Wenig zu wagen Wenig zu wagen

Die Münchner Zeitschrift für Philosophie zur Utopie

Von Georg FülberthRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Fülberth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die letztlich auf Popper zurückgehende konservativ-liberale Kritik, die unter Utopie das rücksichts- und besinnungslose Durchpauken von Geschichtsphilosophie versteht, ist seit 1989 in der Linken ernster genommen worden. Soweit diese marxistisch ist, hätte sie sich diesen Schuh nicht anziehen müssen, denn das, was sie als Wissenschaftlichen Sozialismus begriff, war dezidiert anti-utopisch.

Die in München erscheinende Philosophie-Zeitschrift "Widerspruch" verzichtet auf solche scheinheilige Unschuld (durch die das Problem ja erst entstand) und prüft stattdessen, welche Perspektiv-Lehren dem zur Zeit dominanten Verdikt entgehen können. Zunächst wird ein- und abgeräumt: "Die utopischen Zukunftsentwürfe einer Gesellschaft jenseits des Kapitalismus sind in den Untergangsstrudel des 'realen Sozialismus´ hineingezogen worden, sie haben ihre Glaubwürdigkeit und damit ihre Faszination verloren." Die Notwendigkeit von Utopie folgert die Redaktion aus den Defiziten des gegenwärtigen Kapitalismus. Diese Konsequenz ist nicht zwingend, denn Liberale würden diese Mängel zugeben und zu ihrer Behebung Stückwerk-Technologie empfehlen. Sehr weit sind die meisten Aufsätze dieses Heftes davon auch nicht entfernt.

Der Bloch-Schüler Burghard Schmidt will dabei allerdings nicht auf die regulative Idee des "Glücks" verzichten. Ana Maria Bach sieht im Feminismus ein "radikales Potential", das mit "Utopismus" insofern "kompatibel" sei, als es in ihm "eine bequeme Stellung für die Kritik findet". Für Roger Behrens bleibt "gewissermaßen mit und bei Bloch ein Fortbildungsauftrag virulent", und er meint tatsächlich Pädagogik, zum Beispiel Projektunterricht. Die Literaturwissenschaftlerin Ina Schabert zeigt in einem Interview die Verschränkung von Utopie und Kritik als gemeinsamen Ausgangspunkt einiger Wege, von denen (durch die Autorin nicht ausgeführt) angenommen werden kann, dass sie sich trennen werden. In einer scharfsinnigen Rezension verweist Rainer Limmer auf die schwache Stelle der meisten Versuche, Utopie durch Feminismus zu legitimieren: ihm "erscheint diese Haltung als Bequemlichkeit und Fortsetzung überkommener Größenvorstellungen. Jahrtausende lang leben Frauen im selber mitkonstruierten Abseits und mit einem Mal tragen sie die alleinige Verantwortung fürs Heil der Welt. Männer brauchen sich nur zurückzunehmen und schon wird alles gut: die gleiche perfide Idealisierung, welche Frauen ehedem - als Natur und Hort der Liebe - zugleich vergötterte und verachtete." Eine andere Rezension zitiert den Utopie-Forscher Richard Saage: dieser wolle an der "Einsicht festhalten, daß die Utopien ihren Ursprung nicht in der überschäumenden Einbildungskraft haltloser Phantasten haben, sondern daß sie ein 'Unbehagen´ zur Sprache bringen".

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Münchner Gesellschaft fur Dialektische Philosophie (Hg.): Wagnis Utopie. Widerspruch. Zeitschrift für Philosophie. Heft 33.
Widerspruch Verlag, München 1999.
137 Seiten, 6,10 EUR.
ISSN: 07228104

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