Zunehmende Differenzierungen

Mahmut Karakus untersucht "interkulturelle Konstellationen" ,deutsch-türkischen' Schreibens

Von Kirsten PrinzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kirsten Prinz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die derzeitigen Diskussionen um die Wahrnehmung und Benennung einer 'türkisch-deutschen' Gegenwartsliteratur spiegeln häufig ein Dilemma wieder: Einerseits scheinen sich Romane beispielsweise von Emine Sevgi Özdamar, Feridun Zaimoglu oder Yadé Kara mal mehr, mal weniger stark auf einen Migrationshintergrund zu beziehen, andererseits führt jedoch die Benennung von Romanen und Autoren als 'deutsch-türkisch' beziehungsweise 'türkisch-deutsch' zu einer Verengung und Festlegung von Lesarten und Deutungen.

Um so erfreulicher ist der Ansatz von Mahmut Karakus, der in seinem Buch die Bezeichnung 'deutsch-türkisch' nutzt, um mit ihr Schreibweisen von als 'deutsch' geltenden Autorinnen und Autoren zu untersuchen. Im Zentrum steht unter anderem die Frage, wie Repräsentationen des 'Türkischen' erzählerisch produziert werden. Behandelt werden Texte von Barbara Frischmuth, Sten Nadolny, Barbara Yurtdas, Christoph Peters, Hermann Schulz, Jakob Arjouni, Maxim Biller und Martin Mosebach.

Ausgangspunkt bildet Edward Saids These vom Orient als einem westlichen Konstrukt, das erst die Repräsentationen und Wahrnehmungsweisen von und über den Orient verfestigt. Diese Repräsentationen konstituieren jedoch nicht nur den Orient, sondern sagen auch etwas über den Sprechenden aus, insofern sich dieser gegenüber seinem 'fremden' Objekt positionieren muss. Hieraus zieht Karakus Rückschlüsse für die von ihm untersuchten Texte. Zentral ist für ihn beispielsweise, welches Verhältnis zwischen dem Eigenen und dem Fremden im jeweiligen Werken existiert, ob und wie der Dialog zwischen beiden Parteien stattfindet, ob er von einer gegenseitigen Anerkennung begleitet wird oder die Vereinnahmung die Oberhand gewinnt. Zudem wird neben einer Analyse dieser interkulturellen Konstellationen deren ästhetische Verarbeitung untersucht.

Während die Einleitung unter anderem auf theoretische Positionen Edward Saids und hybride Kulturkonstruktionen Bezug nimmt, überwiegt jedoch in den sich anschließenden Einzelanalysen eine textnahe, weniger theorieorientierte Vorgehensweise. Hier hätte man sich über die ausführliche und detaillierte Einzeltextanalyse hinaus eine stärkere Zusammenschau und eine übergreifende Thesenbildung gewünscht, um eine stärkere Orientierung zur Einordnung der Schreibweisen in den jeweiligen Texten zu erlangen. Eine um so größere Rolle kommt somit den Schlussbetrachtungen zu, in denen Karakus übergreifende Themen und Argumentationsprinzipien zur Darstellung interkultureller Konstellationen herausstellt. Kennzeichnend für einige Texte sei beispielweise eine "Imagekorrektur". Dabei handelt es sich um eine im Erzählverlauf angelegte zunehmend differenzierte Darstellung und Wahrnehmung des 'Fremden' beziehungsweise des 'Türkischen'. Zudem unterscheidet er zwischen Romanen, in denen der Schauplatz in der Türkei situiert ist, und solchen, die sowohl in Deutschland als auch in der Türkei spielen. In diesem Zusammenhang analysiert Karakus die Bedeutung der jeweiligen Schauplätze. So fragt er unter anderem, ob es sich hierbei um eine Gegenüberstellung oder um eine Scheinkontrastierung kultureller Welten handelt, die im weiteren Handlungsverlauf aufgehoben wird.

Auch im Hinblick auf die Argumentationsweisen bedienen sich die Texte nach Karakus häufig bei der Darstellung interkultureller Konstellationen der Kontrastierung und antithetischer Verfahren. Jedoch wird diese Oppositionsbildung auch häufig in den Texten wiederum hinterfragt oder auch ironisiert.

Eine grundsätzlich dichotome Wahrnehmung (wie auch deren Durchbrechung) mag zwar in den Texten selbst angelegt sein. Es bleibt dennoch zu fragen, inwiefern über solche analytische Zugänge zusätzlich kontrastive, bipolare Wahrnehmungsweisen erst eingeführt werden. Hier wäre eine ausführlichere und vor allem kritischere Reflexion über den im Untertitel genannten Begriff der "interkulturellen Konstellation" wichtig gewesen, zumal 'inter' schnell in dem Verdacht gerät das 'Eine' und das 'Andere' erst zu (re)produzieren.

Dennoch hat Karakus mit diesem Buch eine grundlegende Arbeit geleistet und das in mehrfacher Hinsicht: Er eröffnet Perspektiven und lenkt die Aufmerksamkeit auf einen bislang kaum wahrgenommen Aspekt der deutschsprachigen Gegenwartliteratur und bietet mit seinen Interpretationen eine wichtige Ausgangsbasis für weitere Debatten und Deutungen.

Mahmut Karakus: Interkulturelle Konstellationen. Deutsch-Türkische Begegnungen in deutschsprachigen Romanen der Gegenwart.


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Mahmut Karakus: Interkulturelle Konstellationen. Deutsch-Türkische Begegnungen in deutschsprachigen Romanen der Gegenwart.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2006.
182 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-10: 3826033620

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