Fast so mysteriös wie Clint Eastwood

David Gilmour erzählt in seinem Roman "Unser allerbestes Jahr" von einem Vater, der seinem Sohn erlaubt, die Schule zu schmeißen

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es nützt alles nichts, Jesse schafft es nicht. Die Schule geht ihm auf die Nerven. Und sie macht ihn zum Lügner: Wenn sein Vater David fragt, ob er keine Hausaufgaben auf hat, antwortet er mit einem fröhlichen: "Nein, überhaupt keine!" Stimmt aber nicht. Und dann, als Jesse erfolglos über einer Lateinübersetzung brütet, fragt David seinen 16-Jährigen plötzlich, ob er überhaupt Lust auf die Schule hat. Und wenn nicht, erlaubt er ihm, die Schule zu schmeißen. Aber es gibt Bedingungen: Er will, dass sein Sohn keine Drogen nimmt. Und dass er sich jede Woche mit ihm drei Filme ansieht: "Das ist die einzige Form von Ausbildung, die du bekommst."

Das mag sich für manche wie eine interessantere Art von Folter anhören. Aber Jesse nimmt mit Freuden an, denn er hasst die Schule, wie sein Vater sie gehasst hat. Am nächsten Nachmittag gibt es dann die erste Dröhnung: "Sie küssten und sie schlugen ihn" von François Truffaut, "ein guter Einstieg in den europäischen Autorenfilm. Ich wusste, solche Filme würden ihn langweilen, bis er kapierte, wie man sie sehen musste." Und wie findet er ihn? "Ein bisschen langweilig." Auch wenn er dann endlich versteht, dass die Hauptfigur in einer ähnlich unsicheren Situation ist, wie er. Am nächsten Tag gibt es "Basic Instinct", den findet er "geil". So oder ähnlich laufen viele Gespräche zwischen den beiden ab. Holly Golightly bezeichnet er als Nutte, bei "Scarface" fragt er, wo Florida ist, bei "Für eine Handvoll Dollar" wünscht er sich, selbst so mysteriös zu sein.

Und so hetzt ihn sein Vater, der Filmkritiker ist, durch die Filmgeschichte, von "Psycho" über "Rosemarys Baby" bis "Shining" und "Der letzte Tango in Paris". Veranstaltet Reihen wie "Reglosigkeit" über Schauspieler, die alle anderen durch Nichtbewegen an die Wand spielen, "Talent" über Frühwerke oder "Verborgene Schätze" über unterschätzte oder unbekannte Filme. Versucht ihm klarzumachen, dass Filme etwas mit unserem Leben zu tun haben. Dass sie nicht nur zur bloßen Unterhaltung taugen, sondern, manchmal versteckt, etwas von unseren Ängsten und Hoffnungen erzählen. Und dann verliebt sich Jesse in Rebecca Ng. Sie kommt aus Vietnam, ist eine richtige Schönheit und quält ihn.

Denn darum geht es in diesem leichtfüßigen Roman: Um die Qualen der Pubertät, die erste Liebe, die ersten Alkohol- und Kokainabstürze, um Versuche, in der Welt Fuß zu fassen. Um eine komplizierte Annäherung, um das Loslassen. Denn Jesse braucht seinen Vater und will sich doch gleichzeitig von ihm verabschieden.

Es ist ein fragiles Buch voller poetischer Stellen und lebendiger Filmerzählungen, Witz und Ernst, Selbstzweifel, Zuneigung und Hilflosigkeit. Denn auch der Vater ist nicht so erfolgreich wie er wünscht und lernt viel in dieser Zeit. Der Roman krankt allerdings ein wenig daran, dass er sprachlich ab und zu in den Kitsch abrutscht, vor allem aber, dass er zu viel erzählt. Zu viele Filme und zu wenig wirklich tiefgehende Gefühle. Denn so richtig reden die beiden nur sehr selten miteinander. Und so bleibt die Geschichte insgesamt leider doch viel zu oberflächlich.


Titelbild

David Gilmour: Unser allerbestes Jahr. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Adelheid Zöfel.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
253 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783100278197

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