Poetry on demand

Mara-Daria Cojocarus "Näherungsweise" und Björn Kuhligks "Es gibt hier keine Küstenstraßen" werden nur bei Bedarf gedruckt

Von Jens ZwernemannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Zwernemann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist eine Idee, die ebenso einfach wie genial ist: Anstatt Bücher in mehr oder minder großer Auflage zu drucken, um dann bei mangelndem Publikumsinteresse Gefahr zu laufen, einen Großteil derselben später auf Kaufhausramschtischen feilbieten zu müssen, werden bei den so genannten books on demand die entsprechenden Bücher erst auf Bestellung gedruckt. Dieses höchst ökonomische Prinzip macht sich auch die von Heinz Ludwig Arnold und Wolfram Göbek begründete Reihe "Lyrik Edition 2000" zunutze, in der neben Lyrik des 20. Jahrhunderts und einer - mit bislang einem Band noch sehr überschaubaren - Serie von "Essays und Übersetzungen" auch jungen Lyrikerinnen und Lyrikern die Chance gegeben wird, in der Sparte "Neue Lyrik" ihre Arbeiten zu veröffentlichen.

Von dieser Möglichkeit machten unlängst auch Mara-Daria Cojocaru mit ihrem Band "Näherungsweise" und Björn Kuhligk mit "Es gibt hier keine Küstenstraßen" Gebrauch. Getreu dem Motto ladies first sei dabei zunächst ein Blick auf Cojocarus "Näherungsweise" geworfen: In ihrem Erstlingsband versammelt die Verfasserin 48 Gedichte, denen der Klappentext ebenso "starke Sinnlichkeit" wie "Erkenntniswille" attestiert. Vor allem erstere Qualität ist in ihrem Gedicht "Leda" greifbar: "körper sein / und dennoch rein // am flussufer sitzend am schwellenden / strom murmelt sie sich stein um stein / in die weiblichkeit hinein // nass gurgelt dahinter / wasserblaubraun über grau / dann // auftritt des schwans / den kennen wir schon."

Zugegeben: Eine sich auf die weibliche Perspektive konzentrierende Darstellung des Leda-Mythos zählt nicht mehr unbedingt zu den größten aller möglichen literarischen Überraschungen, aber während Cojocarus Mut zum Reim zumindest bemerkenswert ist, kann doch die Abschlusspointe als ausgesprochen gelungen gelten. Aufgegriffen wird das Thema ,Weiblichkeit' auch im Titel des Gedichts "Altweibernass": "der asphalt platzt / mit dem ersten regen / perlt am kahlen löwenzahn // am abgerupften hahnengras / ein ganzer alter sommer / der regen an mir ab". Obschon "nett" im Kontext der Bewertung von Lyrik ein eher derogatives Prädikat sein dürfte, so scheint es dieses Gedicht dennoch ziemlich genau zu charakterisieren; damit weist es jedoch auch gleichzeitig auf eine Schwachstellte des Bandes hin: Der behauptete "Erkenntniswille" wird in den wenigsten Gedichten deutlich, in "Altweibernass" wird man ihn vollends vergebens suchen. Es ist ein sprachlich wie inhaltlich nettes Gedicht, das man jedoch bald nach dem Umblättern der Seite bereits wieder vergessen haben dürfte und das kaum zu tiefergehenden Kontemplationen, geschweige denn zu fundamentalen Einsichten verleitet.

Ganz anders hingegen ein Gedicht wie "Segeln // für P.", das man zweifellos so schnell nicht vergessen wird: "Es pfeift der Wind, es geht die See / Das Boot geht geschwind, nieder und in die Höh // Die Segel knirschen, es knarzen die Planken / Das Boot gerät gefährlich ins Schwanken // Es bäumt sich auf, es legt sich nieder // Die Männer singen alte Lieder // das ist der Sinn des Lebens // Wer nicht segelt, lebt vergebens." Der erste Eindruck nach dem Lesen dieses Gedichts: blanker Zweifel. Meint Cojocaru das wirklich (horribile dictu!) ernst? Aber nein, das kann ja gar nicht sein - eine gekonnte Parodie muss es sein auf all jene Reimeschmiede, die Texte für den 80. Geburtstag der Lieblingserbtante verfassen und ihre ,Reim-Dich-oder-ich-fress-Dich'-Gedichtchen noch mit einer möglichst inhaltsschweren Pseudo-Lebensweisheit garnieren.

