Nur die Kricket-Regeln akzeptiert

Zum Tod des Literaturnobelpreisträgers Harold Pinter

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

"Ich fühle mich schlicht überwältigt", bekannte der britische Dramatiker Harold Pinter, als ihm vor drei Jahren der Literaturnobelpreis zuerkannt wurde. Pinter lege in seinen Dramen den Abgrund unter dem alltäglichen Geschwätz frei und breche in den geschlossenen Raum der Unterdrückung ein, hieß es in der Begründung des Stockholmer Nobelpreiskomitees. Eine Auszeichnung, die jedoch fast 20 Jahre zu spät kam, denn Pinters letztes bedeutendes Stück "Mountain language" wurde 1988 uraufgeführt.

Mehr als 30 Theaterstücke hat der Absolvent der Royal Academy of Dramatic Art geschrieben. Seine großen Erfolge feierte er allerdings schon vor mehr als 40 Jahren mit Stücken wie "Die Geburtstagsfeier" (1958), "Das Treibhaus" (1959) "Der Hausmeister" (1960) und "Die Heimkehr" (1965) - Bühnenwerke, die heute aus der zeitlichen Distanz wie eine Mischung aus Christopher Fry, Edward Bond und Samuel Beckett daher kommen.

Dunkle schäbige, fast archaisch-höhlenartige "Bühnen"räume, latente Brutalität, gestörte zwischenmenschliche Kommunikation und eine gehörige Portion Absurdität dominierten diese Dramen, die Pinter zu einem der meistgespielten zeitgenössischen Theaterautoren machten. "Was ich schreibe ist nichts verpflichtet, außer sich selber", beschrieb Pinter trotzig sein Credo, mit dem er das in der Öffentlichkeit gepflegte Image des "zornigen alten Mannes des britischen Theaters" selbst wirkungsvoll unterstrich. Wissenschaftliche Interpretationsversuche hat Pinter stets schroff zurückgewiesen: "Ich bin kein Soziologe, sondern nur ein Schriftsteller."

Als junger Mann hatte sich Pinter, der am 10. Oktober 1930 als Sohn eines jüdischen Schneidermeisters im Londoner East End geboren wurde, mit Gelegenheitsarbeiten (Tellerwäscher, Rausschmeißer, Straßenverkäufer) über Wasser gehalten, ehe er 1957 beim Studentenfestival in Bristol mit seinem einaktigen Debütwerk "Das Zimmer", das er binnen vier Tagen geschrieben hatte, für Aufsehen sorgte. Das ihm hinlänglich bekannte Milieu der einfachen Leute hat er ebenso zum Bühnensujet gemacht wie später die Partyszene der Londoner High Society.

Harold Pinter hat es sich und seinem Publikum nie einfach gemacht. "Everybodys darling" wollte er niemals sein - lieber der streitbare Dickkopf, der überall aneckt. Als junger Mann musste er als Wehrdienstverweigerer ins Gefängnis, als weltbekannter Dramatiker lehnte er den Rittertitel ab, da der Vorschlag vom konservativen Premierminister John Major kam; bei Demonstrationen gegen die NATO-Bombardierung Serbiens, den Golf-Krieg oder die Rechte der Kurden marschierte Pinter in vorderster Front. Als alter Mann gehörte er zu den prominentesten britischen Kritikern des Irak-Kriegs. Er schäme sich dafür, dass sein Land sich dem Kriegskurs der USA anschließen wolle, sagte er 2002 der BBC. Er sei darüber nicht nur verärgert, sondern fühle sich geradezu angewidert. Und über Tony Blair erklärte er: "Es ist eine schändliche Ironie, dass wir diese Labour-Regierung mit so viel Hoffnung ins Amt gewählt haben."

Seine zweite Ehefrau, die Publizistin Antonia Fraser, bekannte äußerst humorvoll, dass er sich von niemandem etwas sagen lasse und nur die Regeln seines "geliebten Krickets" akzeptiere.

Als ihm in den 80er Jahren die Theater-Themen ausgingen, wich der höchst mitteilsame Pinter auf das Drehbuchschreiben aus und stand vermehrt wieder selbst auf der Bühne. Für rund zwei Dutzend Filme (unter anderem. "The servant", "The Go-Between" und "The remains of the day") lieferte er das Skript, zudem bearbeitete er Kafas "Prozeß" für die BBC.

Erst in den 90er Jahren widmete sich Pinter wieder stärker mit eigenen Arbeiten dem Theater - mit der Wiederaufführung seines letzten großen Stücks "Betrogen" (1978), in dem er in einfachen Dialogen (s)eine Eheaffäre thematisierte. Seine Scheidung war 1970 in England ein gigantisches Medienereignis.

Vor acht Jahren wurde sein letztes Stück, der Einakter "Celebration", im kleinen Almeida Theatre in London uraufgeführt. Im Mittelpunkt steht der Besitzer eines Nobelrestaurants, der sich mit den vulgären Auswüchsen seiner zahlungskräftigen Kunden herum plagt.

"Ich war nie fähig, ein fröhliches Stück zu schreiben, aber ich bin fähig, ein fröhliches Leben zu genießen", hatte Harold Pinter stets erklärt. An Heiligabend ist er in London im Alter von 78 Jahren an Kehlkopfkrebs gestorben.