Das innere Klagenfurt

Frauke Meyer-Gosau reist Ingeborg Bachmann entgegen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Klagenfurt, Wien, Paris, Ischia, Berlin und Zürich - das sind die wichtigsten Stationen auf Ingeborg Bachmanns Lebensweg. An allen hat sie längere Zeit, oft jahrelang Halt gemacht; und manche hat sie wiederholt aufgesucht. Die Literaturkritikerin Frauke Meyer-Gosau ist ihr nun nachgereist. Nein, das trifft nicht ganz zu. Nicht nach-, entgegengereist ist sie der gebürtigen Klagenfurterin. So lautet der Titel des vorliegenden Buches folgerichtig "Eine Reise zu Ingeborg Bachmann". Denn Meyer-Gosau nimmt Bachmanns Spur in Rom auf, dem letztem Wohnort der österreichischen Schriftstellerin. Hier erlag sie 1973 den schweren Brandverletzungen, die sie sich einige Wochen zuvor zugezogen hatte, nachdem sie mit einer brennenden Zigarette eingeschlafen war. Von Rom aus begibt sich die Autorin über die genannten Stationen immer tiefer in die Vergangenheit Bachmanns.

Um einen Blick hinter die sich um Bachmann rankenden "Legenden" zu werfen und "Geschichten von der alltäglichen Ingeborg Bachmann" zu hören, hat Meyer-Gosau Freunde, Bekannte und Verwandte der Literatin aufgesucht und für Gespräche gewinnen können, die auch schon mal etwas länger dauerten als vereinbart. Damit der Kontrast zwischen der Legende und dem Menschen Bachmann auch richtig zur Geltung kommt, referiert sie des öfteren die bekannten Bachmann-Mythen und überhöht sie gerne noch einmal, etwa zum "Bild der weihevollen Priesterin" und der "Göttin der Dichtkunst". Das Bild, das sie selbst von der jungen Ingeborg Bachmann entwirft, widerspricht dem Klischee jedoch nicht in allen Punkten. So betont Meyer-Gosau zwar, dass die Literatin in ihren "frühen Tage[n], eine weltzugewandte und lebenslustige" und "keinem Vergnügen abholde Person" gewesen sei, charakterisiert sie jedoch auch als "zielstrebig" und "beharrlich". Zudem sei sie mit "Raffinesse" ausgestattet gewesen, was nicht nur einem Bachmann -, sondern auch einem Weiblichkeitsklischee entspricht.

Dabei interessiert sich Gosau-Meyer über die Person - und das Werk - Ingeborg Bachmanns hinaus fast ebenso sehr für die "Anblicke" der Städte und Landschaften, "wie sie heutigen Reisenden begegnen", um in ihnen diejenigen "zu spiegeln, die uns aus Ingeborg Bachmanns Gedichten, Erzählungen und Romanen entgegenkommen". So ist nicht nur ein Buch für Literatur- und Bachmann-Interessierte entstanden, sondern auch eines "für all jene, die gern unterwegs sind". Und man mag die Autorin gerne begleiten, denn sie ist eine stets kurzweilige und nie aufdringliche Reiseführerin. Manche der gegenwärtigen Spiegelungen sind dabei allerdings nicht erfreulich, sondern vielmehr erschreckend. Zum Beispiel muss die Autorin in einem in der Wiener Ungargasse gelegenen Restaurant plötzlich die "Fanfare des Heeresberichts aus dem Rundfunkprogramm des 'Großdeutschen Reiches'" hören. Die triumphalen Klänge kommen aus dem Handy eines Gastes am Nebentisch. Bachmanns frühe Erzählung "Unter Mördern und Irren" hat also "ihre Gültigkeit behalten", konstatiert die entsetzte Autorin.

Ein zentrales Ziel des Buches ist bereits angeklungen: Meyer-Gosau möchte nicht nur herausstellen, wie sich Städte und Landschaften, sondern auch die Biografie der Schriftstellerin in Bachmanns Werken darstellen. Denn wer ihre Gedichte, Erzählungen und das "Todesarten"-Projekt liest, werde auch mit ihren "Lebensstationen" bekannt werden. Ebenso stieße, wer ihrer "äußeren Lebensbewegung" folgt, immer wieder auf ihr Werk. Sicher stellen sich Bachmanns Leben und Werk Meyer-Gosau nicht ganz zu unrecht sehr verwoben dar. Hans Höller bemerkt im Gespräch mit der Autorin durchaus zutreffend, in dem Roman "Malina" sei "[a]lles Biographische [...] immer ganz eng mit dem Werk verschränkt", daher könne keineswegs von einer "strengen Trennung von Kunst und Leben" gesprochen werden.

