare Wiederholungen zur Folge. Leider ist die Arbeit nicht ohne Fehler, ein Beispiel: Mit dem irreführenden Begriff "Reichskristallnacht" werden die Ereignisse falsch auf die Nacht vom 8. auf den 9. November 1938 vordatiert. Tatsächlich haben die massenhaften Pogrome erst in der Nacht darauf begonnen und zogen sich mehrere Tage hin. Gieslers Rechtsanwalt wird fälschlich mal Franz und meist richtig Ernst Achenbach genannt. Im 21. Jahrhundert noch von "Hitlers Angriff auf die Sowjetunion" zu sprechen, sollte nicht mehr passieren. Frei nach Bertold Brecht hatte der "Führer" wohl noch einige Soldaten dabei?

Die Anhänge dieses sehr informativen Buches enthalten im Anhang ein Werkverzeichnis, einige Dokumente und die Lebensläufe wichtiger Mitarbeiter.


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Michael Fruechtel: Der Architekt Hermann Giesler. Leben und Werk (1898-1987).
edition altavilla, Tübingen 2008.
232 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783938671047

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