Feinsinnige Kompositionen mit individuellem Sound

Saskia Fischers Gedichtband "Scharmützelwetter"

Von Werner FriebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Werner Friebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von Scharmützeln am Rande eines größeren Kampfgeschehens wird meist nur spärlich berichtet. Sie begleiten die unvermeidbare Niederlage ebenso wie sie als Auslöser einer verheerenden Schlacht vorausgehen können, manchmal nur als wort- und waffenklirrendes Geplänkel der Drohung, oft als regelloser, unübersichtlicher Ausbruch blutiger Gefechte ohne klare Frontlinien.

Die Lyrikerin Saskia Fischer, im Jahr 1971 in Schlema/ Erzgebirge geboren, übersiedelte 1986 nach Nordrhein-Westfalen, wo sie Theaterwissenschaften und Germanistik studierte, und lebt seit 2006 als freie Schriftstellerin in Berlin. In ihrem neuen, bei Suhrkamp erschienenen Gedichtband "Scharmützelwetter" sieht sie genauer hin, welche oft unheilbaren Gefühlswunden sich Menschen gegenseitig zufügen können und wagt sich auf das gefährliche Terrain verminter Nebenkriegsschauplätze, streitbarer Wortwechsel und vergifteter "Liebessuchpartikel" - mit der larmoyanzfreien Melancholie einer aus dem Paradies Vertriebenen, die den Geschmack des Apfels sehr wohl kennt, denn "Die Frucht verführt zu nichts als dem Ende / eine simple Sorte Gala / eröffnete die Vertreibung."

Doch die Klage über Verluste mündet bei Fischer nicht in "Weltschmerz weiblich", sondern in "glaswollspitzen Zorn", mit dem sie die "liebesmüh an neujahr verlorne" und andere Vergeblichkeiten seziert, mit einer oft an Sarkasmus grenzenden Ironie: "In den Eimer voll Müll das teure Träumlein / gegen den sexuellen Baum."

Dabei werden die Männer zwar nicht geschont, kommen aber mit Teilschuld davon, denn zu der erotischen Dynamik gehören immer zwei: "Die Achseln / rochen wie es sich gehört Mann / flog ich Kolibri in sie hinein!". Für Dauerhaftigkeit allerdings reicht es nie, denn "bei Ja-Wort-Gabe Materialverdichtung / auf Sargniveau. Aus diesem Holz ist Liebe gemacht."

Fischer zieht sich aber nicht selbstbezogen zum Lecken der eigenen Liebeswunden auf ihr lyrisches Alter Ego zurück, sondern zettelt ihre Scharmützel auch in den Gefechtsgebieten zeitgeistiger Weltbefindlichkeiten an. Sie lästert über das Wohligwarmgefühl falsch verstandener Gutmenschen-Nächstenliebe in "Pullis für Pinguine", wenn mit "Pauken Trompeten die Wohltäter kommen Wohltäter Rätä!", attackiert böse den kosmetikkonzerngesteuerten Weißheitswahn dunkelhäutiger Frauen "Die Massai weißgefleckt / Sieht Aufstiegschancen: Rohmaterial / Für Artikel in Elle Black Beauty und / Schwärzer Wohnen statt Sehen", gießt ihren Spott über die Pseudo-Avantgardegeilheit der Modeschickeria: "Die nächste Saison wird Aufsehn erregen / durch Ekel. Ein Fetzen Kotz am Revers / Der letzte Schrei quillt aus einem blauen / Müllsackumwickelten Kopf." Dabei sind doch eh schon alle "Schubladen ramschkrank plundergeschwollen".

Da möchte frau doch manchmal lieber verrückt werden und "Kugelschreiberzusammenbaun" oder sich im Kassiererinnen-Dasein ein dickes Fell zulegen mit dem Trost "Abzutauchen die weiße Haarausfall / Haube tief in die Stirn. Und abends nur am Leben / Weil man einen Fernseher hat Iris Berben / Bewundert Menschen die etwas aushalten."

Oder sich "Ende Dreißig: gebeutelt / von vorwurfsprallen Einkaufstüten" in der hochglänzenden Frauenzeitschriftenwelt einer "Miesepetra" die eigene "Cinderella Rolle rückwärts" zu "Kuchen macht in Kinderkram" eingestehen und sich mit der Wahrheit geschlagen geben.

Die emotionale Grundstimmung ihrer 54 Gedichte in fünf Teilabschnitten ist Unversöhntheit - es sind keine Rückzugsgefechte mit Bitte um Schonung, sondern nadelspitze Attacken gegen die Einschläferungsrituale der Desillusionierung, sinnlicher Aufruhr gegen die "Unterwürfigkeitsüberdosis" einer Erduldermoral.

Dabei merkt man Fischer das Vergnügen an, mit ihrem intellektuellen Sprachspiel die semantischen Erwartungshaltungen des Lesers zu verunsichern; Subjekte, Objekte, Adverbien und gelegentlich verstümmelte Prädikate wechseln unkonventionell, jedem Deutschlehrer zum Graus, die Satzbau-Gefechtsstellungen, verursachen Querschläger und Mehrfach-Konnotationen in den Nominalitätsbezügen und überlappenden Assoziationen. Trotz einer hohen Dichte an Wortneuschöpfungen verschwimmen diese nicht in Beliebigkeit, sondern bewirken durch ihre metaphorische Stimmigkeit eine kohärente Sinnführung und also Treffergenauigkeit im Gedankenfeld des Lesers.

Fischers Sprache bezaubert bei all dieser feinsinnigen Kompositionsarbeit mit einem lockeren, sehr melodiösen und groovigen Ton - aber bitte nicht eintüten ins Zeitgeist-Genre unterkomplexer Pop-Lyrik, denn mit spannungserzeugenden Alterationen, kontrapunktierter Sinn-Stimmführung und bluesiger Intonation erzeugt Fischers einen ganz individuellen Sound mit höchster Klangdichte: hier zeigt sich die Lyrik als der Jazz der Literatur.


Titelbild

Saskia Fischer: Scharmützelwetter. Gedichte.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
80 Seiten, 8,00 EUR.
ISBN-13: 9783518125571

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