Boysgebiete

Heinz Strunks genialer Roman "Fleckenteufel"

Von Martin SpießRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Spieß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jetzt ist sie also da, die Antwort auf Charlotte Roche. "Knabenblau, explizit, wischfest", so wird Heinz Strunks genialer Roman "Fleckenteufel" angepriesen. Denn das vorweg: Fleckenteufel ist wahrscheinlich das nachdenklichste und gleichzeitig witzigste, unterhaltsamste Stück des bisherigen Jahres. Das den optischen und werbetechnischen Vergleich zu "Feuchtgebiete" gar nicht gebraucht hätte. Das auch ohne den Bestseller-Vorgänger ordentlich gerockt hätte.

Strunks Protagonist ist Thorsten Bruhn, 16 Jahre alt und auf dem Weg an die Ostsee, zu einer christlichen Freizeit. Thorsten ist vor allem eins: geil. Leider ist er nicht besonders attraktiv, und außerdem zu klein. So bleibt ihm allein, die Fleischeslust an sich selbst zu vollziehen: es wird kräftig "entsaftet" und "abgemolken". Dabei sind genauso die bezaubernde Susanne Bohne ("der Name ist natürlich total bescheuert") wie der schlaksige Andreas Mittelpunkt seiner Fantasie. Seine Gedanken drehen sich aber nicht nur um die Vorder-, sondern auch um die Rückseite des Schambereichs seines Körpers: Thorsten denkt viel über seinen Stuhlgang nach, sorgt sich, wenn er drei Tage nicht "kacken" war, leidet an mitunter eminenter Flatulenz. Und er legt Wert auf die Pflege seiner Rosette, die er "bis ins hohe Alter in absolutem Topzustand erhalten" will.

Wenn Thorsten sich mal nicht mit Sex oder Scheiße befasst, liest er. Anfangs noch Enid Blytons "Fünf Freunde"-Bücher und Landser-Hefte, Groschenromane mit Zweiter-Weltkrieg-Handlung. Als ihm der Exzentriker Tiedemann jedoch Charles Bukowski zu Lesen gibt, hat Thorsten einen Erweckungsmoment: "Ich beschließe, alles von Bukowski zu lesen, der Mann ist ein Genie."

Auch das Genie Strunk zeigt sich in "Fleckenteufel", und das überdeutlich. Nach dem eher wenig aufregenden "Fleisch ist mein Gemüse" und dem schwerfällig geschriebenen Roman "Die Zunge Europas" legt Strunk mit "Fleckenteufel" ein Stück juveniler und doch durchdachter Rockmusik in Buchform vor - und streift dabei spielend (große) Themen wie Stoffwechselfunktionalität, Adoleszenz und (Bi-) Sexualität. Dankenswerterweise thematisiert Strunk die Frage, ob Thorsten bisexuell oder gar schwul ist, nicht.

Viel besser noch: Er lässt seinen Protagonisten ganz einfach gar nicht darüber nachdenken, was seine Fantasien bedeuten. Er lässt sie ihn einfach haben, ohne ihn dafür zu loben oder zu verurteilen. Zu allem gern genommenen Überfluss wartet Strunk außerdem mit einem schier unerträglichen Witzreichtum auf. Der hat sich in "Fleisch ist mein Gemüse" schon angedeutet, hier führt er ihn zur Vollendung. Trotzdem bleibt es: Des ähnlichen Sujets wegen liegt der Vergleich mit Charlotte Roche nahe. In beiden Romanen sind die Protagonisten junge Menschen, die sich auf experimentelle Körper- und Sinn-Suche begeben. Heinz Strunk hätte zwar, wie er in einem TV-Interview sagte, "Fleckenteufel" ohne "Feuchtgebiete" nicht geschrieben. Strunks Roman steht aber auch ohne Vergleich da wie ein Fels. Und rockt.


Titelbild

Heinz Strunk: Fleckenteufel. Roman.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2009.
220 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783499252242

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