Tollwut

Pete Dexters Porträt eines Amokläufers

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dieser Roman fängt ganz harmlos an: mit einer Tollwut-Epidemie. Zwei Menschen werden (angeblich) von Füchsen gebissen, darunter ein junges Mädchen, das kurze Zeit später im Hause ihrer neuen Arbeitgeberin von einem weißen Kaufmann und Geldverleiher, Paris Trout, erschossen wird. Trout will Geld eintreiben, das ihm ein junger Schwarzer schuldet, der sich ein Auto von ihm gekauft hat, das aber - kaum gefahren - schon Schrott ist. Wie es zu den Schüssen kommt, ist einigermaßen unklar. Am Ende ist nur das Mädchen tot, ihre Mamsell (mehr ist die Dame auch nicht) ist schwer verletzt - und Paris Trout wird des Mordes angeklagt, was er einigermaßen ungerecht findet. Denn er war ja nur dabei, sein Recht, soll heißen, sein Geld einzufordern.

Stellt sich dieser Fall so weit noch einigermaßen übersichtlich dar, so wird er auf den folgenden Seiten jedoch immer rätselhafter und merkwürdiger. Paris Trout versteift sich mehr und mehr darauf, dass er alles richtig gemacht hat, und dass die beiden Frauen selbst Schuld an ihrem Schicksal hatten. Er kann nicht schuldig sein, weil er ja nur sein Recht wollte. Dass dabei ein junges Mädchen getötet wurde, fällt für ihn nicht ins Gewicht, und vor allem hat sich hier der Staat nicht einzumischen. Trout hat nie etwas von ihm gewollt, er hat ihm nie etwas gegeben, und er hat sich von ihm nie etwas genommen - mit anderen Worten, Trout lebt in einem derart absoluten selbstherrlichen Raum jenseits jeder normalen Gesellschaft, dass er nicht einmal Steuern gezahlt hat, und das seit Jahrzehnten: Der Traum jedes Steuerbürgers, und der Alptraum all derjenigen, die auch nur in Ansätzen bei so etwas erwischt werden und dann alles auf einmal zahlen müssen. Das wird teuer, wie etwa Al Capone erfahren musste.

Aber auch das schreckt Trout nicht: Soll der Staat doch erst einmal sehen, ob er Geld hat und wo er es hat. Davor ist ihm nicht bange. Mit ungeheurer Energie und Intelligenz, die in dieser extrem gestörten Existenz zu wirken scheint, hintertreibt Trout alle Versuche, seiner mit den gewöhnlichen staatlichen Mitteln Herr zu werden. Er kennt alle, die über ihn urteilen sollen, und alle sind ihm etwas schuldig. Nur, dass sie diese Schuld zu ignorieren beginnen angesichts dieser denkwürdigen blutigen Tat. Also greift Trout zu anderen Mitteln, er besticht, um nach seiner Verurteilung frei zu kommen, er verbirgt sein Geld, und schließlich erschießt er sich und seine Mutter, als ihm die Finanzbehörden auf die Pelle zu rücken beginnen.

Dass Trout eine zutiefst verstörte und psychotische Gestalt ist, wird nicht nur an dem Mord an dem kleinen schwarzen Mädchen erkennbar. Das ließe sich vieleicht noch als ganz ,normaler' amerikanischer Nachkriegs-Rassismus erklären. Was wäre demnach ein kleines schwarzes Mädchen schon wert? Nichts.

Aber dem ist einfach nicht so: Denn sobald die Erzählung auf Trouts Frau Hannah umschwenkt, wird erkennbar, dass Trout schon immer verrückt war. Wenn denn Selbstherrlichkeit und Kaltherzigkeit Anzeichen von Verrücktheit sind. Nachdem die beiden geheiratet haben, degradiert Trout Hannah zur Dienstmagd und Sexsklavin. Er nimmt ihr Geld und weigert sich, es zurückzuzahlen. Er misshandelt sie, schikaniert sie, demütigt sie und versetzt sie dauerhaft in Angst.

Wie auch die Stadt mehr und mehr Angst vor diesem zugleich stillen wie gefährlichen Sechzigjährigen hat, der offensichtlich die Welt nach seinem Gutdünken zu lenken versucht, der jeden Moment in einen unbremsbaren Gewaltexzess auszubrechen droht, der immer eine Waffe trägt, und der schließlich derart konsequent kaltblütig vorgeht, dass ihm etwa ein normaler, zivilisierter Polizist nichts entgegenzusetzen hat.

Es überrascht denn auch nicht, dass Trout auf der Fahrt ins Gefängnis seinen Fahrer, den örtliche Polizeichef, überwältigt und ihm eine Pistole an den Kopf hält. Und es ist gleichfalls keine Überraschung, dass ihm das am nächsten Tag, als er merkwürdigerweise schon wieder aus der dreijährigen Haft zurückkehrt (war doch sehr verkürzt), keinen Ärger macht. Weder dass das Urteil nicht durchgesetzt wird, noch dass sein Angriff auf den Polizisten nicht bestraft wird, verwundert. Dazu ist die Angst der kleinen Stadt viel zu präsent.

Pete Dexter, der mit "Train" vor zwei Jahren bereits ein ungewöhnliches Stück Kriminalliteratur nach Deutschland exportiert hat, hat mit "Paris Trout" ein weiteres bestaunenswertes (krimi)literarisches Wunderkästchen auf den Weg gebracht. Präzise erzählt, demonstriert "Paris Trout" Dexters unglaubliches Gespür für komplizierte und zugleich logische wie von Spannung virbierende Konstruktionen. Beängstigend, was uns der Mann sonst noch liefern wird.


Titelbild

Pete Dexter: Paris Trout. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Jürgen Bürger.
Liebeskind Verlagsbuchhandlung, München 2008.
415 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783935890540

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