Eine geborene Feministin

Die Ausnahmekünstlerin Tori Amos erzählt in „Seelentanz“ über ihr Leben, ihre Spiritualität und ihre Musik

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Anfang der 1990er-Jahre trat sie auf dem „Montreux Jazz Festival“ auf: 1991 und 1992. Nur von sich selbst am Klavier begleitet trug sie Eigenkompositionen wie „China“, „Silent All These Years“ und „Crucify“, aber auch Stücke von Led Zeppelin („Whole Lotta Love“) und Nirwana („Smells Like Teen Spirit“) vor. Ganz allein von ihrer Stimme getragen wurde „Me and a Gun“. In dem Jahr zwischen den beiden Konzerten war ihre CD „Little Earthquakes“ erschienen, die Tori Amos mit einem Mal berühmt gemacht hatte. Es folgte die bis heute andauernde außergewöhnliche Karriere einer außergewöhnlichen Musikerin, die seither mit zahlreichen weiteren CDs brillierte, darunter 1996 das Album „Boys for Pele“ mit seinen enigmatischen Liedern und zuletzt „american doll posse“, für die Amos in fünf weibliche Rollen oder – wie sie selbst wohl sagen würde – Archetypen schlüpfte. Insgesamt wurden bisher mehr als 12 Millionen ihrer Tonträger verkauft.

Neben der angesichts zahlreicher Live-Aufnahmen kaum überschaubaren Anzahl von CDs erschien 2004 die DVD „Welcome to Sunny Florida“, die das Abschiedskonzert ihrer „Scarlet’s Walk“-Tour von 2003 sowie einen umfangreichen Bonus-Teil mit ausführlichen Interviews enthält. 2006 folgte die Video Collection „fade to red“, deren neunzehn Videos Amos auf einer Sondertonspur erläutert und kommentiert. Seit 2008 ist die Künstlerin sogar an einem Comic-Projekt beteiligt. Die mehr als fünfzig graphic storys des annähernd 500 Seiten umfassenden Bandes „Tattoo“ basieren auf ihren Songs.

Bereits 2005 veröffentlichte sie gemeinsam mit der Journalistin Ann Powers das autobiografische Buch „Piece by Piece“, das nun unter dem der Einleitung entliehenen Titel „Seelentanz“ auf deutsch vorliegt. Neben Texten von Powers und Amos selbst sowie paraphrasierten Interviewpassagen bietet es meist kürzere Statements ihrer Crew-Mitglieder sowie etliche „Songgemälde“ mit kleinen Mitteilungen über ihre Stücke.

Die der Einleitung folgenden acht Abschnitte und der Schluss sind meist nach Archetypen der unterschiedlichsten Mythologien benannt – der Kornmutter, Maria Magdalena, Saraswati, Demeter, Dionysos, Venus, der Löwin und schließlich Quan Yin. Denn Amos ist nicht nur C. G. Jungs Archetypenlehre verbunden, sondern vor allem „sehr spirituell“, wie ihre Managerin ganz zweifellos zurecht sagt. Dies allerdings „nicht unbedingt im religiösen Sinn“.

So greift Amos nicht nur auf bestehende Archetypen zurück, sondern erschafft sich ihre eigenen. Erklärt sie im Gespräch mit Powers jedoch: „Wenn du dich für deinen Charakter entscheidest, betrittst du die Wirklichkeit“, fühlt man sich unweigerlich an das Theorem der freien Charakterwahl in Arthur Schopenhauers Willensmetaphysik erinnert.

Amos erzählt und schreibt in „Seelentanz“ über ihre Musik, ihr Leben, ihr Denken und Fühlen. Sie berichtet von ihrer indianischen Ur-Ur-Großmutter Margaret Little, bekennt sich als Feministin und legt – soweit das möglich ist – ihre Spiritualität dar. Sie beschreibt das Tourleben und ihre Auftritten in Deutschland während des Irakkrieges, solidarisiert sich mit den Dixie Chicks, kritisiert die Musikindustrie und erzählt ausführlich vom Kampf mit ihrem früheren Plattenlabel Atlantic. „Zorn“, sagt sie in diesem Zusammenhang, sei „eine Kraft, die strategisch eingesetzt werden sollte“. Zwar sei sie „normalerweise“ eine „Schmusekatze“, aber, so warnt sie, „Schmusekatzen können schnell zu Raubkatzen werden, wenn es nötig ist.“ Für Frauen in Position wie der ihren ist das zweifellos oft nötig. Daher müssten sie „bereit sein, zuzuschlagen, wenn es angemessen ist.“ Und sie selbst könne „definitiv eine Streitaxt sein“, versichert die Frau, die von sich sagt, sie sei „als Feministin geboren“. Auch ihr Produktionsmanager Andy Salomo bestätigt: „Mann, die Puppe hat Eier“. Zwar wirkt der derbe Chauvinismus seines Spruchs befremdlich. Doch hat er einen Charakterzug von Amos sicher so treffend benannt, wie es ihm sein sexistisch restringierter Code erlaubt.

