Der Letzte der Wiener Moderne

Über zwei Neuerscheinungen zum 100. Geburtstag Friedrich Torbergs

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er galt neben Elias Canetti als der letzte Vertreter eines goldenen Zeitalters, der Wiener Moderne. Er selbst sah mit sich die "österreichisch-jüdische [...] Kultursymbiose" zu Ende gehen. Dennoch hatte der schönste Tag im Leben des Friedrich Torberg nichts mit Literatur zu tun: Es war der Tag im Jahr 1928, als er unter seinem Kampfnamen "Schani Kantor" mit Hagibor-Prag tschechoslowakischer Wasserballmeister wurde - und beide Tore zum 2:0-Sieg warf.

Ein Triumph, in dem sich nicht nur Torbergs Sportbegeisterung manifestierte, sondern auch sein jüdisches Selbstbewusstsein. Denn es waren die Erfolge jüdischer Mannschaften wie Hagibor oder im Fußball die legendäre Wiener Hakoah, die Torberg sein Leben lang vor allen Anfechtungen jüdischen Selbstzweifels gefeit sein ließen.

Wie sensibel Torberg dennoch für den in seiner Generation typischen jüdischen Minderwertigkeitskomplex war, zeigt seine 1943 erschienene Novelle "Mein ist die Rache". Es ist eine schockierende Verstrickung, um die dieser Text kreist: Nämlich die zwischen der jüdisch-religiösen Identität und den antisemitischen Stereotypen der NS-Propaganda. In dem frühen Zeugnis der KZ-Literatur stehen sich zwei Figuren gegenüber: der Rabbinatskandidat Joseph Aschkenasy und der sadistische Lagerkommandant Hermann Wagenseil, dessen perversen Ideen dem Ich-Erzähler "wie ein teuflischer Negativ-Abdruck der Worte Aschkenasys" vorkommen.

Während Aschkenasy seinen Mitgefangenen erklärt, es stehe ihnen nicht zu, Gottes Rache vorwegzunehmen und gegen die Nazis aufzubegehren, macht Wagenseil sich einen Spaß daraus, seine Opfer der Reihe nach so lange zu foltern, bis einer nach dem anderen bereit ist, vor seinen Augen Selbstmord zu begehen - und so unfreiwillig Wagenseils Bild vom "moralisch defekten", feigen Juden zu bestätigen. Torbergs gepeinigten Ich-Erzähler wird die Frage: "Hinnehmen und auf Gott vertrauen oder sich zur Wehr setzen?" am Ende zwar nicht in den Tod, wohl aber in die Schizophrenie treiben.

Entstanden ist das Werk in den vielen ansonsten beschäftigungslosen Stunden in den Studios der Warner Brothers in Hollywood, denn wie andere Emigranten hatte auch Torberg in der amerikanischen Filmindustrie Unterschlupf gefunden. Zum hundertsten Geburtstag des Autors ist die Novelle jetzt in einer kommentierten Neuausgabe erschienen: Ein noch immer viel zu wenig bekanntes, unverändert aufregendes Glanzstück der Torberg'schen Epik.

Mit dieser Novelle wollte der Autor sein ihm fremd gewordenes Frühwerk - eine aus vier heute größtenteils vergessenen Romanen bestehende, eher unpolitische Bestandsaufnahme seiner Generation - hinter sich lassen. Erste Leser wie Torbergs Mentor Max Brod erkannten aber vor allem Kontinuitäten. Tatsächlich liegen die Parallelen zwischen dem SS-Mann Wagenseil und "Gott Kupfer", dem sadistischen Lehrer aus Torbergs berühmten Erstling "Der Schüler Gerber", auf der Hand. Der teilweise autobiografische Schülerroman machte seinen Autor, der 1908 unter dem Namen Friedrich Ephraim Kantor als Sohn eines Spirituosenfabrikdirektors geboren wurde, 1930 schlagartig berühmt und verschaffte ihm Zutritt zu den erlauchtesten Kaffeehaus-Kreisen. In Rekordzeit avancierte das zwischen Prag und Wien pendelnde literarische Multitalent zum gefragten Theaterkritiker und Feuilletonisten; Freundschaften mit Alfred Polgar und Karl Kraus, seinen sprachlichen Lehrmeistern, entstanden.

