Dialektik des Scheiterns

Der Journalist Volker Koop untersucht die Geschichte der NS-Organisation "Werwolf"

Von Armin NolzenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Armin Nolzen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Lars von Triers 1990 gedrehtem Film "Europa" reist der Protagonist Leopold Kessler, ein junger Amerikaner, kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in das verwüstete Deutschland. Er will den Deutschen "etwas Freundlichkeit zeigen" und "die Welt ein wenig menschlicher machen". Leopold nimmt eine Arbeit als Schlafwagenschaffner bei der Bahngesellschaft "Zentropa" an, die während des Zweiten Weltkriegs an den Judendeportationen mitwirkte, und verliebt sich in Katharina Hartmann, die Tochter des Eigentümers. Nach der Heirat mit Leopold entpuppt sie sich schnell als "Werwolf"-Mitglied, also als Kämpferin einer nationalsozialistischen Partisanenorganisation. Katharina gelingt es, Leopold in ihre Machenschaften hineinzuziehen. Er wird ihr williges Werkzeug, ein "Schläfer", der zur rechten Zeit den "Befreiungskampf" gegen die alliierten Besatzer aufnehmen soll.

Diese beeindruckende filmische Adaption der "Werwolf"-Thematik hat mit der Realität der Jahre 1945/46 nur wenig zu tun. Zwar gab es auch in dieser Zeit noch Sprengstoffattentate gegen alliierte Einrichtungen. Auf den "Werwolf" beriefen sich die Täter, ehemalige SS-Angehörige und Hitler-Jungen, dabei aber nicht. Mittlerweile kann als erwiesen gelten, dass der "Werwolf" bei der Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel. Nunmehr hat der Journalist Volker Koop eine Studie vorgelegt, die das bisherige Bild der Forschung über den "Werwolf" im Großen und Ganzen bestätigt, diesem aber auch einige neue Facetten hinzufügt. Im Unterschied zu älteren Darstellungen konnte er Akten aus der früheren DDR benutzten und hat die Nachkriegsverfahren gegen ehemalige Angehörige des "Werwolf" ausgewertet. Als besonders ergiebig erwiesen sich die bei der Birthler-Behörde erhaltenen Vernehmungen von Personen, die dem "Werwolf" zugerechnet wurden, durch Offiziere der Staatssicherheit. Auch hat Koop die Sendeprotokolle des berüchtigten "Werwolf"-Senders, den Reichspropagandaminister Joseph Goebbels am 1. April 1945 ins Leben rief, ausfindig gemacht und vollständig abgedruckt.

Koops Studie ist chronologisch angelegt und behandelt die Vorläuferorganisationen des "Werwolf" während der Weimarer Republik, dessen Gründung durch Reichsführer-SS Heinrich Himmler im Sommer 1944, die Einflussnahme anderer NS-Funktionäre wie Goebbels und Martin Bormann sowie die Kommandoaktionen dieser Organisation, die im Wesentlichen die Aufgabe hatte, den Partisanenkampf hinter den feindlichen Linien zu führen und Sabotageakte zu organisieren. Der "Werwolf" zeichnete sich nicht durch feste Strukturen aus, sondern war ein bunt zusammengewürfelter Haufen aus Hitler-Jungen, BDM-Mädeln, unteren Parteichargen und Angehörigen der Allgemeinen SS. Rekrutiert wurden die "Werwolf"-Mitglieder auf freiwilliger Basis vor Ort. Die stärksten Gruppen scheinen an der "Westfront" bestanden zu haben, wo mit Düsseldorf auch das logistische Zentrum des "Werwolf"-Apparates lag. Aber auch in Norddeutschland, in Österreich sowie im Sudetenland existierten größere Einheiten. Vergleichsweise schwach war der "Werwolf" an der "Ostfront", ohne dass der Autor diesen Befund für erklärungswürdig hielte.

Minuziös schildert Koop die einzelnen "Werwolf"-Aktionen, die durchaus spektakulär waren. Dazu gehörten die Hinrichtung von Zwangsarbeitern, die Ermordung des von den Amerikanern eingesetzten Aachener Oberbürgermeisters Franz Oppenhoff am 25. März 1945 sowie die so genannte Mordnacht in Penzberg in Oberbayern, bei der am 28. April 1945 insgesamt 16 Männer und Frauen erschossen oder erhängt wurden. Auch in Norddeutschland ermordeten "Werwölfe" nicht gerade wenige Personen, die sich dem verordneten "Endkampf" zu widersetzen versuchten. Für sämtliche dieser Gewalttaten war es charakteristisch, dass sie von kurzfristig zusammengestellten Einheiten aus versprengten Soldaten, Volkssturm, NSDAP-Funktionären, Freikorps Adolf Hitler und "Werwolf" gemeinschaftlich begangen wurden. Nur für wenige Aktionen zeichnete der "Werwolf" alleine verantwortlich. Ob man freilich, wie Koop im Falle Oppenhoff, so weit gehen sollte, dem "Werwolf" eine Beteiligung ganz abzusprechen, bleibt zweifelhaft. Alle Tötungsverbrechen in der Endphase des NS-Regimes, mit Ausnahme der wahllosen Ermordung tausender Insassen von Konzentrationslagern und Zuchthäusern durch Polizei und SS, resultierten aus ähnlichen institutionellen Kooperationen.

In diesem Zusammenhang bleibt die Wehrmacht, die in vielerlei Hinsicht für den "Werwolf" von Bedeutung war, bei Koop unterbelichtet. Zum einen existierten schon seit Mitte der 1920er-Jahre im Truppenamt der Reichswehr detaillierte Vorbereitungen für einen Partisanenkampf an der "Westfront", der als "Volkskrieg" geplant war, weil das 100.000 Mann-Heer ein Vordringen der französischen Armee, mit dem zu diesem Zeitpunkt gerechnet wurde, allein wohl kaum hätte aufhalten können. Zum anderen waren militärische Stellen für die logistische Ausrüstung, die Ausbildung und den taktischen Einsatz des "Werwolf" 1944/45 geradezu unentbehrlich. Vor dem Hintergrund der Debatte um den Stellenwert der Wehrmacht für die verbrecherische Kriegführung des NS-Regimes hätte man sich eine ausführlichere Behandlung gewünscht.

Dies ändert jedoch nichts daran, dass Koop eine flüssige, gut lesbare Studie zum "Werwolf" vorgelegt hat, dessen Geschichte von einer eigentümlichen Dialektik gekennzeichnet war. Militärisch scheiterte der Versuch, einen nationalsozialistischen Partisanenkampf zu organisieren, propagandistisch hielt sich dessen Mythos bis in die Nachkriegszeit, was unter den Alliierten, in erster Linie bei den Sowjets, eine regelrechte "Werwolf"-Hysterie auslöste. In Lars von Triers Film "Europa" wird diese Dialektik des Scheiterns auf eine andere Art und Weise umgesetzt. Katharina zwingt Leopold mithilfe einer fingierten Entführung, eine Bombe in einem fahrenden Zug anzubringen. Obwohl sie und ihre Mitverschwörer rechtzeitig enttarnt werden, explodiert die Bombe, als der Zug über eine Brücke fährt. Leopold stürzt mit einem Waggon ins Wasser und ertrinkt. Der Anschlag gelingt, die Organisation "Werwolf" wird zerschlagen.


Titelbild

Volker Koop: Himmlers letztes Aufgebot. Die NS-Organisation "Werwolf".
Böhlau Verlag, Köln 2008.
310 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783412201913

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