Mystisches Licht und eine Welt voller Fanatiker

John Berger beschreibt in seinem Essayband "Mit Hoffnung zwischen den Zähnen" eine sterbende Welt

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was für ein Licht: "Es ergießt sich seltsam gleichmäßig vom Himmel, so dass Ferne und Nähe eins werden. Ferne und Nähe unterscheiden sich lediglich im Größenmaßstab, nie in der Farbgebung, Textur oder Randschärfe. Und das bestimmt die Art und Weise, wie man sich selbst im Raum wahrnimmt, das Gefühl für das eigene Im-Raum-Sein. Die Landschaft gruppiert sich um dich herum, sie stellt sich dir nicht gegenüber. Sie lockt dich nicht, sie rät dir vielmehr, dazubleiben."

Das Licht von Palästina hat es dem Kunstkritiker und Romancier John Berger angetan. Und der lichte, fast mystisch durchflutete Raum. Aber der werde unter dem "Würgegriff" der Israelis immer enger und kleiner. Mit der riesigen Mauer, den illegalen Siedlungen und den Kontrollpunkten, so dass die Palästinenser sich kaum noch frei bewegen können. Berger beschreibt ihre Wut, ihr Leiden und ihre Art "unbesiegter Verzweiflung", in der sie sich eingerichtet haben, bereit für alles, auch für Fanatiker.

In seinem neuen Buch "Mit Hoffnung zwischen den Zähnen" beschreibt der aus einer jüdischen Familie stammende Berger in vielen Essays aus den Jahren 2001 bis 2007 eine Welt, die immer unmenschlicher wird, in der der Profit regiert und alles Menschliche negiert wird. In der sich die Politiker aus Machtgier immer mehr zu Marionetten machen lassen und vor allem an einem leiden: Realitätsverlust. Und Desinteresse an den Wurzeln der eigenen Geschichte und den Geschichten der Menschen.

So entsteht immer wieder neues Elend: Ein gefundenes Fressen für die Fanatiker. Auf seine ganz eigene klarsichtige und schonungslose Art definiert Berger den Fanatismus neu: "Fanatismus entsteht aus jeglicher Form selbstgewählter Blindheit, die mit dem Festhalten an einem einzigen Dogma verbunden ist. Das Dogma der G 8 lautet, das Profitstreben zum Leitprinzip der Menschheit zu erheben und ihm als Illusion alles zu opfern, was die Traditionen der Vergangenheit und die Bestrebungen der Zukunft ausmacht. Der so genannte Krieg gegen den Terrorismus ist in Wirklichkeit ein Krieg zwischen zwei Formen des Fanatismus. Sie auf eine Stufe zu stellen, erscheint ungeheuerlich. Der eine ist theokratisch, der andere positivistisch und säkular. Der eine besteht im glühenden Glauben einer bedrängten Minderheit, der andere in der fraglos hingenommenen Anmaßung einer amorphen, selbstbewussten Elite. Der eine tötet, der andere plündert, zieht sich zurück und lässt sterben. Der eine ist rigoros, der andere lax. [...] Der eine beansprucht das Recht, unschuldiges Blut zu vergießen, der andere das Recht, das Wasser des gesamten Planeten zu verkaufen."

Berger verbindet die Wut über die Zerstörung der Welt mit seinem liebevollen Blick auf die Menschen. In vielen Einzelporträts erzählt er ihnen von den Ziegenhirten in der Wüste, dem Lagerbewohner, dessen Vater wie Boris Pasternak aussah, dem Pastetenbäcker in Teheran, dem Arbeiter in Berlin-Friedrichshain und der Mutter in Mali. So entsteht ein Flickenteppich aus Geschichten, ein Geflecht aus Erinnerungen, Gefühlen, Schicksalen. Bei aller analytischen Distanz beherrscht Berger dabei die Kunst, den Menschen nahe zu sein, und dieses Wechselspiel macht die Größe dieses menschlichen, traurigen und ermutigenden Buchs aus. Nein, beliebt wird er sich nicht damit machen. Vor allem nicht bei den Fanatikern dieses oder jenes Lagers. Aber bei allen, die nicht vergessen wollen, was Menschsein bedeutet.


Titelbild

John Berger: Mit Hoffnung zwischen den Zähnen. Berichte von Überleben und Widerstand.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2008.
135 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-13: 9783803136268

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