Detailgenaue und facettenreiche Bilder

Die Briefe der Brigitte Reimann an ihre Eltern

Von Juliane SchöneichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Juliane Schöneich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Brigitte Reimann zählt, obwohl sie ihren einzigen Roman "Franziska Linkerhand" wegen des frühen Krebstodes nicht vollenden konnte, zu den einflussreichsten Schriftstellerinnen der DDR( Die beharrliche Suche der Figur Linkerhands nach einem Leben, in dem es ihr möglich ist, immer mit allen Ansprüchen, Talenten und Fehlern sie selbst zu sein, steht stellvertretend für die Suche der Autorin nach Selbstbestimmung in Arbeit und Liebe(

Vieles aus dem Leben Brigitte Reimanns, die nicht nur exzessiv geschrieben, sondern auch unbändig gelebt und geliebt hat, ist dokumentiert( In schöner Regelmäßigkeit veröffentlichte der Aufbau-Verlag neben dem ungekürzten Roman "Franziska Linkerhand" auch verschiedene Briefwechsel (unter anderem mit Christa Wolf und Hermann Henselmann), Biografien und die Tagebücher Reimanns( Die Materialmenge der Briefe und Tagebücher scheint den Umfang des Werks bereits zu übersteigen( Jetzt liegen auch die Briefe an ihre Eltern seit dem Umzug nach Hoyerswerda vor(

Der Verlag preist diese Briefe als detailreiche Dokumente, die "witzig und warmherzig von ihrem stetigen Kampf um Literatur, Liebe und schließlich ihr Leben" erzählen( Doch soviel in diesen Briefen vom Alltag der Schriftstellerin deutlich wird, sollten sie am besten nur als Ergänzung zu den Tagbüchern gelesen werden( Denn auch wenn hier ein grundsätzlich offenherziger, direkter und ehrlicher Ton vorherrscht, lesen wir, und das wird im Vergleich deutlich, doch immer die zensierte Form dessen, was Brigitte Reimann nicht als Frau oder Schriftstellern, sondern als Tochter den Eltern anvertraut( Hier schreibt sie nicht für sich und nicht in literarischer Verformung, sondern schreibt aus einer ganz spezifischen Rolle heraus, die trotz aller Offenheit gewisse Formen und Begrenzungen einhält( Deswegen klingt, was in den Tagbüchern als Verzweiflung, als seelische Gratwanderung empfunden werden muss, hier nur im Nebensatz an - lakonisch, erklärend, tröstend, beschwichtigend( Alltäglichkeiten werden ausführlich berichtet, doch existenzielle Nöte nur angedeutet: Seien es gescheiterte Ehen und Liebschaften oder das Ringen um Sprache, Form und Ausdruck - die Betonung und Bewertung ändern sich mit den Adressaten(

Trotzdem zeigen diese Briefe gerade durch die Möglichkeit der parallelen Lektüre zum einen ein facettenreiches Bild der Brigitte Reimann als Frau, Schriftstellerin und auch Tochter( Zum anderen können sie Aufschluss über die verschiedenen Verarbeitungsstufen von Emotionen und Erlebnissen geben, die in immer wieder modifizierter Version in Tagebuch, Brief und schließlich Kurzgeschichte oder Roman Eingang fanden(


Titelbild

Brigitte Reimann: Jede Sorte von Glück. Briefe an die Eltern.
Herausgegeben von Heide Hampel und Angela Drescher.
Aufbau Verlag, Berlin 2008.
460 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783351032470

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