Das Spiel mit dem Krieg

Der US-Soldat Matthew Eck klagt in seinem Erstlingsroman "Das entfernte Ufer" die menschenfeindliche Maschinerie des US-Militärs an

Von Thomas HummitzschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Hummitzsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist ein gewöhnlicher Einsatz, der den sechs US-Soldaten aus dem Ruder läuft. Sie sollen von einem Häuserdach aus die Bombeneinschläge in einer dem Leser unbekannten Stadt - viel spricht für das somalische Mogadischu - koordinieren. Unter ihren Augen liegen die leeren Straßengräben, in denen jederzeit ein Kampf zwischen den Fraktionen der lokalen Warlords und Kriegsfürsten ausbrechen und ihnen den Rückweg in das Basislager unmöglich machen könnte. Angespannt beobachten die GI's die bombardierte Stadt, als aus dem Treppenhaus Stimmen zu ihnen aufs Dach dringen. Panisch laufen sie in das Treppenhaus und beginnen auf alles zu schießen, was sich bewegt. Es sind zwei Kinder gewesen, die schließlich in ihrem Blut vor den sechs Soldaten liegen. Um der Rache der Straße zu entkommen, sehen sie keinen anderen Ausweg, als aus der Stadt zu fliehen. Eine fatale Entscheidung, deren Folgen Matthew Eck in seinem Roman nachzeichnet.

Ecks Roman spielt wahrscheinlich in Somalia, obwohl er ebenso gut im Irak oder in Afghanistan handeln könnte. Dies ist kein Zufall, denn Eck war selbst in Somalia im Einsatz. Er kennt den Kampfeinsatz in der Fremde. In "Das entfernte Ufer" gibt es zwar keinen Hinweis auf eigenes Erleben, doch man kann mutmaßen, dass die Selbsterfahrung am Horn von Afrika einen Großteil des Romans geprägt hat. Somalia erscheint staubig, steinig, lebensfeindlich. Das seit 1991 im Bürgerkrieg befindliche Land gilt selbst unter Experten als der weltweit einzig wirklich gescheiterte Staat. Im Norden wurde die faktisch autonome, international jedoch nicht anerkannte Republik Somaliland ausgerufen. Daneben streben zahlreiche lokale Kriegsherren nach regionaler Unabhängigkeit, um ihre Gewaltherrschaft weiter straffrei ausleben zu können. Leidtragende sind einzig und allein die einfachen Somalis, die seit Jahrzehnten unter den typischen Symptomen der afrikanischen Malaise leiden: Gewalt, Hunger, Krankheiten, Armut, Korruption und Ausbeutung. Daran konnten auch die verschiedenen UN-Missionen nichts ändern, die das Land seither erfahren hat. Am nachhaltigsten bleiben bis heute die Erinnerungen an die Schlacht von Mogadischu, die zum Abzug der amerikanischen Truppen und zum Abbruch der ersten UN-Friedensmission führte. Eck bedient sich des gewaltsamen Todes der Kinder als eines auslösenden Moments: Der gewaltsame Tod zweier Kinder in einem Bürgerkriegsland mutet inzwischen fast wie eine Normalität der skrupellosen kriegerischen Moderne an. So erschreckend es klingt, so wahr ist es doch. Der euphemistische Begriff des Kollateralschadens hat sich für derlei Vorkommnisse eingebürgert - nicht nur im kalten Ton des Militärsprech, sondern auch im angeblich dokumentierenden Journalistenkauderwelsch, das unter dem Druck der Tagesaktualität oft einfach nur noch die militärisch vorgegebenen Begriffe und Interpretationen wiederkäut, statt sie kritisch zu hinterfragen. Wurde mit der Begrifflichkeit "Kollateralschaden" ursprünglich versehentlich zerstörte zivile Infrastrukturen und Transportmittel als "in Kauf" genommene Nebenschäden deklariert, sind es spätestens seit dem Afghanistanfeldzug auch die zivilen Opfer, die mit dieser Kategorie erfasst werden. Welch Wahnsinn, den Tod von Menschen als - dem Wortsinne nach - "nebensächlich" zu bezeichnen.

Diese selbstverständliche sprachliche Umdeutung der in Kauf genommenen Grausamkeit in ein ungewolltes, bedauerliches Ereignis - und nichts anderes ist in diesem Zusammenhang die Verwendung dieses Begriffes - war in den afrikanischen Kriegen des ausgehenden 20. Jahrhunderts noch nicht in dem Maße der Fall. Zivile Opfer wurden gemeinhin als Resultat der afrikanischen Neigung zur Grausamkeit ausgelegt - man bediente sich der ethnischen Keule und mischte im Hintergrund kräftig mit im Namen der Friedensschaffung. Ob in Somalia, Liberia, Sierra Leone oder im Kongo - stets ging es auch um Ressourcen: Edelsteine, Edelhölzer, Edelmetalle und was auch immer es zu holen gab, der Westen war dabei. Das im Irakkrieg perfektionierte Söldnerwesen - hochprofitabel und narrenfrei - nahm am Ende des 20. Jahrhunderts genau in diesen Konflikten seinen Ausgang. Wurde die Einflussnahme von außen in den südamerikanischen Diktaturen der 1970er- und 1980er-Jahre noch unter der staatlichen Kuratel der US-Regierung geprobt, hat man den gierigen Söldnerwolf in den afrikanischen Kriegen erstmals privatisiert von der Leine gelassen - mit fatalen Folgen. Söldner haben nicht zur Befriedung von Konfliktherden beigetragen, sondern sie haben die Konfliktdynamiken vielmehr verschärft - mit Waffen- und Drogenhandel sowie dem erbitterten Kampf um Zugriffsrechte auf Bodenschätze (durch das Hofieren von Diktatoren, Potentaten und Kriegstreibern und deren Vorgehen). Matthew Eck hatte während seiner Einsätze in Somalia und Haiti genügend Gelegenheit, diese Mechanismen aus nächster Nähe zu beobachten.

