Lexikologie und Lexikografie des Deutschen

Michael Schlaefers Kompendium am Beispiel deutscher Wörterbücher

Von Isabelle MenselRSS-Newsfeed neuer Artikel von Isabelle Mensel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Lexikologie ist ein schwer zu definierendes Teilgebiet der Linguistik und steht in enger Beziehung unter anderem zur Semantik, Etymologie, Morphologie und Wortbildungslehre. Innerhalb der Sprachwissenschaft kann sie daher als interdisziplinäres Gebiet bezeichnet werden. Die Lexikologie als Wissenschaft des Wortschatzes und die Lexikografie als Lehre der Erstellung von Wörterbüchern und der Forschung über selbige hängen eng zusammen und so bietet es sich an, beide in einem Band zu behandeln, wie in dem vorliegenden Werk geschehen.

Nachdem diese Einführung 2002 zum ersten Mal erschien, liegt nun die korrigierte zweite Auflage vor. Das alte Schicksal der Lexikologie, nur allzu häufig mit der Lexikografie verwechselt oder gleichgesetzt zu werden, verlangt nach einer sorgfältigen definitorischen Abgrenzung dieser Bereiche, was die getrennte Behandlung der beiden Gebiete erklärt, wobei die Lexikologie der Lexikografie, deren Grundlage sie bildet, sinnvollerweise vorangeht. Der sechsteilige Aufbau des Buches ist übersichtlich und für die Zielgruppe der Studienanfänger ohne Weiteres nachvollziehbar: Auf die Einleitung, die kurz in den Themenkreis sowie die Gliederung des Bandes einführt, folgen die beiden Herzstücke des Werkes, die Abschnitte zur Lexikologie und Lexikographie. Das Buch bietet ein dreigeteiltes Literaturverzeichnis, was eine leichtere Orientierung erlaubt: "Bibliographien", "Wörterbücher", "Handbücher und Einzeldarstellungen". Es folgt eine Sammlung mit Definitionen von für die Thematik relevanten Fachtermini. Der Band schließt mit einem detaillierten Sachregister.

Innerhalb der quantitativ gleich gewichteten Lexikologie- beziehungsweise Lexikografie-Teile wurde eine stark hierarchische Gliederung gewählt. Sie beginnen jeweils mit einer eingängigen Abgrenzung des Arbeitsgebietes.

Der Lexikologie-Teil ist nach den sprachlichen Ebenen aufgebaut. Er beginnt mit den Bereichen Morphologie und Wortbildung - dem Aufbau der Wörter -, um überzugehen zum Bereich Lexikon, dem eigentlichen Thema, und erstreckt sich bis zur Textebene im Kapitel "Beziehung der Wörter im Text". Anschließend wird aus einer historischen Perspektive die Entwicklung des deutschen Wortschatzes beleuchtet.

Bei den Ausführungen zum sprachlichen Zeichen, welches den unklaren Wortbegriff vermeidet, wäre ein Hinweis zur Herkunft der Terminologie angebracht. Die nicht nur im Bereich der Lexikologie anzutreffenden Begriffe der langue und parole sind zentral für die Linguistik und kurze Ausführungen zu Saussure daher angebracht. Das Gleiche gilt für die Ausführungen zum arbiträren Charakter des sprachlichen Zeichens im Unterkapitel "Beziehungen von Ausdrucks- und Inhaltsseite"; auf Saussure nur in Form einer Literaturangabe hinzuweisen, scheint angesichts der Zielgruppe Studienanfänger gewagt.

Dass in einer Einführung in die Lexikologie und Lexikografie keine detaillierten Ausführungen zur Wortbildung zu erwarten sind, versteht sich von selbst. Es können nur allgemeine Grundlagen behandelt und somit lediglich Grundformen der Wortbildung in den beiden Hauptbereichen Derivation und Komposition vorgestellt werden, soweit sie für die Erfordernisse der praktischen Lexikografie relevant sind. Die zahlreichen vorhandenen Einführungswerke in die Morphologie und Wortbildung können und wollen diese Erläuterungen nicht ersetzen.

Auf diesem notwendigen Fundament beginnt die eigentliche Darstellung des Wortschatzes im Kapitel "Wörter im Lexikon". Die Schwierigkeiten bei der Schätzung der synchronen Lexemmenge im Deutschen - und natürlich in jeder anderen Sprache - führt anschaulich in die Problematik der Definition von Wortschatz ein. Die verschiedenen Strukturierungsalternativen - Wortarten, Wortfamilien, Wortfelder, diasystematische Untergliederungen - zeigen die Möglichkeiten und Grenzen des jeweiligen Ansatzes auf, wobei konsequent Bezüge zum Sprachwissen durchschnittlicher, linguistisch nicht vorgebildeter Sprecher etabliert werden. Der Autor hält die Studierenden damit auf einer Metaebene geschickt zur kontinuierlichen Reflexion - sowohl als Sprecher als auch als Experte - an.