Dennoch lässt sich Meyer-Gosau immer wieder zu allzu biografischen, gelegentlich fast biografistischen Lesarten verführen, sowohl im Großen und Ganzen wie auch in manchem noch so kleinen Detail. Spricht sie etwa gerade davon, dass Bachmann nicht kochen konnte, fällt ihr unweigerlich ein "wie das weibliche Ich im 'Malina'-Roman in komischer Verzweiflung Kochbücher zu wälzen beginnt".

Erfährt sie von den Bachmann-Vertrauten Inge von Weidenbaum und Christine Koschel, dass Bachmann stark kurzsichtig war (minus dreizehn Dioptrien), verlockt sie das sogleich dazu, in Miranda, der Protagonistin der Erzählung "Ihr glücklichen Augen", ein "verstecktes Selbstporträt" der Literatin zu vermuten. Immerhin aber dient ihr die Kenntnis von Bachmanns Kurzsichtigkeit dazu, die Hintergründe eines sich hartnäckig haltenden Bachmann-Klischees zu erhellen: Keineswegs habe Bachmann gerne hilfsbedürftige Ungeschicklichkeit vorgetäuscht. Dass sie allenthalben Manuskriptblätter durcheinander brachte und Taschentücher fallen ließ, sei eben dieser Kurzsichtigkeit anzulasten, während die Herrenwelt der Zeit darin nur allzu gerne "eine typisch weibliche Verhaltensweise erkannten, ein Zeichen ihrer charmanten Hilfsbedürftigkeit."

Meyer-Gosaus Neigung zu biografi(sti)schen Kurzschlüssen geht sogar soweit, dass das Ende des Romans "Malina" für Assoziationen zum "realen Ende" seiner Autorin herhalten muss, womit sie auch einem schlechten, von nicht wenigen Bachmann-InterpretInnen gepflegten Usus anhängt. Hingegen nimmt sie beinahe erstaunt zur Kenntnis, dass zwar die Romanfigur Franza als Erwachsene den "Friedensretter" aus ihrer Nachkriegsjugend "noch einmal wiedertreffen wird", es in Bachmanns "realem Leben" hierzu jedoch "kein Äquivalent" zu geben scheint. All dies überrascht bei einer so beschlagenen Literaturkritikerin wie Meyer-Gosau doch sehr. Und zwar umso mehr, als sie gemeinsam mit Bachmanns Schwester Isolde Moser über die "umweglos autobiografische Lektüre" einer Sekretärin von Siegried Unseld nur lachen kann, die angesichts des Traum-Kapitels zur Autorin des Romans gesagt haben soll: "Um Gottes Willen, Frau Bachmann, das ist ja furchtbar, was Ihnen alles passiert ist!"

Schließlich weiß natürlich auch Meyer-Gosau, dass ein auf das Biografische "eingeschränkter Erzählradius" für eine Autorin von dem Schlag Ingeborg Bachmanns nicht in Frage kam, und es sich bei "Malina" keineswegs um eine "gegen die Person Max Frischs gerichtete Racheschrift" handelt. Vielmehr geht es Meyer-Gosau zufolge in dem Buch um eine "Gesellschaftsanalyse mit literarischen Mitteln, entwickelt aus der kleinsten sozialen Einheit heraus, der Beziehung zwischen Männern und Frauen." Doch diese - zwar zutreffende, letztlich aber auch wieder eindimensionale, da der Vielschichtigkeit des Romans und Bachmanns Oeuvre insgesamt nicht gerechtwerdende - Erkenntnis tritt immer wieder hinter ihre biografische Lektüre der Werke zurück.

Selbstverständlich präsentiert Meyer-Gosau auch etliche originelle, ja erhellende Gedanken. Etwa, wenn sie erklärt, warum der "Gestus des Patriarchen", mit dem Max Frisch das Hörspiel "Der gute Gott von Manhattan" in einem Brief an die ihm da noch unbekannte Ingeborg Bachmann lobte, auf diese seinerzeit geradezu als Geste eines "ungewöhnlichen, emanzipierten Mannes" wirken konnte. Die Insinuation, Bachmanns Entschluss, ihn sogleich zu treffen, habe darauf gezielt, "die Frau an der Seite eines künstlerisch geachteten Mannes und dabei weiterhin selbst Dichterin, ja, prima inter pares zu sein, dies alles von einem gesicherten materiellen Boden aus", ist hingegen ungleich weniger überzeugend. Auch wenn Meyer-Gosau sogleich ein wenig zurückrudert und erklärt: "Es brauchte, um zu diesem Resultat zu gelangen, kein strategisches Getüftel, auch Berechnung war nicht vonnöten. Ein leicht gelenkter Zufall reichte aus, und das Übrige fügte sich zusammen."

