Die Dusen der komischen Kino-Kunst

Claudia Preschl verhilft Film-Komikerinnen der 1910er-Jahre zur wohlverdienten Aufnahme in die Kinohistorie

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bekanntlich verbreitet der Volksglaube mancherlei vermeintlich gesichertes Wissen, das sich schon bei flüchtigem Hinsehen als barer Unsinn entpuppt. Zu dieser Art Einbildungen gehört etwa auch das nicht nur in Männerkreisen verbreitete Gerücht, Frauen hätten keinen Humor. Und da dem nun mal so ist, folgt ein zweites Vorurteil auf dem Fuß, das besagt, es gebe keine Komikerinnen. Ein Phänomen, zu dessen Erklärung sich Männer immer mal wieder eine Theorie ausgedacht haben, die sie für klug hielten.

Doch trifft schon der empirische Befund, auf dem diese Theorien fußen, nicht zu. Denn selbstverständlich gibt es jede Menge Komikerinnen. Hierzulande etwa Schauspielerinnen wie Evelyn Hamann, auch Elisabeth Volkmann, in Übersee Cameron Diaz, Sandra Bullock, das "Gilmore Girl" Lauren Graham, die Sitcom-Darstellerin Ellen DeGeneres oder das ganze weibliche Personal von "Ally McBeal". Kaum eine von ihnen agiert ausschließlich im komischen Fach, doch sie alle - und viele andere - reüssierten eben auch als Komikerinnen. Zudem ist es keineswegs so, dass Komikerinnen erst in jüngster Zeit das Publikum vor Bildschirm und Leinwand erheitern. Man denke etwa an die Schauspielerin Lieselotte Pulver oder an die als Komikerin noch bekanntere Liesl Karlstadt. Seit die ersten Menschen die Bretter dieser Welt betreten haben, dürften auch Komikerinnen zu ihnen gehört haben. Ganz sicher jedoch zu denen, die sich zur Unterhaltung anderer auf Zelluloid bannen ließen.

Wenn es da noch eines Beleges bedurft hätte, so würde er nun von einer reich bebilderten Untersuchung geliefert, die sich unter dem Titel "Lachende Körper" ganz den Komikerinnen des europäischen Kinos der 1910er-Jahre widmet. Seine Autorin Claudia Preschl betont sehr zu Recht, dass sie ein "nahezu unbekanntes Forschungsfeld" bearbeitet hat. Erschwert wurden ihre Arbeit durch den Umstand, dass gerade mal 10 bis 15 Prozent der damaligen cineastischen Produktionen die Zeit in den Depots der Filmarchive überdauert haben, und diese zudem oft nur noch Fragmente sind. Dabei gab es der Autorin zufolge um 1910 alleine in Frankreich und Italien mehr als einhundert KomikerInnen, die in mehr als tausend Kurzfilmen spielten. So gehörte nicht zuletzt die mühsame Rekonstruktion des Materials zu den ersten Forschungsaufgaben.

Ein weiteres Erschwernis lag darin, dass den Filmen von Komikerinnen weit weniger Aufmerksamkeit geschenkt wurde als den Produkten ihrer männlichen Kollegen. Was etwa zur Folge hatte, dass von einigen seinerzeit populären Komikerinnen heute zwar noch Filme überliefert sind, ihre Namen jedoch längst vergessen wurden. Und zwar im wörtlichen Sinn: Es ist unbekannt, wer in den Streifen zu sehen ist. Nur wenige teilen das Glück einer Asta Nielsen, Ossi Oswalda oder Dorrit Weixler, deren Ruhm sich bis heute zumindest in cineastisch interessierten Kreisen erhalten hat.

Preschl leistet zweierlei: Zum einen stellt sie "Schauspielerinnen in komischen Rollen" und Komikerinnen in europäischen Filmen der 1901er-Jahre vor, zum anderen befasst sie sich unter Rückgriff auf feministische Filmtheorien der 1970er-Jahre mit Henry Bergsons Essay "Das Lachen" und mit Michail Bachtins "Theorie der Lachkultur". Die Rollen der KomikerInnen eröffnen der Autorin zufolge die Möglichkeit, "erste Überlegungen zu einer progressiven Theorie des Lachens im Kino entfalten". Das mag zwar sein, aber sollte das erste Ziel einer Wissenschaftlerin nicht eine plausible Theorie sein? Sicher, Progressivität und Plausibilität schließen einander nicht aus, das eigentliche Kriterium einer Theorie liegt aber doch wohl in Letzterem.

Zunächst geht die Autorin dem Zusammenhang zwischen "Schaulust und d[er] Frage nach der Emanzipation im Kino" nach und weist darauf hin, dass vor 1914 "vor allem die Vielfalt und Diversität der Kinoprogramme für viele Frauen die Erfahrung von Lust und Emanzipation bereithielt". Schaue man sich die komischen Filme dieser Zeit an, fielen neben den "witzigen" und "grotesken" insbesondere die zahlreichen "unanständige[n] sowie rebellische[n] Frauenfiguren" ins Auge, die sich "gegen Ordnungsmächte" wie etwa "Vertreter des Militärs" wenden und sich "mit Komik und Lachen" aus der Macht "männliche[r] Herrschaftsansprüche" befreien.

