Eine spannungsgeladene Wirkungsgeschichte

Dietmar Goltschnigg und Hartmut Steinecke legen den zweiten Band über "Heine und die Nachwelt" vor

Von Erhard JöstRSS-Newsfeed neuer Artikel von Erhard Jöst

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Heinrich Heine ist tot, es lebe Heinrich Heine!" Mit diesem Ausruf beginnt das letzte Kapitel über Heines "Lebens- und Zeitbild", das der Journalist und Reichstagsabgeordnete Hermann Wendel 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, veröffentlicht hat. In seinem Geleitwort zur Neuausgabe im Jahr 1926 berichtet Wendel, dass sein Buch auf Weisung des "Stellv. Generalkommandos des XII. (1. Königl. Sächs.) Armeekorps (Presseabteilung)" verboten worden war: "Auch nachdem die Regierung dem Reichstag versprochen hatte, ,daß wissenschaftliche Bücher tunlichst von der Zensur freigegeben werden' sollten und als Papierkorb für Beschwerden eine Oberzensurstelle beim Ober-Militärbefehlshaber eingerichtet worden war, sahen sich die Herren Stellvertretenden in Leipzig ,nicht in der Lage, dem Gesuch um Freigabe des Werks zum Vertrieb stattzugeben'. [...] Erst die Revolution löste die weißgrünen Siegel, mit denen auf Weisung der Militärs die Polizei die ganze Auflage unter vorsichtigen Verschluß gelegt hatte."

Die Zensur war sicherlich in erster Linie deshalb erfolgt, weil Wendel am Schluss seines Geleitwortes zu dem Buch geschrieben hatte: "Es lebe Deutschland! Vive la France! Es lebe die deutsch-französische Verständigung!" Trotzig vermerkt er Jahre später, dass sein Buch bei der Neuauflage sachlich "ganz unverändert" geblieben sei: "Allem, was heute im Zeichen der Republik vorwärts und aufwärts will, offenbart es, wie sehr Heinrich Heine unser Zeitgenosse, unser Gesinnungsgenosse, unser Bundesgenosse im Kampf gegen die dunklen Burschen ist, die eine unholde Vergangenheit wieder zum Leben erwecken möchten und seit des Dichters Tagen fürwahr nichts gelernt und nichts vergessen haben."

Auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts blieb Heine der umstrittene Dichter, der von der einen Seite als "Gesinnungsgenosse" und Kampfgefährte vereinnahmt, von der anderen als gemeiner Spötter vehement bekämpft und nach Möglichkeit totgeschwiegen wurde.

Der zweite Band "Heine und die Nachwelt" von Dietmar Goltschnigg und Hartmut Steinecke behandelt die Wirkungsgeschichte des Dichters von 1907 bis 1956. Die Herausgeber verweisen im Vorwort darauf, dass in diesem Zeitraum Deutschland und Österreich "die größten Umwälzungen in ihrer neueren Geschichte" erfuhren. Kein Wunder, dass diese "auch erhebliche Auswirkungen auf den Umgang mit Heine" hatten. Anhand der insgesamt 133 Dokumente des ersten Bandes konnten die Herausgeber aufzeigen, dass Nationalismus und Antisemitismus die Kernzonen der Heine-Kritik im 19. Jahrhundert ausmachten (siehe literaturkritik.de 1/2007). Immer wieder wurde um die Errichtung beziehungsweiseVerhinderung eines Heine-Denkmals gestritten oder Texte publiziert, in denen der Dichter wegen seiner jüdischen Abstammung diffamiert wurde. Je nach dem Geschmack und der politischen Einstellung der Autoren wurde Heine entweder als vollendeter Lyriker verehrt oder als frivoler Spötter verdammt.

