Kochen nach Plan

Christoph Waltz liest Hainif Kureishis Roman "Das sag ich Dir"

Von Sandra RührRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandra Rühr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Zutaten

Man nehme einen Autor, den der Spiegel als aufregendsten Autor Englands vorstellt: Hanif Kureishi. Dann einen Traditionsverlag wie S. Fischer, der 1887, ein Jahr nach seiner Gründung, Henrik Ibsens Schauspiel "Rosmersholm" herausbrachte, sich schnell als Forum zeitgenössischer deutscher Literatur etablierte und seit 1954, unter anderem mit Werken von Virginia Woolf, Arthur Miller und Thornton Wilder, angelsächsische Literatur als festen Programmbereich führt. Dass hier nun gerade Ibsen Erwähnung findet, ist nicht ganz ohne Belang, schließlich wird gleich zu Beginn des Romans "Das sag ich Dir" über dessen Theaterstücke nachgedacht.

Ohne Übersetzung blieben dem Leser aus Deutschland perlengleiche Sätze verborgen wie der folgende: "Meine Währung sind die Geheimnisse: Ich lebe davon, mit ihnen zu handeln. Die Geheimnisse des Begehrens und die Geheimnisse dessen, was die Menschen wirklich wollen und wovor sie sich am meisten fürchten. Die geheimen Gründe dafür, warum Liebe schwierig ist, Sex heikel, das Leben eine Qual und der Tod so nah und fern zugleich." Dass dem allerdings nicht so ist, ist Henning Ahrens zu verdanken, der unter anderem auch die Übersetzung für "Extrem laut und unglaublich nah" von Jonathan Safran Foer besorgte und dessen eigener neuester Roman "Kein Schlaf in Sicht" ebenfalls 2008 erschienen ist.

Eine weitere Zutat ist der Marktführer unter den Hörbuchverlagen, der Hörverlag. Als "Seismograph aktueller Strömungen in der Literatur" war es für ihn nachgerade ein Muss, den Autor Kureishi ins Programm zu nehmen. Zeitgleich mit der Buchausgabe im April 2008 erschien die Hörbuchversion und bereichert nun das Angebot an angelsächsischen Titeln neben dem Kultautor Nick Hornby.

Zu guter Letzt fehlt noch die Instanz, die die Vorlage ins Akustische überträgt, der Sprecher. Idealerweise sollte dies im Hörbuchbereich ein aus Theater, Film und Fernsehen bekanntes Gesicht sein, um dem Zuhörer suggerieren zu können, dass er weiß, worauf er sich einlässt. Auch diese letzte Beigabe ist in diesem Fall äußerst schmackhaft, handelt es sich doch um den bekannten Schauspieler Christoph Waltz, dem bescheinigt wird, dass er die Extreme menschlicher Existenz darzustellen wisse.

Das Verfeinern

Der Autor Kureishi hat eine Geschichte ersonnen, die der Sprecher Waltz akustisch umsetzt. Das Bindeglied zwischen beiden ist der Text. Diese drei Einheiten sind hier auf das Feinste miteinander verwoben. Dass sich biografische Daten des Autors im Plot wiederfinden, mag dem geneigten Leser eines früheren Kureishi-Romans, "Der Buddha aus der Großstadt", nicht ungewöhnlich erscheinen. Doch wie es der Zufall will, gibt es weitere Übereinstimmungen.

Da wäre zunächst einmal das Alter: Hanif Kureishi ist Jahrgang 1954, Waltz wurde 1956 geboren und Jamal Khan, die Hauptfigur aus "Das sag ich Dir", ist ein so genannter fifty-something.

Dann die Lebensläufe von Kureishi und Khan: Kureshi wurde als Sohn einer Engländerin und eines Pakistaners geboren und studierte zunächst Philosophie, bis er zu seiner Berufung, dem Verfassen von Kurzgeschichten, Drehbüchern und Romanen, fand. Die Parallelen zur Familiengeschichte, die sich im künstlerischen Werk zeigten, wurden besonders von Kureishis Schwester nicht gut geheißen, da sie sich und ihre Eltern bloßgestellt fühlte. Khan hat ebenfalls britische und pakistanische Wurzeln und widmete sich der Philosophie. Das Schreiben spielt auch in seinem Leben eine Rolle, doch ist es nicht sein Lebensziel. Er will schreiben, um endlich einmal das zu tun, was er sonst anderen ermöglicht: Sich alles von der Seele reden. Er hat sich darauf spezialisiert, anderen Menschen zuzuhören. Solchen, die zu ihm in seine Praxis kommen, um ihm, den Psychoanalytiker, ihre Sorgen und Nöte zu erzählen oder solchen, die er seine Freunde und Familie nennt. Für das, was er zu Papier bringt, könnte auch er belangt werden, handelt es sich doch um ein Schuldgeständnis für eine ungesühnte Tat.

