Die Linke im Nahostkonflikt

Zu Peter Ulrichs Studie über "Die Linke, Israel und Palästina"

Von Thomas HummitzschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Hummitzsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Gaza wurde die Realität der neuen Kriege in den vergangenen Wochen auf neue Weise erschreckend deutlich. Seit Jahren versinkt der Nahe Osten mehr und mehr in Gewalt, keine politische Initiative bringt die Völker in der Region einander näher. Und dennoch, die Suche nach einer Lösung muss weitergehen. Die linkspolitischen Strömungen wollen dazu nichts beizutragen, wie Peter Ullrich in seiner Untersuchung des linkspolitischen Spektrums beweist. Sie bedienen sich stattdessen eines spezifisch linken Antisemitismus.

Während sich Israel und Hamas über den Jahreswechsel gegenseitig bekämpften, brach im Internet ein ganz anderer Krieg aus. Die Rede ist vom medialen Krieg, in den beiden Seiten sowie ihre Sympathisanten aktiv eingreifen, Videos zur Verfügung stellen und das Geschehen kommentieren. An vorderster Front steht dabei die Internationale Linke, deren Geister sich am Nahostkonflikt seit jeher scheiden. Die linke Sympathie für den antiimperialistischen Kampf trifft auf proisraelische Tendenzen. Damit stehen sich zwei Konzepte gegenüber, die konträrer kaum sein könnten. Mit diesen hat sich der Politologe Peter Ullrich im Rahmen seiner Dissertation befasst, die nun unter dem Titel "Die Linke, Israel und Palästina. Nahostdiskurse in Großbritannien und Deutschland" im Dietz-Verlag vorliegt.

Insbesondere in Deutschland ist die linke Diskussion um den Nahostkonflikt äußerst kontrovers. Dies liegt hauptsächlich an der historischen Verantwortung Deutschlands für den jüdischen Staat, die ein Kernelement linken Denkens im Nachkriegsdeutschland darstellt. Demzufolge war die Gründung Israels die historische Konsequenz aus dem Holocaust. In den 1970er-Jahren entstand neben dieser, aus der geschichtlichen Verantwortung hervorgegangenen proisraelischen Gesinnung eine antiisraelische Haltung, die sich aus dem Aufbegehren der Linken gegen den weltweiten Imperialismus des Kalten Kriegs ergab. In diesem Verständnis war der palästinensische Befreiungskampf Teil der globalen antiimperialistischen Bewegung und als solcher in jeder Form gerechtfertigt und gutzuheißen. Dieses Weltbild kennt bis heute nur Besatzer und Besetzte und die Rollen sind klar verteilt: Demzufolge besetzt die vorgebliche Kolonialmacht Israel bis heute das historische Palästina. Die ungleichen Kräfteverhältnisse, die Siedlungspolitik und die schlechten Lebensbedingungen in den palästinensischen Gebieten unterstützen diese Ansicht. Diese antiisraelische Haltung hat seit jeher ein antisemitisches Spiegelbild. Naomi Klein, Ikone der linken Globalisierungsgegner, bediente dieses kürzlich erst wieder, als sie im britischen "Guardian" zum Boykott jüdischer Geschäfte aufrief. Wie riefen einst die Nationalsozialisten? "Kauft nicht bei Juden!" Mit dieser erschreckenden Formel, kaum verklausuliert, rannte Naomi Klein bei einem Großteil der Linken weltweit offene Türen ein.

Vielen Linken geht es Ullrichs Analyse zufolge auch nicht um eine Lösung des Nahostkonflikts, sondern um die Kommentierung des Konflikts und der oben formulierten Interpretationen an sich. Links von der Mitte wirft man sich gegenseitig Antisemitismus und Rassismus vor. Diese absurde Metadebatte um die verschiedenen -ismen (Faschismus, Rassismus, Antisemitismus, Antizionismus, Imperialismus, Kolonialismus, Kapitalismus, Liberalismus, Neo-Liberalismus, Globalismus) nimmt den größten Raum in den linken Diskussionsforen und in den persönlichen Beziehungen ein. Ganze Wohngemeinschaften haben im Streit um die richtige Nahostideologie ihr Ende gefunden. Handgreifliche Auseinandersetzungen zwischen proisraelischen und propalästinensischen Linken waren in der Vergangenheit keine Seltenheit. Ullrich arbeitet in seiner Untersuchung der deutschen Linken, die den größten Teil seiner Arbeit einnimmt, die Genese und Tragweite dieses Konflikts deutlich heraus. Beim Durchforsten der einschlägigen Foren und Diskussionskreise hat er Dialoge und Debatten entdeckt, die diese geradezu kafkaesk-absurde Diskussion um das eigene Sein und Nicht-Sein vor der Kulisse des Nahostkonflikts deutlich machen. Das linkspolitische Spektrum in Deutschland steht mit sich selbst in einer Art Nah(ost)kampf.

