Machtspiel

Tana Frenchs ungemein dichter Krimi über ein Ermittlerpärchen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ermittler haben ein merkwürdiges Problem: Sie sind hinter der Wahrheit her, und Wahrheit hat immer etwas mit Schuld zu tun. Aber ihr Verhältnis zur Wahrheit ist verwirrend gebrochen, wie Tana French ihren Ich-Erzähler Rob Ryan sagen lässt. Sie wollen den oder die Täter. Sie sind den Opfern verpflichtet - aber nicht immer lassen sich beide trennscharf auseinander halten und nicht immer visieren sie die Richtigen dabei an. Die Wahrheitsfindung gerät damit also mehr und mehr in ein perspektivisches Dilemma und zu einem sich selbst generierenden Spiel, an dessen Ende Sieger und Verlierer nicht klar sein müssen. Das einfache Schema von Opfer-Täter ist im Krimi mehrfach durchbrochen worden, sei es - im sozialkritischen Krimi der 1970er-Jahre - um klarzustellen, dass Täter immer auch Opfer sind. Oder sei es, weil in Krimis der letzten 15 Jahre Gewalt als omnipräsente Erscheinung verortet wird. Michel Foucault hätte seine helle Freude daran gehabt.

Problematisch ist daran nur die quasigenetische Wendung, die nicht weniger mythisch ist als die pathologischen Varianten der früheren Jahre: Gewalt wird zum unerklärlichen Phänomen einer Gesellschaft stilisiert, die sich ansonsten bemüht, sie zu umgehen, sie überflüssig und kontraproduktiv zu machen. Als ob eine zivile Gesellschaft, in der alles klärbar geworden ist, mit ihrem Antipoden konfrontiert werden muss, mit einer Gesellschaft, die nichts mehr regeln kann ohne Gewalt. Gewaltfreie Teile der Bevölkerung und Gewalttätige werden so übereinander angeordnet, dass die eine zum Gegenpart der anderen wird, wobei die zivile Gesellschaft mehr und mehr in Angst vor ihrem bösen Gegenbild erstarrt, das immer mehr Einfluss erhält, je mehr die dissoziativen Kräfte - die Jugend, die Gewalt, die Drogen, das Verbrechen, die Langeweile, die Zivilisation - gewohnte und notwendige Strukturen und Regeln zerstören.

Dieses denkwürdige Muster ist auch Tana Frenchs Krimi "Grabesgrün" unterlegt. Es ist zwar einigermaßen verdeckt und unauffällig, aber immerhin präsent. Denn treibender Faktor des Verbrechens und damit der Handlung ist eine psychopathische Figur, die die Welt um sich herum auf sich zuschneidet und jeden Widerspruch, jede Abweichung, jede Ignoranz bestraft. Noch mehr aber bestraft sie diejenigen, die ihr den Vorrang abstreiten. Denn wenn auch ansonsten nichts mehr von Belang ist, muss dieses Ego dennoch die Oberhand, die Herrschaft über ihre kleine Welt behalten. Die Figur reguliert, ordnet, straft und belohnt. Sie ist das Zentrum der Welt und nichts anderes hat neben ihr Bestand.

Diesem tektonischen Zentrum hat Tana French in ihrem beeindruckenden Szenario eine nicht weniger präzise profilierte Figur gegenübergestellt. Es ist ein Ermittler. Und Ermittler sind - was schon wieder Konvention geworden ist - unvollständige, defizitäre Helden. Zwar singen sie gelegentlich das Hohelied der Rationalität, jedoch halten sie sich selbst überhaupt nicht daran. Zumal dann, wenn sie der Fall, um den es sich handelt, berührt.

Rob Ryan, der männliche Held der Autorin, zeichnet sich nun nicht nur dadurch aus, dass er in Irland einen englischen Akzent pflegt (den hat er aus dem Internat). Er ist zudem der einzige Zurückgekehrte von drei Kindern, die vor zwanzig Jahren vermisst wurden. Zwei von ihnen wurden seitdem nicht gefunden (und auch der Roman ändert nichts daran).

Zwischenzeitlich aber scheint es, als ob der Tod einer Zwölfjährigen, die auf einem vorchristlichen Opferstein in dem selben Wald gefunden wird, in dem die drei Kinder zwei Dekaden zuvor vermisst wurden, mit dem alten Fall zu tun hätte. Rob gerät nur durch Zufall auf diese Spur, aber als er mit dem alten Szenario konfrontiert wird, an das er nur wenige Erinnerungen hat, lässt er nicht mehr los. Es geht auch um ihn.

Dafür riskiert er nicht nur seinen Job. Denn wenn beide Fälle zusammenhängen, darf er nicht mehr ermitteln. Wenn er weitermachen will, dann muss er so tun, als wäre er jemand anders, wobei es ihm hilft, dass er seinen alten Vornamen Adam nicht mehr benutzt, sondern nur noch seinen zweiten, Robert). Rob verliert auch die enge Freundschaft und Vertrautheit mit seiner Partnerin Cassie, was zu seinen größten und schlimmsten Verlustmeldungen gehört, die er zum Schluss machen muss.

Tana French hat nicht nur irgendeinen Krimi geschrieben. Vieles ist an ihrem Text zwar so, wie es das Handwerk und der neue Standard will. Wir erfahren etwas über die Vorlieben und Abneigungen der Figuren, wie sie miteinander reden und umgehen und was sie vermeiden, peinlich vermeiden: Musikgeschmack und Essgewohnheiten, Autos, Wohnungen und Vorgeschichte. Alles ist da, was da sein muss. Und dennoch, Tana French gelingt etwas sehr eigenes und dichtes, eine psychologische Studie in Sachen Vergangenheitsbewältigung, eine saubere Struktur (man glaubt dem Erzähler wirklich, dass er erzählt), eine kriminalistische Recherchestudie, ein sauberer Plot. Jedes einzelne Element wäre genug für einen guten Krimi. French bietet aber alles vier, und das ist ungeheuer. Die Psychopathin als unerklärliche Figur gibt dem Ganzen nicht nur erzählerische Qualität, sondern auch eine weltanschauliche.


Titelbild

Tana French: Grabesgrün. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.
Scherz Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
672 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783502101918

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