Im 20. Jahrhundert griff zusätzlich das Kabarett, das um die Jahrhundertwende entstanden war, auf Heine als Leitfigur zurück. Aus diesem Bereich hätte man sich mehr Dokumente als nur die Gedichte von Karl Valentin und Erich Kästner gewünscht. Überhaupt wäre es eine Bereicherung der Dokumentation, wenn der Anteil der durch Heines Lyrik angeregten kreativen Gestaltungstexte und Aktionsberichte erhöht würde, da sich die Argumente der Heine-Verehrer und der Heine-Verächter in den germanistischen Abhandlungen häufig wiederholen, was auf Dauer den Leser ermüdet.

Die 126 Texte des zweiten Bandes, nicht nur von prominenten Persönlichkeiten verfasst, wenngleich die Äußerungen von Prominenten aus den Bereichen Literatur und Politik überwiegen, veranschaulichen die Einstellung der Literaturkritik zu Heine, aber auch den alltäglichen Umgang mit dem Dichter. Sie machen deutlich, was man bereits als Ergebnis der Dokumente des ersten Bandes festhalten konnte: Heine und sein Werk bewegt sich in der Literaturkritik zwischen vehementer Ablehnung und kritikloser Verehrung. Platte Hetzartikel gipfelten in den Beschimpfungen von Adolf Bartels und Julius Streicher, intellektuelle Kritiken orientierten sich an dem folgenreichen Aufsatz von Karl Kraus, der die ablehnende Auseinandersetzung mit Heine nachhaltig prägte. Kraus war "gnadenloser Richter und Ankläger in einer Person", wie es Ludwig Marcuse im Jahr 1970 formulierte, seine vernichtende Kritik an Heine war nur schwer aus dem Weg zu räumen: "Wo Heine heute attackiert wird, liebt es der Angreifer, sich von dem mächtigen Karl Kraus schützen zu lassen." Kraus spaltete "mit seiner Schrift Heine und die Folgen die literarische Öffentlichkeit im ganzen deutschen Sprachraum, namentlich auch die jüdische Intelligenz in zwei feindliche Lager".

Bei der Lektüre der von Kraus verfassten Philippika ist man stets aus Neue erstaunt darüber, mit welcher Konsequenz und Radikalität Heine verächtlich gemacht wird. Kraus hält ihm vor, "die Franzosenkrankheit" eingeschleppt zu haben: "Ohne Heine kein Feuilleton". Außerdem wirft er ihm Seichtheit vor und beklagt die Wurzellosigkeit des Heine'schen Witzes: "Schlechte Gesinnung kann nur schlechte Witze machen". Sein vernichtendes Fazit: "Heinrich Heine, der Dichter, lebt nur als konservierte Jugendliebe. Keine ist revisionsbedürftiger als diese."

Erstaunlich ist, dass auch Walter Benjamin in Anlehnung an Karl Kraus sich Heine gegenüber äußerst distanziert verhält. Der Band dokumentiert, wie "die zählebigen Urteile von Kraus jahrzehntelang die Wirkungsgeschichte Heines" begleiten. "Sie finden sich in unterschiedlichsten Kreisen: bei Antisemiten ebenso wie bei konservativen und liberalen Kunstkritikern." Auch der George-Kreis behandelt Heine recht abschätzig. Die Texte beweisen, dass immer wieder altbekannte antisemitische Klischees ins Feld geführt werden und dass dem Dichter Heine stets aus Neue, wie etwa von Friedrich Gundolf, zuweilen gar in Gedichtform "Zersetzung" vorgehalten wird: "Neckt Gott und Tod mit lautem Spott / Und betet leis zu Tod und Gott." Immerhin ließ der jüdische Autor Gundolf in seinen ersten Abhandlungen über Heine diesen durchaus als "Begründer des Journalismus" gelten und schrieb, er sei "für die deutsche Sprache [...] der verhängnisvolle Erleichterer, Vermischer und Verschieber geworden."

