Ein Aschuk aus dem Kaukasus

Zur abenteuerreichen Autobiografie des Essad Bey

Von Behrang SamsamiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Behrang Samsami

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einen literarischen Wiedergänger Karl Mays nennt der Autor und Regisseur Ralf Marschalleck Essad Bey in seinem Vorwort. Und tatsächlich: Beide, der deutsche wie der aserbaidschanische Schriftsteller imaginieren einen märchenhaften Orient, der Tummelplatz für unzählige Abenteuer und Geschichten ist. Ihre Werke haben rasch eine große Leserschaft gefunden, aber genauso schnell auch Gegner, die die beiden als Betrüger und Hochstapler diffamieren und ihre Bücher als Geschichtsfälschung bezeichnen - mit dem Unterschied allerdings, dass Essad Bey das von ihm in seiner Autobiografie Beschriebene wirklich erlebt hat. Oder vielleicht doch nicht? Sollten die kurz nach Erscheinen des Buches insbesondere aus dem rechten Lager stammenden Kritiken mit ihrer Behauptung Recht haben, dass "Öl und Blut im Orient" lediglich der große Schwindel eines jüdischen Autors namens Lev Abramovic Nussimbaum ist?

Doch der Reihe nach. Worum geht es in Essad Beys erstmals 1929 erschienenem, ersten großen Werk? Der damals 24-Jährige schildert darin seine Kindheit und Jugend im zaristischen und revolutionären Russland - genauer sein Leben als Sohn eines reichen, muslimischen Ölmillionärs in Baku. Die Autobiografie beginnt mit dem ersten Zusammentreffen seiner Eltern am Kaspischen Meer: Eines Tages geht der väterliche Ölfürst am Strand spazieren, entdeckt in einem Gefängnis eine junge Revolutionärin und entschließt sich sofort, sie zu heiraten. Die Ehe ist jedoch nur von kurzer Dauer, da sich die Mutter kurze Zeit darauf das Leben nimmt. So bleibt Essad Bey nur noch sein Vater, der ihn wie seinen Augapfel hütet, es aber nicht verhindern kann, dass beide im Laufe der Zeit ein Abenteuer nach dem nächsten erleben.

Der junge Mann berichtet etwa im ersten Teil mit dem Titel "Im Land des ewigen Feuers", wie er als knapp Zehnjähriger die Arbeiter einmal in einen Streik gegen seinen eigenen Vater führt, nachdem er von den katastrophalen Lebensbedingungen derselben erfahren hat. Er schildert auf eine sehr ironische Weise seine eigene Entführung durch armenische Terroristen, die mit dem Lösegeld für die befreiten Millionärskinder revolutionäre Gruppen unterstützen. Doch von solchen "kleinen" Zwischenfällen abgesehen, führt er insgesamt ein sehr angenehmes Leben mit Lesen, Promenieren und Faulenzen, das erst mit Ausbruch der Russischen Revolution 1917 abrupt zu Ende geht.

Seine abenteuerliche Flucht zusammen mit seinem nun besitzlosen Vater über das Kaspische Meer ins heutige Turkmenistan schildert er im zweiten Abschnitt "Auf den Spuren des langen Timur". Er erlebt dort den Kampf zwischen Monarchisten und Kommunisten mit und reist deshalb weiter nach Buchara, wo er bei seinen noch stark den Traditionen verhafteten Verwandten Schutz sucht, die er schließlich aber verlassen muss, um nach Persien zu gehen. Dort behaupten sich Vater und Sohn gegen Räuber und Fürsten, denen sie in den Wäldern der nördlichen Provinzen begegnen. Als schließlich die Nachricht eintrifft, dass deutsche und türkische Truppen Aserbaidschan erobert hätten, zögern die beiden nicht und kehren auf Umwegen nach Baku zurück.

Doch lange können Essad Bey und sein Vater die Rückkehr in die Heimat nicht genießen. Im dritten und letzten Teil "Flucht" schildert der "Orientalist" die Kapitulation und den Abzug der Mittelmächte aus dem Kaukasus, die kurze Besetzung seiner Heimatstadt durch die Engländer und schließlich den Einzug der Roten Armee in Baku und damit die neuerliche Verfolgung der Ölfürsten. Beiden bleibt nichts anderes übrig, als erneut zu fliehen - doch dieses Mal getrennt und in Richtung Schwarzmeerküste. So nimmt der junge Mann unterwegs an den Kämpfen gegen die "Bolschewisten" in Gandscha teil, fällt aber der politischen Polizei, der Tscheka, auf und enteilt deshalb zu seit fast hundert Jahren in Aserbaidschan lebenden schwäbischen Bauern. Schließlich gelingt es ihm zusammen mit seinem Vater, unbeschadet nach Tiflis zu gelangen. Doch kaum angekommen, müssen sie wieder weiter, denn erst in Istanbul sind sie sich ihres Lebens sicher. Und hier endet auch der abenteuerreiche Bericht.