Als Torberg 1951 nach seiner Rückkehr nach Wien gefragt wurde, ob er sich als amerikanischer Schriftsteller fühle, antwortete er: "Nein, als europäischer. Der Sprache nach: als deutscher. In Bezug auf Herkunft, Tradition und literarische Zugehörigkeit: als österreichischer. Aufgrund der sittlichen Fundamente, denen ich verpflichtet bin: als jüdischer." Die Schilderung der schwierigen Exil-Jahre gehört zu den eindrucksvollsten Partien in David Axmanns Torberg-Buch, das sich vollmundig als "Die Biographie" präsentiert.

Anekdoten- und zitatenreich, aber auch sympathisch diskret, wo es um Torbergs reges Liebesleben geht, bietet der Verwalter von Torbergs literarischem Nachlass eine überwiegend lesenswerte Lebensbeschreibung.

1940 hatte Torberg nach einer abenteuerlichen Flucht über Frankreich, Spanien und Portugal als einer von "Ten Outstanding German Anti-Nazi Writers" in die USA einreisen können, war dort aber nie heimisch geworden.

So fremd dem Überzeugungskakanier der american way of life auch blieb, an seiner lebenslangen Dankbarkeit für seine Retter änderte sich auch dann nichts, als er neben dem Kritiker Hans Weigel längst zur zentralen Figur des österreichischen Nachkriegskulturbetriebs geworden war. Seinen Aufstieg verdankte er vor allem seiner Tätigkeit als Herausgeber der Monatsschrift "FORVM", einer über den "Kongress für kulturelle Freiheit" letztlich von der CIA finanzierten Zeitschrift, mit der der streitbare Antikommunist seinen Lesern höchst erfolgreich "Politik unter dem Vorwand von Kultur" verkaufte, wie er es selbst formulierte.

Was die einst von Frank Tichy aufgedeckten Verbindungen Torbergs zum amerikanischen Geheimdienst angeht, so erfährt man bei Axmann nichts Neues. Sie werden von ihm ebenso verharmlost wie Torbergs hysterische und für die Betroffenen mitunter existenzgefährdende Jagd nach "Krypto-Kommunisten" und "Fellowtravellern", die Intrigen gegen seine Lieblingsfeinde wie die "Filzlaus" Hilde Spiel, die Torberg als Präsidentin des österreichischen PEN zu verhindern wusste. Oder dem aus heutiger Sicht bizarr anmutenden österreichischen "Brecht-Boykott", den Torberg initiierte und der immerhin bis 1962 andauerte.

Deutlich wird an Axmanns Lebensbeschreibung allerdings, wie sehr Torbergs literarisches Talent nach dem Krieg erstickte: Unter seinem politischen Kampf, seiner rastlosen Vortragstätigkeit als "Jud vom Dienst" und seinen vielfältigen publizistischen Aktivitäten, die bis zur umstrittenen Bearbeitung der Werke Fritz von Herzmanovsky-Orlandos und den Übersetzungen der Werke Ephraim Kishons reichten.

Mit seiner Verachtung für die "Koexistenzler", die Heinrich Bölls, Wolfgang Koeppens und Martin Walsers, verlor der bekennende Konservative in den späten 1960er-Jahren den Anschluss an die Avantgarde. Als bedeutender Schriftsteller meldete sich Torberg, der nie einer der ganz Großen gewesen war, erst zum Schluss zurück: weniger mit seinem vermeintlichen Opus magnum, dem Roman über Süßkind von Trimberg, als mit seiner brillanten Anekdotensammlung "Die Tante Jolesch" und dem bereits auf der Flucht entstandenen Roman "Auch das war Wien", der erst 1984, fünf Jahre nach Torbergs Tod, erschien.


Titelbild

David Axmann: Friedrich Torberg. Biographie.
Buchverlage LangenMüllerHerbig, München 2008.
320 Seiten, 19,30 EUR.
ISBN-13: 9783784431383

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Titelbild

Friedrich Torberg: Mein ist die Rache. Novelle.
Herausgegeben von Marcel Atze.
dtv Verlag, München 2008.
105 Seiten, 7,90 EUR.
ISBN-13: 9783423136860

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