Musik bildet den Mittelpunkt des Lebens und Seins von Amos, allerdings ohne je Menschen an den Rand zu drücken, die ihr so wichtig sind wie ihre Tochter Tash. Und wenn sie erzählt, dass bereits ihre ersten kindlichen Kompositionen – sie spricht von ihren Liedern als „Klanggemälden“ – „große Ähnlichkeit“ mit den Bilder der Renaissance hatten, glaubt man ihr das sofort. „Ich versuchte, ihrem Beispiel zu folgen und klangliche Symbole in meinen Kreationen unterzubringen. Ich habe bereits sehr früh begonnen, musikalische Codes zu erfinden.“ Musik, ergänzt sie, spreche „alle Sinne“ an, „nicht nur das Hören“. So wünscht sie sich bei ihren Konzerten, „daß die Zuhörer das Lavendel riechen, daß sie das Pieken der Stricknadeln in der Handtasche der Oma spüren“ und wissen „daß das Holz im Ofen brennt“.

Eine ganz besondere Verbundenheit empfindet sie ihrem Bösendorfer-Flügel gegenüber, den sie nicht etwa als ihr Eigentum betrachtet. Vielmehr sieht sich in einer gleichberechtigten kommunikativen Beziehung mit ihm, ähnlich wie sie mit den „Songwesen“ kommuniziert, denen sie in ihren Liedern als „Songmädchen“ Gestalt, nein Klang zu verleihen versucht, um sie den Menschen zugänglich zu machen. Dass man im Internet „praktisch meinen gynäkologischen Befund lesen“ könne, „akzeptiere“ sie. Doch über eines mag sie nicht reden: Ihre „spezifischen musikalischen Einflüsse“ und wie sie ihren „Groove“ bekommt, hält sie lieber „geheim“. Diese Sachen sein „sehr privat“ und ihr „heilig“.

Mit „Seelentanz“ liegt ein wunderbares Buch vor, das allen, die sich in der Musik von Tori Amos verlieren können, wärmsten empfohlen sei. Wer allerdings des Englischen mächtig ist, sollte lieber zur Originalausgabe greifen. Denn eines gibt es an dem Band denn doch zu monieren. Michael Schübelers Übersetzung macht nicht eben einen souveränen Eindruck. Mal übersetzt er allzu frei, so dass sich Amos‘ Feststellung „I really wanted to go on the trip“ zur sexuell konnotierten umgangssprachlichen Wendung „Ich war wirklich scharf auf diesen Ausflug“ wandelt. Mal klebt er allzu buchstabengetreu an englischen Wendungen, und transformiert den Satz „Little did I know, this guy would later be questioned for removing women’s body parts“ in stammelndes und unverständliches Deutsch: „Ich konnte nicht wissen, daß dieser Typ später verhört werden würde, Körperteile von Frauen entfernt zu haben.“ Und wenn Amos bekennt, beim Musizieren fühle sie sich, „as if I‘m walking through a different dimension“, und erklärt, dies zu erleben sei „quite humbling“, so will sie damit wohl kaum sagen, sie finde das „ziemlich demütigend“, wie Schübeler übersetzt, sondern, dass sie diese Erfahrung mit Demut erfülle.

Titelbild

Tori Amos / Ann Powers: Piece by Piece. A Portrait of the Artist: Her Thoughts. Her Conversations.
Broadway Books, New York 2006.
353 Seiten, 15,99 EUR.
ISBN-10: 0767916788
ISBN-13: 9780767916776

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Titelbild

Tori Amos / Ann Powers: Tori Amos - Seelentanz.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Michael Schübeler.
IP Verlag, Berlin 2008.
256 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783931624422

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