Nach dieser kurzen Zusammenfassung der Autobiografie ist die Frage, ob es gerechtfertigt sei, dass schon ein 24-Jähriger seine eigene Lebensdarstellung aufschreibt, mehr als hinreichend beantwortet. Wer wie Essad Bey bereits in jungen Jahren so viel Glück und Elend erlebt hat, der sprudelt über vor Geschichten. In diesem Fall kommt noch die große schriftstellerische Begabung des Autors hinzu. Dabei erzählt er in "Öl und Blut im Orient" nicht nur von seiner Kindheit und Jugend. Er verbindet auch seine spannende, aber nicht minder gefährliche Flucht durch den Orient mit kurzen Exkursionen in die Geschichte des jeweiligen Gebiets, das er und sein Vater gerade durchstreifen.

So unterrichtet Essad Bey den Leser über die Verhältnisse in der Ölindustrie in Baku Anfang des 20. Jahrhunderts, erzählt von den Aktivitäten der dortigen Revolutionäre - angeführt von einem Mann, der sich später Stalin nennt - und erklärt, was es mit Zarathustras letztem Tempel inmitten der Öltürme am Kaspischen Meer auf sich hat. Er schildert die Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten und erläutert die Herrschaftspraktiken und Lebensgewohnheiten persischer Fürsten. Schließlich kommt er auf die "Pehlewans", die Ritter mit ihren Wettbewerben, und auf die "Aschuks", die Dichter des Orients mit ihren Verskünsten, zu sprechen.

Es sind diese zwei Faktoren, die für den großen Erfolg von Essad Beys erstem Buch verantwortlich sind: Die Faszination um seine geheimnisvolle Person und ungelöste Identität und seine große Gabe, Geschichte(n) spannend, weil sehr unterhaltsam zu erzählen. Hinzu kommt noch, dass gerade in der Zwischenkriegszeit und insbesondere in Deutschland der Fokus auf den Orient gerichtet ist. Diskussionsstoff gibt es genug: Die Installierung von "Mandatsgebieten" in den ehemaligen arabischsprachigen, osmanischen Provinzen durch Großbritannien und Frankreich, die Einwanderung jüdischer Kolonisten mit der Hoffnung, einen eigenen Staat in Palästina gründen zu können, ferner die rasante Verwestlichung vormals sehr islamisch geprägter Staaten wie der Türkei, Persien und Afghanistan, sowie die Angst der vom Ölreichtum dieser Staaten abhängigen Westmächte vor dem Erstarken und der zunehmenden Einflussnahme der Sowjetunion in Vorderasien.

Diese Faktoren sind übrigens auch mit ein Grund, weshalb Essad Bey seine anderen, auf "Öl und Blut im Orient" folgenden Werke ebenfalls sämtlich im Osten ansiedelt. Man könnte dabei soweit gehen und sagen, dass sein Erstlingswerk alle seine späteren Arbeiten schon in sich bürge, und dass der Autor dieses Buch gewissermaßen als Steinbruch für alles Weitere verwendete: So schreibt er unter anderem noch zwei Bücher über den Kaukasus, eine Stalin-Biografie, eine Geschichte des Öls, dann ein Werk über den russischen Geheimdienst GPU und noch zwei Romane, von denen "Ali und Nino" einige Ähnlichkeiten mit "Öl und Blut im Orient" aufweist.

Darüber wird die Frage, ob Essad Bey alias Lev Abramovic Nussimbaum das in seiner Autobiografie Beschriebene tatsächlich alles selbst erlebt hat, zweitrangig. Schließlich täte die endgültige Klärung - sollte sie denn je möglich sein - der Begeisterung für dieses Buch keinen Abbruch. Der Autor erzählt seine Geschichte(n) mit Lust und eine Lust ist es, ihm dabei zu folgen.


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Essad Bey: Öl und Blut im Orient. Meine Kindheit in Baku und meine haarsträubende Flucht durch den Kaukasus.
Überarbeitete Neuausgabe der Erstauflage 1929.
Verlag Hans-Jürgen Maurer, Freiburg 2008.
272 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783929345308

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