"Es ist eine Helix!"

Michael Zeidler zeigt in seinem Buch "Wie Lukas Charles Darwin aus der Klemme half", dass Genetik spannend wie ein Krimi sein kann

Von Heike GeilenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heike Geilen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn man im Internet nach der Wortkombination "liegt in den Genen" sucht, so erhält man bei Google die erstaunliche Anzahl von rund 18.000 Treffern, die in irgendeiner Art und Weise eine Auskunft darüber erteilen, was man eigentlich nicht persönlich steuern kann. Denn die "guten" und "weniger guten" Erbanlagen eines Menschen sollen den Unterschied zwischen Gesundheit und Krankheit, zwischen Vorlieben und Abneigungen ausmachen. So scheint die Präferenz für Süßes, als auch der Geschmack im Allgemeinen, die Musik, das Morgenmuffeln, die Geselligkeit und gute Laune, das Zahlenverständnis, die männliche Beziehungsfähigkeit und noch eine Vielzahl anderer menschlicher Eigenschaften in den Genen zu liegen.

"Der ganzen Gengeschichte wird viel zu viel Bedeutung beigemessen.", meint auch Peter Steiner, ein robuster Tischlermeister, der der Biologie so gar nichts Rechtes abgewinnen kann. Ganz anders sein Sohn Lukas, der Held in Michael Zeidlers Buch. Er weiß locker und souverän mit Feedbackregulation bei Operons, dominant-rezessiven Erbgängen, Desoxyribonukleinsäure, X-Chromosomen im Karyogramm und komplementären Replikationen umzugehen. Lukas ist begeistert von der Lehre des Lebens (griech.: bios logos).

Einem Nichtbiologen schwirrt wahrscheinlich bei all diesen Begriffen der Kopf. Doch Zellaufbau sowie Vererbungslehre und Genetik gehören zum Stundenplan einer 7. beziehungsweise 9./10. Klasse. Doch nicht selten wird die überaus spannende Thematik trocken und farblos präsentiert. Auch Zeidlers Held Lukas kämpft gegen die einschläfernde Unterrichtsführung seiner ungeliebten Biologielehrerin Frau Habicht an und verliert. Er driftet mit konstanter Regelmäßigkeit in das Reich seiner Träume ab.

Aber Michael Zeidlers "etwas andere Geschichte der modernen Biologie" gibt dem Ganzen eine divergente Wendung. Der promovierte Biologe ist im Gegensatz zu Frau Habicht Erzähler aus Leidenschaft. "Wie Lukas Charles Darwin aus der Klemme half" erweist sich als lehrreiche und interessante Lektüre. Immer wieder flicht der Autor mitreißende Geschichten ein, die den angeblich trockenen Stoff auflockern und für Entspannung sorgen. Er trifft damit genau den Ton, der Kinder ab 12 Jahren in seinen Bann ziehen wird.

So eignet sich Lukas trotz seiner Tagträumerei gerade in dieser Traumwelt tiefgreifendes Wissen an und hat vor allem Interesse, immer tiefer in die Materie vorzustoßen. Wie das? Ganz einfach, er "beamt" sich direkt an den Ort des Geschehens. Mit Hilfe des "Genetikschinkens", den er im Haus seines verstorbenen Großvaters findet und der wie ein Zeit-Tor funktioniert, reist er in die mitunter abenteuerlich aussehenden Versuchslabore namhafter Forscher und wird mit deren Entdeckerfieber infiziert. Sein imaginärer Großvater - einst ein angesehener Universitätsprofessor der Biologie -, begleitet ihn meistens dabei.

