Erfrischendes über Paarbeziehungen im Mittelalter

Über einen Forschungsbericht von Leah Otis-Cour

Von Ingrid BennewitzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ingrid Bennewitz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das vorliegende Buch hat sich zum Ziel gesetzt, die immer noch gängigen, wenn auch durch zahlreiche Forschungsarbeiten der letzten 20 Jahre eigentlich längst fraglich gewordenen Vorstellungen über Liebe, Sexualität und Ehe im Mittelalter zu revidieren. Es basiert nach Aussage der Verfasserin zum Teil auf ihren eigenen Untersuchungen, versteht sich aber im wesentlichen als Forschungsbericht zu einem fast schon unüberschaubar gewordenen Gegenstand. Schon die Kapitelüberschriften demonstrieren die Breite der jeweils angesprochenen Themen ("Verwandtschaft, Frauen und Eigentum"; "Die Kontrolle von Sexualität und Ehe"; "Liebe und Ehe als positive Werte"). Die - nicht näher explizierten - methodischen Voraussetzungen erweisen sich als ausgesprochen traditionell; jüngere Entwicklungen der Geschlechtergeschichte und die daraus resultierenden Perspektiven in der Auseinandersetzung mit mittelalterlichen Quellen finden keine Berücksichtigung, zum Teil allerdings auch nicht einmal die "Klassiker" der feministischen Mediävistik. In Hinblick auf das intendierte Zielpublikum versucht die Autorin offenbar eine Gratwanderung zwischen den Eckpunkten der "interessierten Laien" und einer studentischen LeserInnenschaft. Für die ersteren wird das insgesamt erfrischend lesbar geschriebene Buch zahlreiche Anregungen und wohl auch neue Perspektiven bieten; vor einer unhinterfragten Rezeption in wissenschaftlichen Diskursen muß allerdings mit Nachdruck gewarnt werden.

Dazu einige Anmerkungen: Otis-Cour gerät aufgrund der bei diesen Themen naheliegenden "Quellen-Mischlage" in ein ausgesprochen gefährliches Fahrwasser in Hinblick auf den Umgang mit den historischen Zeugnissen. Dabei muß gerechterweise gesagt werden, daß dies zu einem guten Teil schon die von ihr zugrunde gelegte Forschungsliteratur nicht ganz unproblematisch macht, daß aber durch ihre zusammenfassende Darstellung diese Situation noch verschärft und nicht durch methodische Reflexion aufgefangen wird. Die untersuchten Themengebiete liegen allesamt im Schnittpunkt zahlreicher mittelalterlicher Diskurse, z.B. theologisch-philosophischer, moralisch-didaktischer, juristischer, medizinhistorischer wie literarischer Art. Dazu kommt ihr Anspruch, das gesamte Mittelalter zeitlich wie auch regional möglichst weitgespannt abzudecken. Im Endeffekt führt dies dazu, daß französische, deutsche und italienische Quellen, Rechtssammlungen wie der "Schwabenspiegel" neben späteren Stadtordnungen und "Anekdoten" in juristischen Traktaten ebenso innerhalb eines Absatzes präsentiert werden wie literarische Texte. Dazu kommt, daß die Verifizierbarkeit der Quellennachweise sehr zu wünschen übrig läßt, vieles offenbar ungeprüft aus zweiter Hand zitiert wird und das bei aller Einsicht in die verlagstechnisch gebotene Kürze viel zu knappe Literaturverzeichnis allzu viele Leerstellen läßt. Aus der Sicht der mediävistischen Literaturwissenschaft ist besonders an dem wechselnden Verständnis literarischer Texte - einmal gleichsam als "historisches Quellenmaterial", dann wieder "nur" als "Spiel", das keinerlei Aussagen über "Realität" zulasse - Kritik zu üben, wobei allein schon der zugrundegelegte Realitätsbegriff methodisch wenig reflektiert wird und in seinem Konstruktionscharakter - der wiederum eine Einbindung literarischer Texte eben hätte begründen können - viel zuwenig deutlich wird. Als Literaturwissenschaftlerin will ich den Stellenwert des Bandes im Kontext der geschichtswissenschaftlichen Mediävistik nicht beurteilen; daß einige Behauptungen in dieser Form zumindest irreführend wenn nicht falsch sind, läßt sich jedoch auch so festhalten. So wird an einer Stelle die - historisch nirgendwo bezeugte - Unfruchtbarkeit der Kaiserin Kunigunde behauptet. Die herangezogenen literarischen Beispiele sind immer wieder ungenügend belegt, ihre Interpretation bleibt hinter den erreichten Standards weit zurück und oft genug gibt es einfach ärgerliche Mißverständnisse (etwa zur Gattung der "Pastourelle" oder in der Verwendung des Begriffes "Fabel" - gänzlich unverständlich als "Fableln" deklariert - , der offenbar eine Übersetzung des französischen "fabliaux" sein soll, im Deutschen freilich korrekt mit "maere" oder allenfalls mit Vorbehalt noch als "Novelle" wiederzugeben wäre).

Titelbild

Leah Otis-Cour: Lust und Liebe. Geschichte der Paarbeziehungen im Mittelalter.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 1999.
9,70 EUR.
ISBN-10: 359660107X

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