Wie eine Zwiebel

Hermann Peter Piwitts Roman "Die Gärten im März" verdient es, noch einmal neu gelesen zu werden

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was ist das denn nun wieder für ein Buch? 1979 erschien Hermann Peter Piwitts zweiter Roman "Die Gärten im März" bei Rowohlt. Nun, beinahe 30 Jahre später, liegt der Text in einer Neuausgabe des Wallstein Verlags vor.

Ist es ein marxistischer Arbeiterroman? Ist es im Gegenteil ein Dokument der "Neuen Subjektivität", die etwa Mitte der 1970er-Jahre aufkam - im Sinne einer Beschreibung individueller Alltagserfahrungen, die sich von der Engagierten Literatur ästhetisch distanzierte? Hat man hier, dem beeindruckenden Alkoholpensum des größtenteils männlichen Personals nach zu urteilen, einen Prätext der norddeutschen Trinkerromane von Frank Schulz ausgegraben? Oder handelt es sich vielmehr um einen frühen 'Familienroman', der den Einfluss der kleinbürgerlichen Nazigeneration auf ihre 1968er-Kinder untersucht, als tiefenscharfes Zeitbild aus dem Deutschen Herbst?

Es spricht für die Qualität des Textes, dass man keine eindeutige Antwort auf diese Fragen geben kann. Der Romanbeginn wirkt verschwommen. Wer spricht da überhaupt? Der zunächst einmal anonyme Erzähler, ein offenbar an einem Tinnitus leidender, dauerkrankgeschriebener Drucker, sichtet die Habe seines spurlos verschwundenen Chaos-Freundes Ponto. Kontrapunktische Satzrhythmen empfangen den Leser. Es ist die Rede von einer Mansarde, an der Dachschräge "Postkarten, kleine Drucke, Fotos von Menschen, Gesichter von Freunden und Fremden".

Der Protagonist tritt als 'Herausgeber' auf, der die Probleme seines dokumentarischen Schreibprojekts über die Geisteswelt eines engen Vertrauten refklektiert, dazu das Motiv der Dachkammer auf dem Land: Diese Elemente erinnern stark an Thomas Bernhards Prosa-Supernova "Korrektur" (1975). Doch dann, Schnitt, befinden wir uns auch schon in der Kneipe, und irgendwie klingt das jetzt eher wie der frühe Peter Kurzeck, etwa im "Schwarzen Buch" von 1982 - aber trotz der beschriebenen Misere lustiger.

Selten sah man diese ganzen fertigen Typen am Tresen und das bizarre 'Dekor' jener Männeraufbewahrungsanstalten, in denen sie dahinvegetieren, so treffend beschrieben wie hier. "Eine Vitrine mit Eisbein und Aspik, Dauerwurst und Piccolos. Darauf eine Lampe mit Sektflasche als Fuß. Eine Sparbüchse in Form eines Schiffes für Spenden zur Rettung Schiffbrüchiger." Und dann der Spruch "Sup di vull und fred di dick - un hol din Mul von Politik" als "Mahnung in Holz gebrannt vor den Regalen mit den Likören, Weinbränden und Schnäpsen".

Alles klar, das sind die 1970er-Jahre, als die Leute morgens nach dem Aufwachen erst einmal ein Bier aufmachten, ihr unabdingbarer Nonstop-Zigarrettenkonsum einen Großteil des Arbeitersalärs auffraß und man, in Sachen '68 längst resigniert, meist schon nichts mehr mit der Gewerkschaft zu tun haben wollte. Der Chor der Stimmen, der von Piwitts erinnerndem Erzähler dirigiert wird, kündet von einem neu erstarkenden Gastarbeiter-Rassismus der Deutschen, vom naiven Glauben der kleinen Leute an den Konsum, von der gerade aufkommenden, bereits 'neoliberalen' Hausfrauen-Utopie einer Tupperwaren-Party-Existenz und dem verzweifelten Traum von einer vielleicht irgendwie doch noch finanzierbaren Polstergarnitur, um die sowieso längst kaputte Beziehung in der schmierigen Hamburger Stadtwohnung mittels eines neuen Katalogambientes 'zu retten'.

Piwitt überzeugt nicht zuletzt damit, dass er den zaudernden Helden seines BRD-Zeitbilds Erinnerungen an seine Nazi-Eltern und die Ära vor 1945 heraufbeschwören lässt. Diese historische Vielschichtigkeit des Romans gibt dem Text tatsächlich die "Form einer Apfelsine, einer Zwiebel", wie es selbstreflexiv an einer Stelle heißt. Wenn so etwas glingt wie hier, ist es ein Merkmal, dass Literatur die Jahrzehnte überdauern lässt.

Anmerkung der Red.: Dieser Artikel erschien bereits in Konkret 12/2008.


Titelbild

Hermann Peter Piwitt: Die Gärten im März. Roman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2008.
234 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783835303249

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