Nachdem Preschl im Weiteren die "andere[n] Blick- und Erzählstrukturen im Frühen Kino" beleuchtet, macht sie darauf aufmerksam, wie "vielschichtig" Geschlecht in den Filmen thematisiert wurde. Waren die komischen Kurzfilme neben "zahlreichen trick- und erzähltechnischen Effekte[n]" oft durch "derbe Späße, Zoten, sexuelle Anzüglichkeiten und direkt an das Publikum gerichtete anarchistische [anarchische? R.L.] Manifestationen" geprägt, wichen diese der Autorin zufolge in den späteren längeren Filmen einem "vorwiegend bürgerlichen Humor".

Womit ein Begriff gefallen ist, mit dem Preschl zwar immer wieder und stets in kritischer Absicht hantiert, ohne ihm jedoch die nötige analytische Schärfe zu verleihen. So spricht sie etwa von der "Verbürgerlichung des Kinos" im Lauf der 1910er-Jahre und geißelt die "(bürgerliche) Geschlechter-Ordnung", über die es zu "triumphieren" gelte. Warum nicht über die patriarchale?, möchte man da fragen. Immerhin aber zieht sie beide Begriffe schon mal zu "bürgerlich-patriarchalischen Verhältnisse" zusammen, wobei dann aber die falsche Konnotation mitklingt, in proletarischen Kreisen sei es weniger patriarchalisch zugegangen. Das allerdings ist eine Kritik, die in der insgesamt positiven Bewertung des vorliegenden Buches nicht übermäßig schwer wiegt.

In drei nach den Ländern Frankreich, Italien und Deutschland geordneten Kapiteln unterzieht Preschl etliche Filme mit komischen Protagonistinnen fast stets erhellenden Einzelanalysen. An den deutschen "Backfisch-Filmen" interessiert sie vor allem "die Rolle des verführerischen, rebellischen und komischen Mädchens (gelegentlich in Hosenrollen)". Denn gerade sie seien "keineswegs bloß Erzeugnisse eines inhaltsleeren Spaßmachertums gewesen", sondern haben vielmehr "direkte Fragen nach sexuellen Begehrlichkeiten, Geschlechter- und Autoritätsverhältnissen" gestellt und so "nicht selten die Grenzen des guten Geschmacks, manchmal auch des Erlaubten" überschritten.

In dem Film "Das Liebes-ABC" (1916) betreibe Asta Nielsen, die man seit 1911 gerne "Duse der Kino-Kunst'" nannte, etwa ein "Spiel mit komplexen und konstruierbaren Geschlechterverhältnissen", das zu zahlreichen "erotischen und zugleich komischen Szenen im vielschichtigen Geschlechterkampf" führe. Auch wenn die von Nielsen verkörperte Lis zuletzt "ins patriarchal-bürgerliche Gesellschaftssystem" zurückgeführt werde, blieben doch die "'befreiende Aspekte' im Lachen" eines "(männliche[n]) Publikum[s] über (schwache) Männer".

Übernehmen Schauspielerinnen Hosenrollen, erwecken die Filme oft den Eindruck, dass das Dasein als Mann für Frauen letztlich doch zu schwer, zu anstrengend ist, dass sie den an Männern gestellten Anforderungen einfach nicht gerecht werden können, weshalb sie sich schließlich auf ihren angestammten Platz - das heißt meist in die Ehe - flüchten.

So auch in dem 1918 realisierten Film "Ich möchte kein Mann sein" mit Ossi Oswalda. Dennoch, so beharrt Preschl wohl nicht zu unrecht, "blitzen" auch in diesen Filmen "Verweigerung und Rebellion der jungen Frauen" auf.

Die laut Preschl zu ihrer Zeit wohl bekannteste Interpretin der Backfisch-Komödien Dorrit Weixler, avancierte zwar "sehr bald" zum Star. Im Mai 1916 erlitt die gerade mal 24 Jahre alt Schauspielerin jedoch "auf offener Bühne einen Nervenzusammenbruch" und wurde in ein Sanatorium eingeliefert, wo sie sich im November des gleichen Jahres erhängte. Preschl erwähnt dieses traurige Schicksal zwar, geht einem eventuellen Spannungsverhältnis zwischen den oft emanzipativen Rollen und dem womöglich durch Anhängigkeiten und Bevormundungen geprägten Leben Weixlers - und wohl auch anderer Schauspielerinnen - nicht nach.

Das vorliegende Buch erweist sich tatsächlich als die von seiner Autorin zu Beginn versprochene "facettenreiche Darstellung der Film- und Kinokultur der 1910er Jahre", die anhand der "spezifischen Körperkomik einiger Schauspielerinnen ein vielfältiges und umfangreiches Bild vom komischen Genre dieser Zeit" zeichnet. Und auch das "Vergnügen beim Lesen", das sie auf der Lektürereise wünscht, tritt trotz der geäußerten Kritik ein. Und so ist das Buch nicht nur für Film-WissenschaftlerInnen von Interesse, sondern für alle, die das Kino lieben.


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Claudia Preschl: Lachende Körper. Komikerinnen im Kino der 1910er Jahre.
SYNEMA - Gesellschaft für Film und Medien, Wien 2008.
208 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783901644276

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