In der Auseinandersetzung um die richtige Bewertung des romantischen Dichters gelingen den Literaturkritikern zuweilen recht griffige Formulierungen. Einige Beispiele: "Heinrich Heine hat für sich die Zukunft, da schon so viel Vergangenheit für ihn spricht. Er hat den beständigen Ruhm und die nie aussetzende Wirkung." (Heinrich Mann, 1929). "Heines Witz ist zum guten Teil nicht Heilung eigener Wunden, sondern Schwert, um andern Wunden zu schlagen; also nicht Selbst-Hilfe, sondern Waffe im Gesellschafts-Kampf." (Ludwig Marcuse, 1932). "Heinrich Heine ist ebenso ein unsterblicher Dichter, wie ein ewig aktueller Schriftsteller. Seine dauernde, gewissermaßen immer wieder erwachende publizistische Aktualität wetteifert mit seiner dichterischen Unsterblichkeit." (Joseph Roth, 1934). Abstoßend wirken die widerwärtigen und unflätigen Beschimpfungen, die von den rechtsextremen Heine-Feinden gegen den "Schmutzfink im Dichterwald" (Emil Schneemann, 1934) ins Feld geführt wurden: Für Julius Streicher ist der Dichter 1925 "einer der größten jüdischen Schweinekerle des vergangenen Jahrhunderts", ein "Lümmel ersten Ranges", das "größte literarische Schwein" und die "Judensau auf dem Montmartre". Wilhelm Stapel behauptet 1928: "Ein jüdischer Dichter bleibt nach Körper und Seele ein Jude, daher ist seine Sprache nicht im tieferen Sinne deutsch." Hermann Seeliger, Gymnasiallehrer und seit 1927 NSDAP-Mitglied, schreibt 1930, Heine verfüge über "eine erbärmliche Reimtechnik", offenbare einen "spezifisch jüdischen Zersetzungswillen" und demonstriere stets eine "abgeschmackte, kitschige Sentimentalität."

Auch der Streit um Heine-Denkmäler setzte sich im 20. Jahrhundert bis in die höchsten Kreise der Gesellschaft fort. Als Kaiser Wilhelm im Jahr 1907 das Achilleion auf Korfu erwarb, ehemals das Lieblingsschloss von Kaiserin Elisabeth von Österreich, übernahm er mit ihm auch das dortige Heine-Denkmal. Wie zu erwarten war, ließ er das Monument entfernen, das später in den Besitz von Julius Campe, Sohn des Heine-Verlegers, geriet. Den in dem Band gesammelten Beiträgen ist zu entnehmen, wie das Denkmal bei der Suche nach einem geeigneten Aufstellungsplatz weiter gereicht wurde. Ebenso kann man weiteren Texten entnehmen, wie es den Heine-Denkmälern von Hugo Lederer (erstmalige Enthüllung im Jahr 1926) und Georg Kolbe (1928) in Hamburg und in Frankfurt am Main ergangen ist, deren Enthüllung begleitet wurde von heftigen Streitereien, teilweise sogar bürgerkriegsähnlichen Krawallen, Protestkundgebungen und Schlägereien. Spöttisch stellt Arnold Weiß-Rüthel 1925 in Gedichtform den Entwurf für ein Heine-Denkmal vor mit den Schlussversen: "Ich widme jetzt diesen schönen Entworf: / dem Kaiser, Herrn Hitler und Ludendorff." Selbstverständlich wurden sämtliche Heine-Denkmäler im "Dritten Reich" entfernt.

Mit seiner Aussage: "Die Zahl der deutschen Kriegerdenkmäler zur Zahl der deutschen Heine-Denkmäler verhält sich hierzulande wie die Macht zum Geist", provozierte Kurt Tucholsky die reaktionären Gegner von Heine-Denkmälern. Der Schriftsteller Wilhelm Jensen lässt Heine in Gedichtform lächelnd auf sein "Konterfei aus totem Stein" verzichten: "Dem deutschen Volk ins Herz hineingedichtet, / Hab' ich das meinige mir selbst errichtet." Heinrich Mann bezeichnete Heine als "Beispiel eines modernen Menschen". Manche Kritiker bilanzierten im Anschluss an den Text von Karl Kraus, dass von Heine nicht mehr viel übrig geblieben sei: "Wir schwelgten mit siebzehn Jahren in Heine, wie wir mit fünfzehn in Schiller, mit dreizehn in Körner geschwelgt hatten."