Nach einem vergleichsweise kurzen Ausflug in die Beziehung der Lexeme im Text unternimmt das letzte Kapitel aus dem Bereich Lexikologie eine solide Einführung in die historische Lexik, die - mit Ausnahme der Germanistik - in vielen Philologien heutzutage zu Unrecht ein Schattendasein fristet. Schwerpunkte der Darstellung bilden die komplementären methodischen Ansätze der Etymologie und der Wortgeschichte. Die sprachvergleichend ausgerichtete Etymologie einerseits und die einzelsprachlich und textanalytisch orientierte Wortforschung andererseits werden anhand zahlreicher anschaulicher Beispiele herausgearbeitet - wie etwa im Bereich des Wortfeldwandels der Aufbau und die Strukturierung des Wortfeldes "weibliche Person" um 1280 im Vergleich zu dem um 2000.

Der Umriss des Arbeitsgebietes fällt im Lexikografie-Teil naturgemäß ausführlicher als im Lexikologie-Teil aus. Nach der Klärung der Aufgaben, Produkte und Grundlagen der Lexikografie sowie einer sehr knappen Skizze der Wörterbuchforschung erfolgt in dem mit "Wissensauswahl und Wissensorganisation" überschriebenen Kapitel eine Präsentation aller im Zusammenhang mit der Analyse von Wörterbüchern wichtiger Termini, wobei darauf geachtet wurde, zu einem Phänomen stets die Einträge mehrerer Wörterbücher vergleichend gegenüberzustellen.

Großer Wert wurde auf die detaillierte Beschreibung der Charakteristika der einzelnen Wörterbuchtypen gelegt, die sich problemlos auf andere Philologien übertragen lassen, wenn man von den Beispielen absieht, die selbstredend nur für die Germanistik relevante Werke erfassen.

Sehr interessant - gerade aus studentischer Perspektive - ist der Einblick in die oft belächelte lexikografische Praxis anhand der Redaktion des Artikels "Feder" im Rahmen der Neubearbeitung des "Deutschen Wörterbuchs" von Jacob und Wilhelm Grimm; Michael Schlaefer geht auch auf das omnipräsente Spannungsverhältnis zwischen Wünschenswertem und Machbarem der lexikografischen Tätigkeit ein. Damit wird eines der möglichen Anwendungsgebiete linguistischer Arbeit gezeigt, was zur Motivation der Studierenden beitragen kann: Sie sehen, dass sich die oft verhasste, aber notwendige Detailarbeit nicht nur auszahlt, sondern unablässig ist, um ein für verschiedene Nutzergruppen brauchbares Nachschlagewerk zu erstellen. Des Weiteren erkennen die Studierenden auch den Sinn linguistischer Konventionen.

Sowohl im Lexikologie- als auch im Lexikografie-Teil werden Fachtermini im fortlaufenden Text verständlich und umfassend definiert. Die Definitionen hemmen den Lesefluss nicht. Zur leichteren Orientierung sind die Fachtermini auch typografisch hervorgehoben. Allerdings finden sich nicht alle hinten bei den "Worterklärungen" wieder, so zum Beispiel nicht Heteronym oder Lexikalisierung beziehungsweise Lexikalisierungsgrad aus dem Bereich Lexikologie, die sicherlich auch zu dem in der Einführung beschriebenen "Kernbestand terminologischer Bezeichnungen" gehören.

Außer dem ersten kurzen Kapitel des Lexikologie-Teils endet jedes andere mit einer Zusammenfassung, welche durch ein grau hinterlegtes Kästchen auch grafisch hervorgehoben ist. Dies erlaubt einen schnellen Überblick und trägt den didaktischen Erfordernissen einer Einführung Rechnung ebenso wie die zahlreichen übersichtlichen Tabellen und Abbildungen.

Am Ende eines jeden Unterkapitels finden sich weiterführende Literaturangaben, die eine vertiefte Beschäftigung mit der jeweiligen Thematik, etwa in Form von Seminardiskussionen, Referaten oder Hausarbeiten erlauben.

Insgesamt bleibt festzuhalten: Die im Vorwort angekündigte "praxisorientierte Zusammenschau der Arbeitsgebiete der Lexikologie und der Lexikographie" wurde mehr als erfüllt. Studierenden wird ein gutes Arbeitsmittel an die Hand gegeben sowohl zur sorgfältigen Prüfungsvorbereitung als auch zur schnellen, gezielten Wiederholung. Der Band führt auf eingängige und unterhaltsame Weise in die Thematik ein und kann gewinnbringend in den linguistischen Disziplinen der verschiedenen Philologien eingesetzt werden.

Eine mögliche sinnvolle Ergänzung zur Wiederholung und Vertiefung des Stoffes wären Übungsaufgaben am Ende eines jeden Kapitels beziehungsweise größeren Abschnitts, die auch als Diskussionsgrundlage in Seminaren dienen könnten.


Titelbild

Michael Schlaefer: Lexikologie und Lexikographie. Eine Einführung am Beispiel deutscher Wörterbücher.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2009.
200 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783503098637

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