Die Auferstehung des Autors

Ausgerechnet in seinem Mörder reinkarniert: Die Wiederkehr des Autors in Roland Barthes letztem Werk "Die Vorbereitung des Romans"

Von Malte DreyerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Malte Dreyer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt Sätze, die bleiben. Der Satz vom Tod des Autors ist so einer. Roland Barthes hat ihn in seinem berühmten Aufsatz aus dem Jahre 1968 geschrieben. Die programmatische Parole war als radikale Absage an eine Interpretationspraxis gedacht, in deren Mittelpunkt die Kategorie des Subjektes stand. Gegen das noli me tangere, mit dem die traditionelle Literaturwissenschaft in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts ihr Objekt zu einem sakralen Gegenstand verklärte, formulierte Roland Barthes in jenem nicht einmal sieben Seiten langen Text eine Position, die jede Flucht in die argumentativ problembehaftete Kategorie der Autorintention endgültig verbauen und zugleich eine neue Perspektive auf die unbändige Dynamik hermeneutischer Prozesse eröffnen sollte. Knapp zehn Jahre später hielt derselbe Barthes eine Vorlesung am Collège de France, die die baldige Wiederkehr des totgesagten Autors in Aussicht stellte. Die sorgsam edierten Skripte dieser Vorlesung wurden nun endlich übersetzt und erscheinen in einem rund 570 starken Band bei Suhrkamp.

In einem quasi-empirischen Versuch protokollierte er öffentlich seine Vorbereitungen zu einem Roman, an dessen Stelle sukzessive die Reflexion über den Anfang des Schreibens selbst treten sollte. Doch kaum einer seiner verständigen Zuhörer wird einen signifikanten Bruch mit der provokativen Parole vom Tod des Autors bemerkt haben. Denn wie die als klapprige Halbtote auferstandenen Kuscheltiere von Stephen Kings Friedhof mit ihren bequemen Vorgängern nicht mehr viel gemeinsam haben, ist auch das wiederauferstandene Autorsubjekt eher ein Gespenst seiner selbst. Der Autor als Refugium von Identitätsvorstellungen musste erst zur Gänze zu Grabe getragen werden, um schließlich als störender, den alten Ordnungen gefährlicher Wiedergänger zurückzukehren. Barthes auferstandener Autor ist ein höchst flüchtiges Wesen, das nicht invariant gegenüber den Gegenständen seines Schreibens ist, sondern in ein lebendiges Wechselverhältnis zu ihnen tritt, in dem es seine Welt- und Selbstbezüge erst erarbeitet. "Die Vorbereitung des Romans" ist daher als praktische Ausführung der kritischen Intention zu verstehen, die der Philosoph Barthes mit der polemischen Absage an die Identitätsphilosophie verfolgt und nicht als Bruch mit alten Überzeugungen. Er selbst erscheint uns hier als ostentativ tastender Forscher auf der Suche nach einer Erzählung und verändert sich auf der Reise durch die textuellen Gefüge Marcel Prousts und Franz Kafkas stets, wie der transparente Schleier eines Geistes auf dem Hintergrund, vor dem er schwebt. Ganz will er das Subjekt, dessen Tod er beschwor, nicht wiederfinden, und seinem Versuch steht diese Wechselhaftigkeit ausgesprochen gut.

Barthes Ausführungen erhalten ihre Wahrhaftigkeit durch die zahlreichen, höchst persönlichen Bezüge, die seinem Text zugleich eine subtile Intimität verleihen und damit trotz des durchsichtigen Subjektbegriffes schnell eine vertrauliche Atmosphäre evozieren. Hier hören wir nicht mehr dem unbeteiligten Beobachter einer anonymen Struktur zu, hier spricht nicht der seinem Objekt gegenüber gleichgültige Positivist, sondern vor allem ein begeisterter Leser Stéphane Mallarmés und Gustave Flauberts. Doch im Leseerlebnis bleibt dem Kulturwissenschaftler Barthes gegenwärtig, dass jeder Text ein Kondensat kultureller Bedingungen darstellt, zu dem er sich trotz aller Privation im Aneignungsakt notwendig positioniert, sobald er versteht.

Für diese Doppelgestalt findet Barthes einen paradigmatischen Ausdruck im Haiku; denn obwohl das Haiku immer die Spur einer individuellen Wahrnehmung trägt, wird es durch seine fortwährende Zirkulation zu einer Art Kollektivbesitz, der "die Idee der Urheberschaft erschüttert". Aber das Haiku ist noch mehr als eine praktische Vermittlung des Besonderen mit dem Allgemeinen. Wie im Begriff des Zeichens, der als paradigmatischer Leitbegriff einer neuen Literaturwissenschaft letztlich nur noch die Affirmation der zahlreichen Aporien zuließ, die aus ihrer systematischen Ausrichtung resultierten, komprimiert Barthes seine grundlegenden und berechtigten Zweifel an den strukturalistischen Analysekategorien der Textwissenschaften in der epistemologischen Figur des Haikus, das modellhaft die Möglichkeit eines begrifflichen Zugriffes auf Texte überhaupt in Frage stellt. Am Haiku tritt also hervor, was sich jeder definitiven Bestimmung entziehen muss: die wichtige Funktion der Deixis in seiner Semantik und die strukturelle Offenheit im Bau seiner Strophe wiederholen formal die so zufällige wie bedeutungskonstitutive Konstellation, in der es auf seinen Leser trifft. Das nur wenige Verse lange Haiku bringt mit den wenigen Worten, aus denen es für gewöhnlich besteht, ein ganzes Universum bildhafter Mehrdeutigkeiten und poetischer Assoziationen hervor und entzieht sich damit einer Reduktion auf seinen bloßen Inhalt.