Man beachte, in welcher Reihenfolge die Dichter aufgezählt und welchem Alter sie jeweils zugeordnet werden. Jedenfalls suggeriert die Aussage, dass man die Auseinandersetzung mit diesen Dichtern als "Jugendsünden" ablegen könne. Redlich ist es immerhin, wenn der Kritiker die Gründe für den Anschauungswandel darlegt, so wie es etwa Richard Schaukal 1908 in Beantwortung einer Anfrage des literarischen Vereins "Phoebus" in München getan hat: Erst im Vergleich mit anderen bedeutenden deutschen Lyrikern sei ihm bewusst geworden, dass Heine nur "kaltblitzenden Witz" produziert habe, der ihm, "gegen deutschen Ernst und deutschen Humor gehalten, immer schaler" geworden sei. Heine sei deshalb "fernab der Linie meiner ganzen geistig-seelischen Entwicklung geraten" und habe "immer weiter und weiter verlöschend sich entfernt, je mehr ich zu mir selbst gelange." Insgesamt ist aber erschreckend anzusehen, wie viele Geistesgrößen sich opportunistisch verhalten, ihre zunächst positive Einstellung Heine gegenüber den Zeitumständen anpassen.

Unter der Überschrift "Freischwebende Intelligenz" fassen die Herausgeber Schriftsteller wie Lion Feuchtwanger und Alfred Döblin zusammen, die "während des Ersten Weltkriegs in Identitätskrisen" geraten. Ludwig Marcuse verstieg sich in den aberwitzigen Vergleich: "Heine war - der Metternich des Bürgertums." René Schickele schrieb: "Heine war weder Aristokrat noch Demokrat, er war eine eigene Natur." Merkwürdig muten die Versuche an, die um die Jahrhundertwende in diversen Literaturgeschichten vorgenommen wurden, nämlich den schwäbischen Spätromantiker Eduard Mörike in der Rangfolge der Bedeutung vor Heinrich Heine zu setzen: Mörike wurde zeitweise nach dem Spitzenreiter Johann Wolfgang Goethe auf Rang zwei platziert. Karl Busse hat gegen diese lyrische Rangordnung protestiert und darauf verwiesen, "daß er der einzige nachgoethische deutsche Dichter ist, durch den Deutschland in die Weltliteratur eingriff."

Weniger verwunderlich ist, dass die deutsche Sozialdemokratie Heine für sich entdeckte und reklamierte. Franz Mehring betätigte sich als Wegbereiter der sozialistischen Heine-Rezeption und feiert den "politisch engagierten, fortschrittlich denkenden Schriftsteller" und verweist auf "die Kommunisten, die sein Grab vor dem Ansturm dieser wütenden Narren schützen."

Frappant ist der Hinweis von Goltschnigg und Steinecke auf den Umstand, dass sowohl Adolf Hitler als auch Joseph Goebbels als junge Männer bei Diskussionen den Dichter Heine vor Angriffen in Schutz nahmen und Sympathien für ihn aufbrachten. Aberwitzig, unfreiwillig komisch und abstoßend zugleich sind die interpretativen Darlegungen des protestantischen Theologen Wilhelm Stapel über Heines "Loreley"-Gedicht, bei denen er sich "in grotesken rassenphysiologischen Spekulationen über die verborgene Sprache und Gestik der Juden" ergeht. Ein befreiteres Lachen ermöglicht hingegen Karl Valentins "Loreley"-Parodie oder Erich Kästners "Handstand auf der Loreley" (1932). Verschiedene Texte machen auch einmal mehr deutlich, inwieweit Heines Texte nachfolgende Schriftsteller kreativ angeregt haben; besonders gelungen ist beispielsweise der "Emigranten-Monolog" von Mascha Kaléko.