Und so kommt es, dass der junge Bursche ganz nah bei großen wissenschaftlichen Entdeckungen dran ist. Er startet bei Jean-Baptiste de Lamarck - dem Pionier der Evolutionstheorie -, fährt mit Charles Darwin auf der "Beagle" zum Galapagos-Archipel und vertritt ihn gar in der ehrwürdigen Londoner Royal Society, um mit dessen Widersacher St. George Jackson Mivart ein Streitgespräch auszufechten (daher der Buchtitel). Lukas entdeckt gemeinsam mit Gregor Mendel im Augustinerkloster Brünn die Vererbungsregeln, findet mit Thomas Hunt Morgan "im Bananenmatsch" die erste weißäugige Mutation unter rotäugigen Fruchtfliegen oder erlebt die Geburt der Molekularbiologie, als George Wells Beadle erkennt, dass Gene biochemische Vorgänge innerhalb von Zellen regulieren. Zeidlers Protagonist isoliert mit Friedrich Miescher die erste DNS aus menschlichem Eiter und betrachtet mit Rosalind Franklin deren Röntgenbeugungsdiagramm der DNA, das wesentlich zur Aufklärung derer Doppelhelixstruktur beitrug.

Immer weiter bewegt sich Lukas voran, beginnend vom Anfang des 19. bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, und immer komplizierter werden die wissenschaftlichen Vorgehensweisen, die formale Logik und die molekularbiologischen Terminologien, die auf ihn und den Leser einstürmen. Um die anspruchsvoller werdenden Wissenschaftspassagen zu verarbeiten, ist mit zunehmender Seitenzahl eine erhöhte Lesekonzentration und Aufmerksamkeit zwingend erforderlich. Doch die kontemporäre belletristische Rahmenhandlung lockert immer wieder auf. Gekonnt eingeflochtene Wiederholungen, "Nachdenken und Drüber-Reden" nennt es sein Großvater, festigen das Gelesene. Schlussendlich trifft Lukas auf Jacques Monod und entwickelt zusammen mit ihm das Operon-Modell. Dieses erklärt, wie die Aktivität von Genen an- oder abgeschaltet werden kann (Regulation der Genaktivität).

Am Ende erfährt Lukas auch etwas über seine eigene Krankheit, die Hämophilie: "Ich weiß, dass ich Bluter bin, und ich weiß, dass mir ein Gerinnungsfaktor fehlt [...]. Aber ich verstehe nicht, wo in mir der Fehler liegt und warum es keine Medizin gegen diese Erbkrankheit gibt", stellt er zu Beginn des Buches fest. Die Frage beantwortet ihm auf den letzten Seiten noch einmal sein Großvater, bevor er stirbt: "In deinem Fall ist das Gen namens F8 zerstört, und zwar durch eine Inversion. Das bedeutet, ein Teil des Gens liegt verkehrt herum vor, und dadurch kann das dazugehörige Protein, der Blutgerinnungsfaktor VIII, nicht hergestellt werden. [...] ich hoffe, ich habe dir die Augen geöffnet, wie wundervoll die Biologie sein kann, wie kompliziert und doch gleichzeitig auch einfach."

Michael Zeidlers Buch führt Kinder und Eltern auf bemerkenswerte Weise an die Grundlagen der Evolutionslehre bis zu den Tiefen der Genetik heran. Der Autor deckt beinahe den kompletten Bereich der Biologie der Sekundarstufe II ab. Und so mancher Erwachsene, der nur noch vage Erinnerungen an seine Schulbiologie hat, wird am Ende erstaunt feststellen, wie spannend die Lehre vom Leben tatsächlich sein kann. Denn Zeidler bringt den durchaus komplizierten Stoff unterhaltsam, leicht verständlich, aber trotzdem fundiert und gut recherchiert herüber. Ein Glossar, ein Personenregister und eine chronologische Zeittafel runden den rundum gelungenen Sach-Roman ab.
Einziges Manko sind die fehlenden Illustrationen. Diese hätten der schwierigen Thematik durchaus gut zu Gesicht gestanden und sicherlich zum noch besseren Vorstellungsvermögen und Verständnis beigetragen. Eine Visualisierung wäre das sogenannte i-Tüpfelchen des ansonsten großartigen Buches gewesen, dem man den Eingang in so manches Biologieklassenzimmer wünschen würde.


Titelbild

Michael Zeidler: Wie Lukas Charles Darwin aus der Klemme half. Eine etwas andere Geschichte der modernen Biologie.
Herder Verlag, Freiburg 2007.
352 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783451296376

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