Das Scheitern des Pathos

Über die Neuauflage von Ernst Wiecherts "Der Totenwald"

Von Manuela LückRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manuela Lück

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ernst Wiechert (18. Mai 1887 - 24. August 1950), einer der meist gelesenen Autoren seiner Zeit, ist den meisten Lesern sicher durch seinen Text "Der Totenwald" bekannt. Wiechert, in Pierslawek, dem südlichen Ostpreußen, als Sohn eines Försters geboren, wurde zunächst Lehrer, bevor er diesen Beruf 1933 aufgab und nach Berlin übersiedelte, um sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. Seine erste Veröffentlichung "Der Totenwolf" (1923) schlug einen offen revanchistischen Ton an und so genoss er in den Folgejahren die Förderung durch den aufstrebenden Nationalsozialismus.

Trotz seiner Nähe zum konservativ-völkischen Gedankengut war sein Verhältnis zum NS-Regime eher ambivalent. Wiechert geriet nach öffentlichen Äußerungen (seinen Münchner Reden 1933 und 1935) zunehmend in Dissenz zur nationalsozialistischen Kulturpolitik. Das Regime wendete sich von dem Autor ab und streicht ihn beispielsweise von der Liste der 65 "wesentlichen Vertreter deutscher Kriegsdichtung". Als Wiechert Partei für Pastor Niemöller ergriff - ohne allerdings auf eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dessen Predigten einzugehen -, wurde er 1938 von der Gestapo verhaftet, verhört und nach Buchenwald gebracht. Es ist davon auszugehen, dass der eigentliche Grund für die Verhaftung nicht seine Abweichen von den kulturpolitischen Leitlinien des Nationalsozialismus war, sondern man wollte vermeiden, dass sein Einfluss auf die Öffentlichkeit die Kriegsvorbereitungen gefährden würden. Wiechert blieb zwei Monate in Buchenwald und wurde im August 1938, nach Unterwerfung und unter Androhung der physischen Vernichtung entlassen. Schon im Oktober 1938 nahm er in Weimar am Großdeutschen Dichtertreffen teil. Zunächst veröffentlichte er 1939 den Roman "Das einfache Leben". "Der Totenwald", geschrieben im gleichen Jahr und im Garten vergraben, wird nach Kriegsende 1945 veröffentlicht.

"Der Totenwald. Ein Bericht" ist einer von vielen Texten, die sich mit den Ereignissen in Buchenwald auseinandersetzen. Der Untertitel suggeriert einen sachlichen Bericht, der aber von der Subjektivität der Beschreibungen nicht eingelöst wird. Die fiktive Figur des Johannes, der als auktorialer Erzähler auftritt, wirkt distanziert und verweist in seiner Zeichnung unverkennbar auf den Autor. Wiechert sieht sich als Beobachter, als individuell Sehender, der nach der Wahrheit in der Kunst sucht und hier in einer "Symphonie des Todes" den Untergang des Abendlandes beschreibt.

Im Text werden die Umständen seiner Verhaftung, der Transport und sein zweimonatiger Aufenthalt in Buchenwald, neben seinem eigenen Leiden ("wie durch eine blinde Eisdecke") auch das seiner Mitgefangenen beschrieben. Das Leid der Anderen bezieht er aber immer wieder auf seine eigene Figur, denn "wer mitleidet, zerbricht" und so rät ihm ein Mitgefangener: "Du musst hindurchgehen, wie ein Stein". Wiechert blendet politischen Kategorien und Zugriffe aus und verharrt in einer religiös eingefärbten Märtyrerhaltung, was zum Teil nur als politisch naiv eingeschätzt werden kann. Der zu einer leeren Pose erhobene moralische Individualismus erscheint hohl, denn die politische Realität wird bis zum Schluss nicht erkannt. Der Erzählton wirkt larmoyant, was durch die stilisierte Bescheidenheit im Erzählgestus noch verstärkt wirkt. Johannes nimmt alles "wie ein Spiegel in sich auf" und "will nichts übersehen und nichts vergessen", er will "Zeugnis ablegen".

Diese Form der Erzählung, einer am Idealismus und der deutschen Romantik geschulte Ästhetik der Innerlichkeit, scheitert angesichts der Ergebnisse in Buchenwald, der massenhaften physischen Vernichtung der europäischen Juden. Wenn Wiecherts Erzählästhetik hier an ihre Grenzen stößt, so zerbricht nach und nach auch sein ideologisches Weltbild - allerdings, ohne dass er daraus irgendwelche Konsequenzen zieht. Er ist ist für ihn nur voraussehbar, dass dieses Reich zerfallen wird. "Der Totenwald" ist der ärgerliche Text eines Mannes, dessen konservativ-ideologische Werte nicht am Nationalsozialismus zerbrechen, sondern dies alles als "undeutsch und asiatisch" bezeichnet. Die Unterscheidung in der Beschreibung der Leiden seiner Mitgefangenen zwischen individuellem und kollektivem Leid, in Juden und Nicht-Juden, führt eine Opfer-Konkurrenz und eine vor allem in der in der Nachkriegszeit aufrecht erhaltene Haltung der Entlastung und Ent-Persönlichung der jüdischen Opfer weiter. Trotz dieser Anmerkungen enthält der Text einige Passagen, in denen er sachlich das Grauen beschreibt und die auch heute noch als lesenswert gelten können. Aber es überwiegt der Eindruck der eigenen Selbststilisierung und des Unvermögens, den Ereignissen anders als mit verträumt-religiösen Begriffen beizukommen. Hier scheitert nicht nur eine Ästhetik, sondern eine ganze Generation.


Titelbild

Ernst Wiechert: Der Totenwald. Ein Bericht.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
184 Seiten, 13,80 EUR.
ISBN-13: 9783518224250

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