Zwischen 1907 und 1932 erschienen zahlreiche Gesamt-, Auswahl- und Einzelausgaben von Heines Werken, was unter Beweis stellt, dass seine Lyrik gelesen wurde. Damit war es dann nach Hitlers "Machtergreifung" vorbei: "Zwar konnte man den Dichter und seine Werke in der kurzen Zeit von zwölf Jahren nicht vollständig aus den Bücherschränken und den Köpfen von Millionen deutscher Leserinnen und Leser, Sängerinnen und Sänger verbannen, aber die staatlichen Behörden kamen auf diesem Weg der ,Ausrottung' Heines erschreckend weit voran - vor allem wohl, weil sie sich auf die stillschweigende Zustimmung einer deutlichen Mehrheit in der Bevölkerung verlassen konnten." Zu Beginn des "Dritten Reiches" wurde der grobschlächtige Heine-Hasser Adolf Bartels zum besten Heine-Kenner und Richtung gebenden Literaturkritiker stilisiert. Später überboten sich zahlreiche Experten in Heine-Schmähungen. Schließlich wurde als Ziel der NS-Kulturpolitik ausgegeben, den Dichter totzuschweigen. Dabei waren Heines Werke anfangs von dem generellen Verbot nicht betroffen, erst ab dem April 1940 fielen sie ebenfalls unter die pauschale Indizierung jüdischen Schrifttums.

Aber insgesamt halten Goltschnigg und Steinecke in ihrem Kapitel "Heine im nationalsozialistischen Deutschland" fest, dass das "unfriedliche Neben- und Gegeneinander" der Anhänger und blindwütigen Gegner Heines im "Dritten Reich" "fast schlagartig" endete: "Was danach - und bis Kriegsende - in Deutschland über Heine veröffentlicht wurde, war nahezu ausnahmslos polemisch, aggressiv, diffamierend. Die nationalsozialistische Kulturpolitik zielte auf die Auslöschung des Dichters und seiner Werke aus dem kollektiven Gedächtnis der Deutschen. Natürlich waren nicht alle in Nazi-Deutschland Verbliebenen Heine-Gegner, aber seine früheren Anhänger und Fürsprecher hatten bald so gut wie keine Möglichkeit mehr, sich öffentlich - publizistisch oder wissenschaftlich - mit ihm zu befassen oder (sich) zu ihm zu bekennen."

Franz Koch brachte den Sachverhalt in seiner 1937 erstmals veröffentlichten "Geschichte deutscher Dichtung" auf die Formel: "Aller Streit um Heine erledigt sich mit dem Hinweis auf sein Judentum." Konsequenter Weise wurde Heine auch aus dem "Zitatenschatz des deutschen Volkes", aus Büchmanns "Geflügelten Worten", entfernt. Nach Sichtung der Dokumente stellen die Herausgeber fest: "Nicht Polemik, sondern das Verschweigen - im wahrsten Sinn des Wortes: das Totschweigen - war die Strategie der nationalsozialistischen Kulturpolitik gegen Heine." Da Heines Gedichte so zahlreich von deutschen Komponisten vertont worden waren, ergab sich für die Kulturbürokratie ein unlösbares Dilemma: Wie kann man Heines Texte totschweigen, aber die populären Vertonungen erhalten? Oder sollte für die Melodien ebenfalls ein Aufführungsverbot erteilt werden? Aberwitzige Überlegungen wurden angestellt, beispielsweise wurde vorgeschlagen, Schriftsteller dazu anzuhalten, neue Texte passend zu den Melodien zu schreiben.

Die Herausgeber von "Heine und die Nachwelt" bestätigen, was die Untersuchung von Volker Dahm "Das jüdische Buch im Dritten Reich" aufgedeckt hat: Es gab keine Bücher, in denen Heines "Loreley"-Gedicht veröffentlicht und mit dem Vermerk "Verfasser unbekannt" versehen worden ist. Diese Behauptung, die der jüdische Literaturwissenschaftler Walter A. Berendsohn 1935 aufgestellt hat, trifft offenbar nicht zu. Aber sie wurde nach der Beseitigung der NS-Diktatur permanent kolportiert.

Während Heine im Herrschaftsbereich der Nazis totgeschwiegen wurde, griffen die aus dem Reichsgebiet vertriebenen deutschen Leser verstärkt zu seinen Werken. Heine und sein lyrisches Werk wurde "zu einem Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Gruppen der Exilanten", als Exilant im 19. Jahrhundert wurde der Dichter "zu einer Identifikationsgestalt für viele", die im 20. Jahrhundert aus ihrem Heimatland vertrieben wurden. Oskar Maria Graf nennt ihn "einen unserer lebendigsten Lehrmeister", für Anna Seghers war Heine der "Schutzpatron unserer Gemeinschaft": "Heine hat alle Stadien der Emigrantion mit uns geteilt: Die Flucht und die Heimatlosigkeit und die Zensur und die Kämpfe und das Heimweh." Die Herausgeber von "Heine und die Nachwelt" verweisen darauf, dass die zahlreichen Texte, die deutsche Exilanten über Heine verfasst haben, "heute noch nicht einmal bibliographisch erfasst, geschweige denn ausgewertet sind", und zeigen damit ein Forschungsdefizit auf. Die Vertriebenen rezipieren Heine vor dem Hintergrund ihrer Lebenslage und werten seine Verse öfters als "prophetische" Aussagen. Richtungsweisen sind die Schriften von Klaus Mann, Oskar Maria Graf, Stefan Heym. Max Brod ist einer der wenigen, der explizit den Juden Heine ins Zentrum seiner Untersuchung stellt. Merkwürdig ist die Haltung von Bertolt Brecht, der zu Heine Distanz wahrte. Von Seiten der linken Intellektuellen wird Heines Begegnung mit Karl Marx erforscht und als zentrales Ereignis gewertet, das sich folgenreich auf sein Schaffen ausgewirkt habe. In dem Kapitel "Heine zwischen Volksfront und Marxismus" wird aufgezeigt, wie die sozialistischen Schriftsteller versucht haben, Heine zum Repräsentanten des "Volksfrontgedankens" zu stilisieren. Besonders spannend und aufschlussreich für Heines Wirkungsgeschichte ist die Zeit der Neuorientierung nach 1945, weil sie vor dem Hintergrund zunehmender Konfrontation ablief. In den westlichen Besatzungszonen war zunächst eine "zögernde Rückholung" zu beobachten. Diese bezog sich auf den Romantiker und seine "unpolitische Lieddichtung". Den politischen Heine überließ die westdeutsche Nachkriegsgermanistik fast ausschließlich den Sozialisten und Kommunisten in der "SBZ". Dies führte dazu, dass man später in der DDR versucht hat, Heine als Nationalautor für sich zu vereinnahmen. Unverständlich ist, dass es im Westen gleich nach der Befreiung von der nationalsozialistischen Diktatur früheren Heine-Kritikern möglich war, ihre herabwürdigende Geringschätzung, ja zuweilen sogar ihre antisemitischen Invektiven gegen Heine zu wiederholen. So etwa der heftige Angriff des Schweizer Germanisten Walter Muschg, der Heine vorwarf, dass seine "Ironie ins Teuflische" umgeschlagen sei: "An Heine war alles verlogen, sein Stolz wie seine Verzweiflung, seine Gottlosigkeit wie seine Bekehrung, sein Deutschtum wie sein Franzosentum." In der westdeutschen Germanistik der Nachkriegszeit wurde Heine entpolitisiert, zumeist aber ignoriert. Allzu willig lehnten sich die Germanisten an die "Grundbegriffe der Poetik" an, die der Schweizer Emil Staiger 1946 veröffentlicht hatte. Sie prägte Lehre und Forschung bis in die 1960er-Jahre und darüber hinaus. Unter anderem fiel dem wieder einmal Heine zum Opfer: Der Umgang mit ihm war "geprägt von Verdrängen, Berührungsängsten und zögernden Wiedergutmachungsversuchen."