Da heißt es, das mulmige Gefühl, das die Lektüre dieses Gedichts hinterlässt, durch schnelles Weiterblättern zu verdrängen, dabei bloß keinen Blick auf das gegenüberliegende "DUICHMENSCH" zu werfen ("Du Wunder, wundervoller Mensch / Lass mich Dein Leben leben / So wie du mir meins gegeben [...]"), die Katzen- und das Hamsterstofftiergedicht zu überschlagen, um dann - leider - doch noch an "Unnützer Mensch" hängen zu bleiben: "Sag mir, ob Geisterfahrer Geist erfahren. / Sag, wo geht der Druck der Depressiven hin? / Und ob ein Weinglas Tränen birgt - / Wie ist das, wenn du Lusttod stirbst? // Sag mir, ob Totentänze Tote tanzen. / Sag, schließt Freiheit Gefangenschaft mit ein? Und ob Neurosen rosig duften - / Wie ist das, wenn du dich überlebst?" Ein Gedicht, das als Spontanreaktion vor allem zwei - zugegebenermaßen wenig akademische - Worte und ein Satzzeichen evoziert: "au weia!" Cojocaru, so steht zu befürchten, meint es in diesem Fall wohl tatsächlich ernst mit ihren sprachspielerischen Plattitüden - und es erweist sich einmal mehr, dass gut gemeint eben leider doch meist das Gegenteil von Kunst ist.

Mag die 1980 geborene Verfasserin dieser Zeilen auch noch vergleichsweise jung sein, so ist sie doch so jung nicht mehr, dass man ihr diese Pennälerverse tatsächlich als Lyrik durchgehen lassen könnte. Ebenso wie "Unnützer Mensch" wirkt das Gros ihrer Texte zu unausgereift, unüberlegt und selbstverliebt-vorschnell hingeworfen, ihre in "Leda" noch mutig benutzten Reime schon bald zu angestrengt-konstruiert, als dass ihr Band auch nur annähernd überzeugen könnte. Apropos ihrer wiederholten Verwendung von Baum-Metaphern merkt die Verfasserin am Ende des Bandes (unnötig prätentiös) an, dass sie sich dabei auf Kant beziehe, in dessen Werk Bäume ebenfalls eine wichtige Rolle spielten. Betrachtet man ihre Gedichte im Hinblick auf die Lebenserwartung dieser Cellulose-Lieferanten, so offenbart sich dabei ein unerwarteter, jedoch kaum zu überbietender Vorteil der Publikation ihres Bandes als book on demand: Dadurch bleibt es hoffentlich möglichst vielen Bäumen erspart, für die Produktion von "Näherungsweise" einen leider gänzlich sinnlosen Tod zu sterben.

Lyrisch sehr viel erfahrener als Cojocaru ist hingegen Björn Kuhligk, der nicht nur als Mitherausgeber der Anthologien "Lyrik von Jetzt" und "Lyrik von Jetzt zwei" fungierte, sondern daneben mittlerweile auch sechs eigene Lyrikbände veröffentlichte. Seine Sammlung "Es gibt hier keine Küstenstraßen", ursprünglich bereits 2001 erschienen, legt die "Lyrik Edition 2000" nun zum zweiten Mal auf. Das weckt natürlich Erwartungen an die potentielle Qualität des Bandes, die durch die (obligatorischen) Lobpreisungen des Klappentextes noch gesteigert werden: Ein "Asphalt-Rimbaud" sei Kuhligk, "halb humorig, halb pathetisch", dessen Lyrik gerade durch ihre "präzise Sinnlichkeit" überzeuge. Nachdem dadurch zumindest deutlich wird, dass "Sinnlichkeit" in der Lyrik offenbar gerade hoch im Kurs steht, sei ein erwartungsfroher Blick auf die Ausprägung derselben in Kuhligks Texten geworfen: Die insgesamt 61 Gedichte sind in vier Teile gegliedert, denen jeweils ein beziehungsweise zwei Zitate als Motti vorangestellt sind. Doch schon auf die ersten beiden hat sich seit der Erstveröffentlichung etwas Patina gelegt: Zeilen aus dem Tocotronic-Lied "Let there be rock" ("Wir haben gehalten in der langweiligsten Landschaft der Welt. Wir haben uns unterhalten und festgestellt, daß es uns hier gefällt") und aus dem Refrain des 1999er-Hits "Mfg" der Fantastischen Vier sollen die Leserinnen und Leser einstimmen auf das, was da kommt.