Bei den Themen, die Kureishi und Khan zu erzählen haben, gibt es erste Unterschiede: Geht es bei Kureishi um Rassenkonflikte, Identitätssuche und Sexualität, so schreibt Khan über eine 30 Jahre zurückliegende Liebesgeschichte, die sich mehr und mehr zu einer Beichte entwickelt. Der gemeinsame Nenner liegt schließlich wieder im identischen Schauplatz. Dieser ist das Bindeglied, das alles zusammenfügt und -hält. Nahe London wurde der Autor geboren und lebt dort mit seiner vierköpfigen Familie. Auch Jamal lebt dort, ohne sich jedoch jemals richtig heimisch zu fühlen. Der Sprecher Waltz, der für ihn seine Geschichte erklingen lässt, hat sich ebenfalls in London niedergelassen. Die Stadt ist allgegenwärtig und auch bereits auf dem Cover der deutschen Buchausgabe beziehungsweise der identischen Hörbuch-Hülle präsent. Auf kiwi-grünem Grund sticht eine pinkfarbene Stadtsilhouette heraus, die sich bei genauerem Hinsehen als Ansicht Londons entpuppt: Links die Tower Bridge, rechts Big Ben. Hierbei drängt sich ein erster Verdacht auf: Ist nicht Jamal die Hauptfigur, sondern die Stadt, in der er beziehungsweise Kureishi leben? Interessanterweise lässt sich diese Interpretation beim Betrachten einer erst in Kürze erscheinenden englischen Ausgabe nicht halten: Dort findet sich, vor sonnengelbem Hintergrund, in der rechten oberen Ecke eine Sprechblase ohne Inhalt. Sehr bezeichnend oder einfach eine witzige Idee? Worum also geht es in "Das sag ich Dir"?

Das Abschmecken

Eine großartige Handlung darf man von Kureishis neuestem Roman nicht erwarten. Dieser lebt vielmehr von den flirrenden Charakteren, die gleichsam wie Jamal in London leben und genau wie er den Sinn des Lebens ergründen wollen.

Da wären sein bester Freund Henry, ein Theaterkünstler und Intellektueller, und seine Schwester Myriam, eine Selbstdarstellerin von Kindesbeinen an, die lange Zeit nur ihre Tätowierungen, diverse Pillen und Drogen und ihre fünf Kinder von drei Männern an sich heran lässt, bis sie und Henry ein Paar werden. Hier finden sich also zwei Menschen, die auf den ersten Blick nichts gemein haben und die, oberflächlich betrachtet, einzig der Sex aneinander bindet.

Sex gibt es im Hörbuch in allen Variationen: Den experimentellen Sex in Swingerclubs, den inzestuösen Sex zwischen Vater und Tochter, den homoerotischen Sex, den "unfrohen Sex" oder den "göttlichen" Sex. Mag dies zunächst banal wirken, so wird hier doch auch etwas deutlich: Die Beteiligten versuchen auf diesem Wege Bindungen zu anderen einzugehen. Sie sind einsam und entwurzelt. Neben dem Sex geht es auch um die möglicherweise wahre Liebe.

Jamal bleibt bis zum Ende des Romans - er bezeichnet sich als nicht mehr jung und noch nicht alt - auf der Suche nach dieser Liebe. Einer Liebe, die sich an früheren Liebschaften messen lassen muss: Der von prickelnder Sexualität begleiteten Liebe zu Ajita, der zumindest dem Papier nach pornografischen Beziehung zu Karen und der durch die Ehe abgesicherten Verbindung zu Josephine, die schließlich in die Brüche ging.

Jamals Charakterzeichnung ist blass. Er bezeichnet sich selbst als jemanden, der eher wie ein Angestellter aussieht. Durch seinen Beruf als Psychoanalytiker bleibt er stets im Hintergrund: Er platziert sich immer so hinter seinem Sofa, dass ihn seine Patienten nicht sehen können. Während sich alle anderen, Patienten wie Freunde und Familie, ihm anvertrauen, kann er sich nur seinem stummen Zuhörer, seinem Buchprojekt über die Schuld, gegenüber aussprechen. Niemand weiß zunächst von dieser Schuld. Dem Zuhörer bekennt sich Jamal auf der ersten CD in Track 5, indem er von einer ungesühnten Schuld spricht. Dies weckt dessen Neugier. Der Autor bedient sich dann einer gewissen Hinhaltetaktik, bis man letztendlich erfährt, wessen er sich schuldig gemacht hat. Und obwohl es Jamal offensichtlich ein Anliegen ist, sich von dieser Schuld frei zu machen, sind am Ende kein Bedauern und kein eigener Antrieb zu erkennen. Man möchte ihm zurufen: "Werde aktiv, das sag ich dir!"

Das Dessert

Nun lebt ein Hörbuch, und gerade ein solches mit einer Vielzahl an Figuren wie das vorliegende, von der Leistung des Sprechers. Christoph Waltz muss nicht nur über die Dauer von 6 CDs die Spannung halten - welchem Verbrechen macht Jamal sich schuldig? -, er muss auch allein über seine Stimme deutlich machen, welcher Figur er seine Stimme leiht und deren Gefühle transportieren. Bereits bei der ersten Charakterisierung Henrys über seine "wuchtige Stimme" wird der Hörer neugierig und wartet auf das Angekündigte. Doch Waltz ist kein Stimmkünstler. Vielmehr parliert er im Plauderton die gesamten 394 Minuten lang. Das ist zum großen Teil ganz angenehm. Manchmal konzentriert man sich als Zuhörer allerdings zu sehr auf die stimmlichen Eigenschaften Waltz' - und dann fallen das leichte Näseln und die Atemgeräusche doch zu sehr auf. Dadurch, dass Frauenfiguren nur mit leicht nach oben modulierter Stimme gelesen werden, klingt nahezu alles gleich, egal, ob es sich um Dialoge oder Erzählpassagen handelt. Dies erschwert dem Hörer teilweise den logischen Nachvollzug. Jamal bleibt damit nicht nur für den Leser "unscharf", auch für den Hörer fehlen die Akzente, die den Erzähler aus dem Figuren-Potpourri herauslösen. Vermutlich ist es aber genau das, was Kureishi will: Das Verschwimmen der Hauptfigur im wabernden Sog der Stadt London darzustellen. Und so ist Waltz' Interpretation eine mögliche Lesart dieser Sichtweise.


Titelbild

Hanif Kureishi: Das sag ich dir.
Gekürzte Lesung. 6 CDs.
Der Hörverlag, München 2008.
394 min, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783867172363

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