Es mag verwundern, dass Barthes in einem Text, in dessen Mittelpunkt der Roman stehen soll, einer literarischen Kurzform so viel Aufmerksamkeit schenkt. Aber indem Barthes das Haiku zu einer spezifischen Form der Wahrnehmung im Medium der Sprache ausbaut, schreibt er ein Projekt fort, mit dem der russische Literaturtheoretiker Michael Bachtin in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts den Begriff des Romans um eben diese erkenntnistheoretische Dimension erweiterte. Sowenig wie das Haiku ist auch der Roman nur eine gattungspoetologische Kategorie, sondern vielmehr eine bestimmte Diskurspraxis, oder - mit den Worten Barthes - eine "Schreibweise des Neutrums".

Der eigentümliche Diskursmodus des Romans zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass er nie abgeschlossen werden kann und damit auch die Frage nach seinem Ursprung und Anfang zugunsten einer iterierbaren Praxis unbeantwortet lässt. Wenn aber der Anfang unauffindbar ist, bleibt auch der Übergang von der Vorbereitung zur eigentlichen Durchführung fließend, und die vorbereitenden Reflexionen gehen nahtlos in eine romaneske Epik über. Wer Barthes' kleine essayistische Miniaturen "Mythen des Alltags" oder "Lust am Text" gelesen hat, weiß bereits, dass seine Texte die Grenzen zwischen Literatur und Philosophie zu Gunsten einer Neubestimmung beider Bereiche durchlässig machen. Da erscheint es beinahe selbstverständlich, dass Barthes Vorbereitung selbst eine literarische Form gewinnt, wenngleich sein obligatorisches "als-ob" den Einbruch epischer Beliebigkeit immer in letzter Instanz verhindert: "Wir könnten, wenn Sie wollten, die beginnende VORLESUNG als einen Film oder als ein Buch betrachten, kurz: als eine Geschichte, deren Erzählung uns, denke ich, zehn zweistündige Sitzungen lang beschäftigen wird [...]."

Der nicht ganz unberechtigte Vorwurf, Barthes drifte schon in einen haltlosen Relativismus ab, indem er narrative Sprachspiele in die Nähe wissenschaftlichen Argumentierens stelle, muss mit Bedacht formuliert werden. Man darf nicht übersehen, dass Barthes hier, anstatt einen Geltungsdiskurs zu führen, eine sprachliche Praxis analysiert, indem er sie vorführt. Allein die vielen Sitzungen, die er ganz handfesten Vorbereitungen im Alltag eines Schriftstellers widmet, beobachten offensichtlich einen Akt, in dem der Autor zu sich selbst kommt. Notwendige Nebensächlichkeiten wie die Befriedigung körperlicher und sozialer Bedürfnisse treten erst zurück, wenn das Schreiben die Regie übernimmt und in einer "Zeit ohne Reibung" allein die schriftstellerische Tätigkeit existentielle Relevanz erhält.

Der Leser dieses gattungsübergreifenden Textgebildes aus Interpretationen, biografischen Skizzen, theoretischen Fragmenten, literarischen Miniaturen, Auslassungen und Zitaten wiederholt in dem intuitiven Bemühen, hier eine normierte Textform wiederzuerkennen, den selbstreflexiven Vollzug, der in Barthes Konzeption eine Schlüsselrolle spielt. Der ebenfalls beharrlich bleibende Satz Jean-Paul Sartres, dass Schreiben gelenktes Schaffen sei, wird im Nachvollzug dieses stets unvollendeten Schreibens erfahrbar. Die Reflexion über Texte verschmilzt in "Die Vorbereitung des Romans" mit ihrem polyphonen Objekt, und beim Lesen des letzten Satzes der Vorlesung meint man als sein Negativ das bisweilen dröge Diktat zahlreicher Poetologien zu hören, die zielgerichtet dem Takt ordentlicher Beweisführung folgen, anstatt der Literatur einen klangvollen Resonanzraum bereitzustellen.

Sein Wunsch, so Barthes am Ende des Buches, sei es gewesen, ein Werk in C-Dur zu schreiben. Wer genau hinhört, vernimmt den Hall dieses nie geschriebenen Werkes in seiner Vorbereitung.


Titelbild

Roland Barthes: Die Vorbereitung des Romans. Vorlesung am Collège de France 1978-1979 und 1979-1980.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
569 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783518125298

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