So ist es nicht verwunderlich, dass auch der Hauptperson des Romans Joshua Stantz auf der Flucht aus der Stadt ein bis an die Zähne bewaffneter amerikanischer Elitekämpfer gegenübersteht, der ihm jedoch weder seine Identität noch seinen Auftrag preisgeben will. Das Schicksal seiner Landsleute interessiert ihn nicht. Er ist sein eigener Herr. Eines wird in dieser Szene deutlich: Den Söldner unterscheidet nichts von den afrikanischen Kriegsprofiteuren, die begeistert das Elend ihrer Landsleute verstärken, um daran zu verdienen. Genau dies ist auch der Antrieb der Söldner, denn wer vom Krieg lebt, wird kaum zu seiner Beseitigung beitragen - eine Logik, die die amerikanische Regierung entweder nicht begreifen will oder derer sie sich im Interesse anderer großzügig bedient. Wahrscheinlich ist es beides.

Und damit ist auch das Wesen dieses Romans an der Wurzel gepackt. Eck geht es nicht primär um eine eindrucksvolle Schilderung der Unmenschlichkeit und Grausamkeit des Krieges, wie dies in Joseph Conrads "Das Herz der Finsternis" oder in Cormac McCarthys "Kein Land für alte Männer" geschieht. Nein, es geht ihm vielmehr um die amerikanischen Strukturen, die diesen Tatsachen zugrunde liegen. So scheinen die militärischen Kamikazeunternehmungen auf der arabischen Peninsula heute den wahrscheinlichste Weg aus dem amerikanischen Unterschichtendasein zu bieten - ein immer wieder erschreckendes Zeugnis für eine völlig verfehlte Integrations- und Sozialpolitik der US-Regierungen. So ist in Ecks Roman ein Soldat der Einheit in diesen Krieg gezogen, um vom Militär ein Stipendium für eine amerikanische Universität zu bekommen, ein weiterer ist schwarz und einer lateinamerikanischer Abstammung. Eine ethnisch-soziale Zusammensetzung der US-Army, die sich auch heute in Afghanistan und im Irak bestätigt.

Zugleich hat das amerikanische Militär längst den Überblick verloren. Bei über einer Million Soldaten und noch einmal einer knappen viertel Million ziviler Mitarbeiter eigentlich auch kein Wunder. Der Blick auf das Schicksal des Einzelnen ist nicht vorhanden - unabhängig davon, ob er Rekrut in den USA ist oder sich im Kriegseinsatz in Afghanistan, im Irak oder eben in Somalia befindet. Die Einsatztruppe in Ecks Roman irrt wochenlang durch das Kriegsgebiet, ständig auf der Schneide des Überlebens wandelnd, ohne dass sich die militärische Leitung für ihr Schicksal zu interessieren scheint. Die Suche nach dem fernen, aber rettenden Ufer namens Basislager gerät zu einem Kampf um Leben und Tod. Die Soldaten müssen Erfahrungen mit den marodierenden, afrikanischen Banden machen, Krankheit und schwerste Verletzungen überstehen und ohne Nahrung auskommen. Dabei nähert sich ihr Schicksal auf fast schon ironische Weise dem derjenigen, die sie zu schützen gedachten. Ihr außergewöhnlicher Überlebenskampf ähnelt dem Schicksal, dem Somalier, Afghanen und Irakis tagtäglich ausgeliefert sind. Während also junge Männer in ihnen völlig unbekannten Staaten und Gesellschaften ihr Leben für das amerikanische Einfluss-Jeopardy auf's Spiel setzen, sind sie ihrem Staat völlig egal, lautet der Ecks Vorwurf.

Ecks Roman hätte vor den Einsätzen in Afghanistan und dem Irak viel Aufsehen erregt. Nun kommt er schlicht zu spät, um das schon angeknackste Selbstbild der USA noch zu beschädigen. Das Geschilderte wirkt zwar eindringlich und existenziell, aber es vermag nicht die Wahrnehmung des Lesers zu erschüttern. Ausgehend von seinen Erlebnissen in Somalia und Haiti ist dieser Roman von der Gegenwart längst eingeholt worden und bestätigt nur noch einmal mehr das Altbekannte - die amerikanische Ignoranz nach innen und außen.

Man kann Eck sogar vorwerfen, dass er sich selbst zum Teil dieser US-Arroganz macht, denn selbst sechzehn Jahre nach seinem Einsatz am Horn von Afrika kümmern ihn nicht die innersomalischen Zustände. Kaum ein Wort findet sich in dem Roman zum panafrikanischen Elend, kaum eine Anspielung auf die internationalen Ranküne, die sich - auch heute noch - um Somalia abspielen, kaum ein Absatz zu den Menschen, die diesen Zuständen ausgeliefert sind, ohne dass sich die wohlhabende Industriegesellschaft darum schert. In "Das entfernte Ufer" schaut ein amerikanischer GI auf seine Erfahrungen mit dem amerikanischen Militär und berichtet von seiner Enttäuschung über die USA. Die afrikanische Welt, in der sein Roman spielt, ist nur Kulisse.


Titelbild

Matthew Eck: Das entfernte Ufer. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Bettina Arbabanell.
Tropen Verlag, Stuttgart 2008.
190 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783608501018

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