Den 1991 verstorbenen Max Frisch konnte die Autorin auf ihrer Reise zu Ingeborg Bachmann zwar nicht mehr aufsuchen, aber eine Reihe sicher ebenso interessanter GesprächspartnerInnen. An vorderster Stelle ist da Hans Werner Henze zu nennen, und dies nicht nur, weil Meyer-Gosau mit ihm das erste Gespräch führte, bei dem er die "tote Dichterin" in einem aus "plastisch geschilderten kleinen Szenen" gebildeten Mosaik wieder auferstehen ließ, "das Facetten ihrer Persönlichkeit zeigt, von denen wir nichts geahnt haben". In weiteren Begegnungen sprach sie mit Hans Höller, der jüngst als Mitherausgeber der Korrespondenz, die Bachmann und Henze führten, sowie des Briefwechsels zwischen der Österreichischen Literatin und Paul Celan hervortrat. Nicht nur das Briefgeheimnis verstand die in der Handschriftenabteilung der Österreichischen Nationalbibliothek unter anderem für den Nachlass Bachmanns zuständig Hofrätin Dr. Eva Irblich im Gespräch mit der Autorin zu wahren. Christine Weidenbaum und Inge von Koschel, die von der Autorin ebenfalls aufgesucht wurden, haben nicht, wie Meyer-Gosau meint, "die Gesamtausgabe" von Bachmanns Werken, sondern nur eine bescheidener und auch treffender "Werke" betitelte Ausgabe herausgegeben. Isolde Moser schließlich bereichert das Buch um Erzählungen aus der gemeinsamen Kindheit mit ihrer Schwester Ingeborg, ohne dabei im rein Anekdotischen stecken zu bleiben.

Manche Mitteilung über- oder missinterpretiert Meyer-Gosau. So spricht sie Bachmann ein "Bedürfnis nach Enge, Nähe, Übersichtlichkeit" zu, nach einem Leben, das sich - wie Meyer-Gosau immerhin vermutet, "neben all dem Glanz" - "in ganz gewöhnlichen Bahnen [...] bewegte und gerade in seiner Gewöhnlichkeit Halt versprach, einhegend und stützend zugleich". Sie sei es eben "nicht losgeworden, das innere Klagenfurt". Bachmanns neben anderen Lebenshoffnungen womöglich tatsächlich vorhandener Wunsch nach einer kleinbürgerlichen Lebensführung schmückt sie angesichts der hier doch recht dürftigen Quellenlage zu einer Sehnsucht nach einer allzu konservativen Familien'idylle' mit dem entsprechenden Frauen'glück' aus. Doch dass sich Hans-Werner Henze daran erinnert, er und Bachmann hätten sich auf Ischia "manchmal [vorge]stellt, dass wir Kinder hätten, die dann mittags mit ihren kleinen Ranzen nach Hause kämen und fröhlich 'Guten Tag, Mamá! Guten Tag Papá!' sagen würden", kann die Vermutung, Bachmann habe "sich ein Familienleben mit Mann und Kinder gewünscht [...], ein geordnetes Ambiente mit klassischer weiblicher Rollenbeschreibung", nicht wirklich hinreichend plausibilisieren.

Auf ein Unterredung mit einer Person, die sich gerne als Bachmann-Freund und -Begleiter ins Gespräch bringt, hat Meyer-Gosau hingegen verzichtet. Aus guten Gründen. Denn die Rede ist von Adolf Opel, selbst ein Autor dritten oder vierten Ranges, der Mitte der 1990er-Jahre mit tatsächlichen oder erfundenen Pikanterien aus Bachmanns Intimleben zu reüssieren versuchte. Allerdings räumt die Autorin den Ergüssen dieses - wie sie ihn allzu freundlich charakterisiert - "Gustav Gans des Beziehungswesens" einige Seiten ein, was man schon für zu viel der Ehre halten kann. Zwar nimmt sie die in seinem Buch über die gemeinsam mit Bachmann unternommene Reise nach Ägypten geschilderten Sexorgien nicht unbedingt für bare Münze und stellt anheim, "dass der gewesene Liebhaber sich mit diesem Coffee Table Book der besonderen Art offenbar nachhaltig am Ruhm der Schriftstellerin zu wärmen versuchte: Sex sells." Doch scheint sie nicht zu befürchten, mit ihren ausführlichen Zitaten dazu beizutragen, dass Opels Kasse auch künftig klingelt.

Insgesamt zeichnet Meyer-Gosau ein vielfach widerstreitendes und darum nicht unzutreffendes Bild der österreichischen Autorin. Denn Menschen sind nun mal so widersprüchlich wie das Leben selbst.


Titelbild

Frauke Meyer-Gosau: Einmal muss das Fest ja kommen. Eine Reise zu Ingeborg Bachmann.
Verlag C.H.Beck, München 2008.
237 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783406576867

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