Was kommt, sind zunächst Gedichte über Berlin, das, so ist zu mutmaßen, in Ermangelung der eponymen "Küstenstraßen" zwar in der "langweiligsten Landschaft der Welt" liegt, Kuhligk ansonsten aber zu allerlei, zum Teil durchaus ,präzis-sinnlichen' Beobachtungen animiert ("Berlin I // Der Mond steht über / dem Taxistand an der Friedrichstraße / die Nacht läuft auf zwei Krücken / in den U-Bahnhof / der rumsteht wie ein Vorort // ein Penner läuft / an den Worten vorbei / spuckt einen Zahn aus / und schreit / daß er sich jetzt den Tod abholen geht [...]"). Allen Nicht-Hauptstädtern mag das nach dem vierten oder fünften Gedicht eventuell etwas zuviel Lokalkolorit sein, doch zeigt sich auch in den Gedichten der ersten Abteilung schon ein bestimmendes Merkmal der Lyrik Kuhligks - die Arbeit mit sprachlichen objet trouvés.

Kuhligk montiert, collagiert und konterkariert Sprachmaterial mit großer Begeisterung - allerdings nicht immer mit ebensolcher Überzeugungskraft. Seine Kontrafaktur zur DDR-Hymne etwa ("Auferstanden aus Radar- & Funkkontrollen / gesättigt von Ruine, Faust und Abgesängen / beerdigen wir am Morgen & fordern / Wein nach Bier") erweist sich als eher vorschneller Schuss aus der sich allzu hip suggerierenden lyrischen Hüfte. Auf die - gleichermaßen wenig überzeugende - Spitze treibt Kuhligk dieses Verfahren in "Wer hat": "Wer hat den Wein / ab 5 Uhr 45 / wird zurück / du sollst keine / andere Sprache / ein Loch / im Kopf / happy hour die Kugeln / zum halben / schön daß es dich / wer Worte / an den Haken / hat Leichen / unterm Laken eingeschleust".

Geografisch bringen die folgenden Abschnitte eine Ausweitung über Braunschweig, Stade, Hiddensee bis hin nach Belfast, New York und "Die Mitte Australiens". Dabei finden sich neben Gedichten, die wohl selbst an den wohlwollendsten Rezipienten vorbeirauschen dürften, ohne einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen ("Schornsteinfeger // Die Reste / der Wärme zu kehren / tragen sie schwarz / auf den Dächern"), auch solche, die zum zwei- bis dreimaligen Lesen einladen: "Endmoräne. Urstromtal // in memoriam Wolfgang Ellermann // Was hast du gedacht / als dir das Herz ausging // was dachte der Teppich / auf den dein Körper fiel / in einer Wohnung / in Chicago, nachts und nackt // was dachten die, die dich / in den Wagen hoben // was dachten deine Fingernägel / als sie weiterwuchsen". Vom Klappentext in gewohnt superlativischer Manier als "zum Besten [zählend], was Björn Kuhligk bisher geschrieben hat" angepriesen, erweist sich "Es gibt hier keine Küstenstraßen" insgesamt als durchwachsener Band, in dem sich durchaus Bemerkenswertes neben noch vergleichsweise Unausgegorenem findet.

Auf jeden Fall ist es der "Lyrik Edition 2000" durch die Aufnahme der Bände Cojocarus und Kuhligks in ihr Programm gelungen, zwei (relativ) neuen Stimmen in der deutschsprachigen Lyrik eine Plattform zu bieten. Die Tatsache, dass auf die berühmte Frage nach dem einen Buch, das man mit auf eine einsame Insel nehmen dürfe, wohl nur die wenigsten einen der beiden Bände nennen werden, tut diesem Verdienst kaum Abbruch.


Titelbild

Björn Kuhligk: Es gibt hier keine Küstenstraßen. Gedichte.
Lyrikedition 2000, München 2008.
84 Seiten, 9,50 EUR.
ISBN-13: 9783865203298

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Kein Bild

Mara-Daria Cojocaru: Näherungsweise. Gedichte.
Lyrikedition 2000, München 2008.
56 Seiten, 7,50 EUR.
ISBN-13: 9783865203267

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch