Sonnenblumen der Literatur

Burkhard Müller porträtiert 15 schreibende "Lufthunde" der deutschsprachigen Moderne

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lufthunde, so etwas gibt es natürlich nur in der Literatur. Und zwar in derjenigen Franz Kafkas, in dessen Erzählung "Forschungen eines Hundes" sie eine gewissermaßen übergeordnete Rolle spielen. Diese Lufthunde hat sich Burkhard Müller nun für den Titel einer Porträt-Sammlung deutschsprachiger AutorInnen der Moderne entliehen.

Zwar kündigt Müller in der Einleitung eine "Sammlung von Essays über die Autoren der deutschen literarischen Moderne" an, tatsächlich jedoch porträtiert er nicht nur Autoren sondern auch Autorinnen, die natürlich mitgemeint sein sollen. Das ist so üblich und darum fast geschenkt. Hinzu kommt hier aber, dass diese AutorInnen zwar alle deutscher Zunge sind, darum aber noch lange nicht ausnahmslos Deutsche. Vielmehr befinden sich unter ihnen ein Prager und ein Wiener. Und auch Meret Oppenheim würde es wohl nicht recht gefallen haben, ein "Denkmal" als deutscher Autor gesetzt zu bekommen. So wie die Autorinnen unter den Begriff Autoren subsumiert werden, werden die AusländerInnen kurzerhand als Deutsche eingemeindet.

Seine Texte, versichert der Autor, vereinzelten die Porträtierten zwar "gegeneinander" und erteile ihnen allen "dasselbe leichte Gewicht", doch handele er damit keineswegs "respektlos". Andererseits mag er sich den teils verstorbenen, teils noch unter uns weilenden LiteratInnen gegenüber jedoch auch nicht in "Pietät" üben. Wohl aber möchte er, ihnen einen Wunsch erfüllen, indem er Leben und Œuvre zusammenführt. Denn alle "schöpferisch Tätige[n]" sähen es gerne, wenn "man über dem Werk nicht den Menschen, und über dem Menschen nicht das Werk vergisst."

Die Form des Porträts hat Müller gewählt, da dessen "entschiedene Tendenz zum Kontrahieren" die Dargestellten aus der Zeit heraus nähmen und sie an den Raum erstatteten. So könne deutlich gemacht werden, "was an den Verstorben so lebendig und unverjährt ist, dass sie hier ihren Platz finden." Dies gelingt Müller mal weniger, meist aber mehr. Wunderbar ist etwa das Irmgard Keun gewidmete Essay, deren Roman "Nach Mitternacht" er aus ganzem Herzen und mit tiefem Verständnis lobt. Ihr Buch, so ließe sich anmerken, besitzt all das, woran es Anna Seghers weit bekannterem Roman "Das siebte Kreuz" mangelt.

Nachvollziehbar ist der Trost, den Müller darüber empfindet, dass alles, was Gertrud Kolmar in ihrer "geistig hellen und historisch finsteren Zeit" schrieb, "endgültig dem Schicksal des Untergangs entrissen scheint". Dies ist nicht zuletzt der unlängst erschienenen dreibändigen Ausgabe ihrer lyrischen Werke zu danken. Bei niemandem bestehe über die Rettung der Werke "mehr Grund zu einer tiefen Erleichterung und Befriedigung". Alleine schon wegen Müllers sensiblem Text über die in Auschwitz ermordete jüdische Dichterin lohnt sich die Anschaffung des Bändchens.

Erhellendes weiß der Autor über "Freuds Methode [...] der hydraulischen Novelle" zu berichten. Bevor er den Essay über Wilhelm Busch schrieb, hat er allerdings vielleicht doch etwas zu tief in die Werke des Begründers der Psychoanalyse geschaut, führt er Werk und Weltbewältigungsstrategien des zeichnenden Pessimisten doch allzu sehr auf die "nie wieder gutzumachenden Beschädigungen" aus dessen Kindheit zurück und zuwenig auf seine Schopenhauerlektüre.

Friedrich Nietzsches kleine Prosa-Texten nimmt Müller geschickt auseinander, ohne ihm allerdings Böses zu wollen. Von allen guten Geistern scheint er jedoch verlassen zu sein, wenn er Lou Andreas-Salomé in einem Atemzug mit Schwester und Mutter des philosophisch dilettierenden Ex-Philologen zu den "miserablen Exemplaren" ihres Geschlechts zählt. Die "Sammlerin bemerkenswerter Männer" sei sogar die "schlimmste" in diesem "vampirischen Terzett" gewesen.

Tut er Andreas-Salomé auch bitter unrecht, so doch nicht allen Frauen, wie die Porträts über Irmgard Keun und Gertrude Kolmar zeigen. Und Meret Oppenheimer ehrt er sehr zurecht als "die leichteste im Kreis der Surrealisten".

Nicht unproblematisch ist hingegen seine Würdigung eines kurzen Gedichtes von Gottfried Benn, das hier vollständig zitiert sein soll: "Wenn ich das Haar dir strich / zerrt ich am Haare dich? / Wenn ich dich wusch mein Kind / war ich je ungelind?" Wie selbstverständlich handelt es für Müller von der erotischen Berührung einer Frau. Dass hier jemand, ein Vater, eine Mutter sein/ihr Kind pflegen könnte, zieht er nicht einmal in Betracht. Statt dessen schwärmt er voller Anerkennung vom "Gentleman-Schlawiner" und "reifen Erotiker" Benn und "sieht förmlich, wie die Misshandelte sich schluchzend an seiner Brust birgt und sich, obschon es dafür objektiv keinen Grund gibt, getröstet fühlt." Dieser sexistische Schulterschuss ist ein Ärgernis, eines der wenigen des Buches.

Meist aber liest man die Porträts schon alleine wegen Müllers Sprachkunst und seiner stets originellen, meist treffenden und oft überraschenden Wortwahl sowie den gelungenen Metaphern mit Freude. "Wenn es so etwas gibt wie die Sonnenblumen der Literatur", dann Thomas Manns "Buddenbrooks", erklärt er etwa. Das mag obskur klingen, erhellt sich aber sogleich, wenn man dabei wie Müller an Vincent van Gogh denkt.


Titelbild

Burkhard Müller: Lufthunde. Portraits der deutschen literarischen Moderne.
zu Klampen Verlag, Springe 2008.
251 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783866740273

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