Diese innerlinke Konstellation ist eine deutsche Besonderheit, das macht Ulrichs Blick nach England deutlich. Auf der Insel bestimmt die Besatzungsperspektive und die damit in Verbindung stehende israelkritische bis antisemitische Haltung die linke Position - Naomi Klein war sich dieser also durchaus bewusst. Das Israel-Bashing führt zuweilen bis hin zur Verehrung der islamistischen Akteure im Nahen Osten.

Insgesamt liegt mit Ullrichs wissenschaftlicher Studie - ihr zuweilen recht trockener Duktus ist nicht zu verleugnen - eine erste Untersuchung der antagonistischen linken Positionen vor. Diese konzentriert sich auf die deutschen Positionen, macht im deutsch-britischen Vergleich aber zugleich deutlich, dass ein Großteil des internationalen linken Lagers in den historischen Szenarien des Kalten Kriegs hängen geblieben ist. Kolonialismus und Imperialismus sind in diesem Verständnis nur von Globalisierung und Neoliberalismus abgelöst worden. Dabei kam es zur bedauerlichen Rückkehr der hässlichen Fratze des Antisemitismus, die im nationalsozialistisch geprägten Bild des jüdischen Bankiers, der die Welt aussaugt, immer noch ihre Ikonisierung findet. Soweit geht Ullrichs Analyse und Interpretation der Fakten auch mit, doch fehlt ihr am Ende eine kritische Schlussfolgerung aus diesen Feststellungen. Vielleicht weil er selbst Teil des linken Spektrums ist (gefördert wurde der Doktorand von der Rosa-Luxenburg-Stiftung).

Wie könnte eine solche kritische Schlussfolgerung aber aussehen? In etwa so: Die Grundkonstellation im Nahen Osten hat sich in den vergangenen zwei Jahren gen Iran verschoben. Mahmud Ahmadinedschads verlängerter Arm hieß vor zwei Jahren Hisbollah und heißt heute Hamas. Ein Konflikt zwischen Imperialisten und Befreiungskämpfern ist der Nahostkonflikt schon lange nicht mehr, wenn er es seit 1949 denn überhaupt je war. Während sich die Denker und Strategen der politischen Mitte inzwischen mit den eigentlichen Fragen im Nahen Osten befassen (Lösung der Flüchtlings-, Siedlungs-, Grenz- und Jerusalemfrage), diskutiert die deutsche Linke immer noch über das Huhn und sein Ei, über Gut und Böse, über richtig und falsch. Doch die nahöstlichen Realitäten sind sehr viel komplexer, als dass sie mit diesen Kategorien erfasst werden könnten. Im Nahen Osten herrschen heute Verhältnisse, die in der Politikwissenschaft als asymmetrisch bezeichnet werden. Ein waffentechnisch weit überlegender Staat steht verschiedenen, rudimentär ausgerüsteten, aber vor allem fanatisch angestachelten Kampfeinheiten gegenüber. Diese gehören zu Organisationen, die zugleich politische Partei, karitative Organisation und im Untergrund kämpfende, terroristische Zelle sein wollen. Zugleich existieren gemäßigte Positionen, die zu vermitteln suchen und dabei an beiden Fronten auf den Widerstand der Extremisten stoßen.

Wie geht man - auch international, denn ein Einsatz internationaler Truppen wird ja wieder emsig diskutiert - mit einer solchen Konstellation um, in der Tatsachen nichts mehr zählen, weil sie vom Glaubenseifer und der Blindwütigkeit der Akteure verschlungen werden? Das wäre eine zentrale Frage, die zu diskutieren sich lohnte, doch das findet in der Linken nicht statt. Im linken Milieu geht es immer noch um Bock und Gärtner. Derart verliert diese politische Strömung an Relevanz und Ernsthaftigkeit und stellt sich selbst ins politische Abseits. Das ist die bittere Wahrheit, die Ullrich entweder selbst nicht erkennt oder sich nicht auszusprechen wagt.


Titelbild

Peter Ullrich: Die Linke, Israel und Palästina. Nahostdiskurse in Großbritannien und Deutschland.
Karl Dietz Verlag, Berlin 2008.
326 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783320021566

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