Wirklich nette Leute werden nicht umgebracht

Isabel Rohners Kunstkrimi

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Will ein Autor - oder in diesem Fall eine Autorin - die Lesenden bei der Stange halten, heißt es zunächst mal, sie möglichst schnell für sich beziehungsweise das Buch zu gewinnen. Handelt es sich um einen Krimi, gilt es also, schleunigst Spannung aufzubauen und am besten schon auf der ersten Seite einen Mord zu begehen. Linn Kegel, die als fiktive Autorin mit einer Gesellschaftssatire reüssierte, schafft das schon im ersten Satz. Sehr viel weiter kommt sie vorerst allerdings nicht.

Ihre Schöpferin Isabel Rohner hingegen schon. Zwar hat sie ebenfalls einen Krimi geschrieben, doch Spannung kann und will sie nicht erzeugen. Dafür ist ihre "KunstmörderIn" ziemlich lustig und das nicht nur, weil sich ihr Buch eine Reihe Scherze erlaubt, etwa über die Ehe, die mit Stöckelschuhen gemein habe, dass sie "lebensgefährlich und ansonsten komplett überflüssig" sei. Doch ist der Humor nicht etwa ein unzulänglicher Ersatz für die fehlende Spannung, denn schließlich handelt es sich bei dem vorliegenden Buch - unter anderem - um eine Krimi-Satire.

Literarische Schwächen, wie die mehrfache Wiederholung ausgefallener Worte auf ein und der selben Seite und manchmal gar innerhalb weniger Zeilen, können daher nur gewollt sein. Doch dass einer der deutschen Figuren mal ein typisch schweizerisches Verb entschlüpft, ist der in St. Gallen geborenen Autorin vermutlich unbeabsichtigt unterlaufen. Und vielleicht hätte Rohner den Lesenden auch nicht allzu deutlich auf die Nase binden sollen, welchen Beitrag die zahlreichen Täter zum vielfältig vollbrachten Mord leisten.

Aber dieser Konventionenbruch gehört wohl zu dem Spiel, das die Autorin mit ihrem Plot, ihren Figuren, den literarischen Formen und auch den Lesenden treibt. Ebenso wie einige oberflächliche Gemeinsamkeiten zwischen der Autorin und ihrer Protagonistin, welche die ahnungslosen Herren Literaturwissenschaftler und -kritiker offenbar in die Falle der biografistischen Lesart locken sollen und mit dem Klischee spielen, Frauen könnten nur über sich selbst und Selbsterlebtes schreiben, nicht aber 'wirklich' literarisch.

Zwar ist die literarische Tätigkeit eigentlich gar nicht Rohners Metier, doch die Autorin arbeitet offenbar an zwei Schreibtischen, einem wissenschaftlichen und einem literarischen. An dem einen hat sie jüngst ihre Dissertation "In literaris veritas" fertig gestellt und werkelt außerdem seit einigen Jahren gemeinsam mit Nicola Müller an der kommentierten Werkausgabe Hedwig Dohms. An dem anderen hat sie den vorliegenden Krimi verfasst.

Die Wissenschaftlerin kann sie aber auch hier nicht verleugnen. Im Gegenteil, der Witz des Buches lebt nicht zuletzt von den wissenschaftlichen Kenntnissen seiner Autorin. Denn natürlich muss auch in einem Krimi "ein bisschen Bildungsanspruch" sein. Kaum hat die Protagonistin diese Weisheit verkündet, führt die ErzählerIn ihren Kommissar auch schon in die Tiefen der Philosophiegeschichte und lässt ihn zu dem Schluss kommen, dass John Locke vermutlich nichts gegen den Mord an Gabi Piller einzuwenden gehabt hätte.

Nicht nur ein bisschen Bildungsanspruch, sondern auch ein bisschen Sex muss sein. Darüber soll hier aber nichts verraten werden. Wer sich für die sexuellen Vorlieben, Gepflogenheiten und Beziehungen der Figuren interessiert, muss schon zu dem Buch selbst greifen.

Um dem Bildungsanspruch gerecht zu werden und da intertextuelle Bezüge "schwer in Mode" sind, räubern sich die fiktive und die reale Krimischreiberin skrupellos einmal quer durch die Literatur- und Kunstgeschichte, wobei der Roman auch schon mal hochaktuell ist. So werden etwa die "Feuchtgebiete" einer Videoclip-Moderatorin außer Dienst durch den intertextuellen Kakao gezogen. Rohners obsessives Spiel mit den Namen der Figuren könnte man hingegen fast übertrieben finden. Ob nomen aber wirklich omen ist, wie eine der Figuren meint, sei dahingestellt.

Doch persifliert der Roman nicht nur Inhalte, sondern auch Formen des Genres und übernimmt etwa das bei Krimi-Heften nicht ganz unübliche Personenverzeichnis. Eine der Figuren nennt die Autorin sogar zweimal. Auch wird die selbstverliebte Unart auf die Schippe übernommen, die Lesenden über den während der Arbeit anfallenden Verzehr oder die Anzahl der gerauchten Zigaretten mitzuteilen. Wer interessiert sich etwa schon dafür, dass beispielsweise während der Dreharbeiten zu Edgar Reiz' "zweiter Heimat" zweiundvierzig Hektoliter Kaffee verbraucht wurden, außer den Mitwirkenden selbst? Die damit völlig überflüssigerweise noch einmal betonen möchten, was für ein Mammut-Projekt sie da doch gestemmt haben. Rohner verzeichnet allerdings nicht ihren eigenen Verzehr, sondern den ihrer Figuren - wenn auch nur lückenhaft.

Zum Inhalt des Buches nur so wenig, wie es der Besprechung eines Kriminalromans ansteht: Während sich die Protagonistin mit den fiktiven Morden auseinandersetzt, klingelt ihr Telefon und eine Freundin berichtet ihr von einem realen Fall. Gabriele Piller, die allseits gehasste Leiterin des Bereichs "TV und Film International" der Künstleragentur Ars Artis, wird ebenso nackt wie tot im Bett ihres Schlafzimmers aufgefunden und das Geschehen kann seinen Lauf nehmen. Linn Kegels Versuche, dem Fall mit Spekulationen oder gar mit Logik beizukommen, scheitern allerdings, denn selbst dem "besten Mörder" kann ein "blöder, nicht einkalkulierter Zufall" das Handwerk verderben.

Ob der spielerische Titel aber meint, hier werde kunstvoll gemordet, die Kunst werde ermordet oder gar, es werde für die Kunst gemordet, verrät bereits der Klappentext - oder auch nicht. Hier jedenfalls zu guter letzt noch ein guter Rat: Leute, seid nett! Denn "wirklich nette Leute werden nicht umgebracht".


Titelbild

Isabel Rohner: KunstmörderIn. Roman.
trafo verlag, Berlin 2008.
176 Seiten, 11,80 EUR.
ISBN-13: 9783896268112

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