Alte Irrtümer

Eine fragwürdige Analyse

Von Catherine BeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Catherine Beck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Autobiographisches Bekenntnis, die Verarbeitung der jahrelangen Beziehung mit Max Frisch, die Bewältigung der eigenen Identitäts- und Schaffenskrise: all das soll der einzige zu Lebzeiten Ingeborg Bachmanns veröffentlichte Roman "Malina" sein. Dieser Standpunkt scheint vielen innerhalb der Bachmann-Forschung plausibel.

Die Arbeit Edith Bauers versucht nun erneut, dieses Urteil zu zementieren. Sie geht davon aus, die Biografie Bachmanns werde durch ein dichtes "intertextuelles Verweisnetz" eingekreist, das sich in verschlüsselter Weise auf die literarisierten Lebensgeschichten zweier Künstlerinnern bezieht: die Schauspielerin Eleonora Duse und die Bildhauerin Camille Claudel. Die Lebensgeschichten dieser beiden Frauen weisen für Bauer derart Parallelen zu der Ingeborg Bachmanns auf, dass sie deren Verarbeitung nicht lediglich für intertextuelle Elemente hält, sondern ihnen geradezu konstituierende Bedeutung beimisst.

Zentraler Baustein dieser literarischen Verbindungen sei der Roman "Das Feuer" von Gabriele D´Annunzio aus dem Jahr 1900, in dem der Autor die langjährige Beziehung zwischen Eleonora Duse und ihm selbst thematisiert und verarbeitet. Hier zieht Edith Bauer die direkte Verbindung zu der Partnerschaft von Ingeborg Bachmann und Max Frisch, die ihre unglückliche Beziehung nachträglich literarisiert haben sollen: Während Frisch in "Mein Name sei Gantenbein" in der Protagonistin Lila ein wenig verfremdetes Abbild der Bachmann geschaffen haben soll, habe diese darauf in "Malina" eine ablehnende Erwiderung gefunden.

Diese von Monika Albrecht entwickelte These hält sich hartnäckig und wird von Edith Bauer sogar erweitert: Bachmann analogisiere ihre eigenen Erfahrungen mit Frisch mit den Lebensgeschichten der Künstlerinnen Duse und Claudel, es gehe also keineswegs lediglich um eine formale Kritik am Erzählkonzept Frischs. Vielmehr habe sich Ingeborg Bachmann durch Frischs Professionalität derart unter Druck gesetzt gefühlt, dass es zu einem literarischen Machtkampf kommen musste.

Diese Argumentationsstruktur mutet seltsam an, bleibt sie doch in ihrer scheinbaren Beweiskraft vor allem durch spekulative Elemente geprägt. Engagierte Bachmann-Forscher wie Hans Höller und Sigrid Weigel haben immer wieder versucht, den Mythos der verzweifelten und lebensuntüchtigen Schriftstellerin Bachmann durch Verweise auf die intellektuellen Aspekte innerhalb ihres umfangreichen und facettenreichen Werks aufzubrechen. Die strenge Komposition ihrer Arbeiten und die fundierten philosophischen, psychologischen und geschichtlichen Referenzen lassen die Reduktion auf autobiografische Tendenzen selbst zweifelhaft und blass erscheinen.

Darüber hinaus enthält die Untersuchung Edith Bauers durchaus interessante und innovative Ansätze: In dem Kapitel "Zur Entstehungsgeschichte des Romans" stellt sie beispielsweise zur Diskussion, ob "Malina" tatsächlich eindeutig als Einleitungstext des "Todesarten"-Projekts gesehen werden muss. Diese einhellige Annahme der Forschung stützt sich vor allem auf eine Äußerung Bachmanns, die "Malina" als Ouvertüre bezeichnet. Den Roman aber möglicherweise als Schlusspunkt des Projektes zu betrachten, wirft vor allem in Bezug auf die erzähltheoretischen Konzepte neue Möglichkeiten der Interpretation und Einordnung auf, die verfolgt werden sollten.

Über intertextuelle Referenzen in "Malina" sind in den letzten Jahren zahlreiche Arbeiten erschienen, wobei vor allem die Bezüge zu Robert Musil und Paul Celan in den Mittelpunkt gerückt wurden. Edith Bauer verfestigt in ihrer Untersuchung die Erkenntnisse jener Forscher, die sich der Pflege des Mythos um die Gestalt der Autorin Bachmann widmen - bedauerlich.

Titelbild

Edith Bauer: Drei Mordgeschichten. Intertextuelle Referenzen in Ingeborg Bachmanns Malina.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 1998.
237 Seiten, 35,30 EUR.
ISBN-10: 3631317123

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