In den Lesebüchern und in den Schulen blieb Heine lange außen vor, obwohl dies von führenden Politikern moniert wurde. Carlo Schmid forderte in seiner am 17. 2. 1956 in der Frankfurter Paulskirche gehaltenen Gedenkrede die Kultusminister auf "wieder gutzumachen, was ihre Vorgänger angerichtet haben, die alles taten, um Heinrich Heine aus dem Bildungsgut der jungen Deutschen auszumerzen. [...] Es ist längst Zeit geworden, daß man Heines in den Schulen nicht nur gedenkt, sondern daß man ihn dort wieder liest!" Im Ganzen gesehen wurden die Heinefeiern im Gedenkjahr 1956 im Westen als lästige Pflichtaufgaben absolviert. In einem Bulletin der Bundesregierung stand: "Das deutsche Volk liebt nicht das heilsame Ärgernis, und der große, fast monumentale Fall dieses seines Versagens ist der Fall Heinrich Heine. [...] Von der größten Wirkung auf das tragische, bis heute währende Mißverständnis Heines durch sein Vaterland war aber zweifellos seine Haltung zu Deutschland und den deutschen Zuständen seiner Zeit."

Einen Anstoß, sich wieder intensiv wissenschaftlich mit Heine und seinem Werk auseinander zu setzen, gab im Jahr 1956 Theodor W. Adorno mit seiner Schrift über die "Wunde Heine". Und man konnte noch weitere Artikel registrieren, die sich von den Pflichtübungen abhoben. Beispielweise schwärmte Hermann Kesten geradezu; Heine war für ihn ein "irdischer Gott", ein "politischer und literarischer Neuerer" und "Deutschlands erster Großstadtlyriker".

In der "SBZ" und späteren DDR wurde die Beschäftigung mit Heine von Anfang an staatlich gefördert. Der Dichter sollte im Zuge der Erbe-Diskussion in die Reihe der bedeutenden Kulturschaffenden aus der Vorgeschichte der sozialistischen Gesellschaft aufgenommen werden. Er sollte dem Lesepublikum in erster Linie als "Freiheitsdichter" vermittelt werden, "als Vor-Denker der gesellschaftlichen Revolution, als Verkünder des Kommunismus und dessen kommenden Sieges, als Freund und enger Mitstreiter von Karl Marx."

1956 wurden über das ganze Jahr zentrale Feiern und Einzelveranstaltungen durchgeführt, die das Bild vom kämpferischen Heine festigen sollten. Das ZK der SED schrieb zu Heines einhundertstem Todestag: "In der Geschichte der deutschen Literatur stellt Heines Werk den Abschluß und letzten Höhepunkt der Literaturepoche des aufstrebenden Bürgertums dar." Und weiter: Heine "durchbrach die Schranken des bürgerlichen Denkens und wurde zu einem Vorläufer des sozialistischen Denkens."

Wolfgang Harich und Hans Kaufmann, die sich an die richtungsweisende Studie von Georg Lukács anlehnten und zu führenden Heine-Forschern in der DDR avancieren, sollten im Gedenkjahr die Feierlichkeiten organisieren. Die Verhaftung Harichs, der mit den Aufständischen in Ungarn sympathisierte, führte zu einem Rückschlag in der Heine-Forschung. Auch die geplante historisch-kritische Ausgabe, die als ein gemeinsames Projekt der beiden deutschen Staaten auf den Weg gebracht werden sollte, kam nicht zustande. Als Kuriosität im Zusammenhang der wachsenden Ost-West-Spannungen ist zu vermerken, dass Frankreich dem Kulturminister der DDR, Johannes R. Becher, zur Teilnahme an einer Heine-Feier im Gedenkjahr 1956 keine Einreiseerlaubnis erteilte. Jedenfalls kann man anhand der Dokumente studieren, dass Heine in der Nachkriegszeit erneut Streitobjekt und Opfer wird, dieses Mal aufgrund der wachsenden Ost-West-Spaltung.

Man spürt förmlich, wie die Herausgeber von "Heine und die Nachwelt" sich darum bemühen, die ausgewählten Dokumente neutral zu präsentieren und objektiv zu bewerten, was angesichts der extrem kontroversen Aussagen der Texte, der unterschiedlichen Forschungsschwerpunkte und Verhaltensweisen der verantwortlichen Kulturpolitiker nicht einfach ist. Zumeist ist es ihnen gelungen, lediglich bei der Darstellung von Heines Rezeptionsgeschichte in der DDR verlassen sie in ihrem unter das Zitat "Künstlerjude unter den Deutschen" gestellten Aufsatz zuweilen die Position der neutralen Beobachter. Dies ist ebenso bedauerlich wie der Umstand, dass sie sich bei der Abhandlung dieser Vorgänge mehrmals und grundsätzlich ausgerechnet auf die 2007 erschienene Schrift von Astrid Henning "Heinrich Heine und Deutschsein in der DDR. Wie Literatur Herrschaft sichert" berufen, handelt es sich dabei doch um eine Darstellung, die überaus parteilich angelegt und entsprechend einseitig ausgefallen ist, da die Autorin verbissen darauf aus ist nachzuweisen, mit welch angeblich perfiden Methoden die SED Heine zur antifaschistisch-demokratischen Umerziehung eingespannt hat (siehe literaturkritik.de 7/2007).

Keine Frage: Heines Wirkungsgeschichte zu dokumentieren ist eine schwierige, spannende und dringend notwendige Arbeit. Goltschnigg und Steinecke haben sie fachkundig verrichtet. Quasi als Nebenprodukt liefert die Dokumentation den Nachweis, wie sehr gerade die Germanistik ein ideologieanfälliges Fach ist. Dies ist gewiss keine neue Erkenntnis, aber gerade Heines Rezeptionsgeschichte gibt massenhaft Beweismaterial zur Hand und schärft dadurch den kritischen Blick. Außerdem zeigen die Dokumente, dass sich die Personen am meisten zu Heine hingezogen fühlen, die ihn als ihr vorbildliches Spiegelbild benutzen. Und man neigt nach ihrem Studium zu der Schlussfolgerung: Offenbar ist die Vorliebe für die satirische Schreibart eine notwendige Voraussetzung, um den Zugang zu Heines Werk zu finden. Otto Flake schrieb 1917: "Heine ist bewunderungswürdig, wo er boshaft ist, und wer sich hier auf seinen deutschen Standpunkt stellt, ist ein Provinziale von Europa."

Auch für den zweiten Band von "Heine und die Nachwelt" gilt: Die Herausgeber haben gründlich recherchiert, die ausgewählten Textbeiträge werden treffend kommentiert und in den historischen Kontext eingeordnet. Nützlich sind die Kommentare und Hinweise, die in den Anmerkungen zu den Texten gegeben werden, notwendig und hilfreich sind die beigegebenen Personen- und Sachregister. In den Anmerkungen und biografischen Angaben zu den Autoren der ausgewählten Texte findet man viele Querverweise und Informationen. Wer weiß zum Beispiel, dass der Erfinder der (unbewiesenen) Behauptung, wonach die Nazis Heines "Loreley"-Gedicht in Sammelwerken mit dem Vermerk "Dichter unbekannt" versehen hätten, im Jahr 1969 die "Stockholmer Koordinationsstelle zur Erforschung der deutschsprachigen Exil-Literatur" gründete und dass auf seine Initiative "Nelly Sachs den Literaturnobelpreis (1966) und Willy Brandt den Friedensnobelpreis (1971)" erhielten? Es lohnt sich also auch für die Heine-Experten und Kenner seiner Wirkungsgeschichte, den zweiten Band von "Heine und die Nachwelt" eingehend zu lesen.


Titelbild

Dietmar Goltschnigg / Hartmut Steinecke (Hg.): Heine und die Nachwelt. Geschichte seiner Wirkung in den deutschsprachigen Ländern. Band 2: 1907-1956.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2008.
735 Seiten, 79,00 EUR.
ISBN-13: 9783503079926

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