Kulturtransfer

Christof Hamann, Ute Gerhard und Walter Grünzweig beleuchten in einem Sammelband das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland in literarischen Zeugnissen nach 1848

Von Susan MahmodyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susan Mahmody

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es vor dem Hintergrund der Revolution 1848/49 zu großen Migrationsbewegungen von Deutschland in die USA, die meist vor dem Hintergrund des Traumes, ein neues und besseres Leben zu beginnen, stattfanden. In einer Vielzahl an Monografien, Reportagen in Zeitungen und Journalen, Anzeigen, Handbüchern und Broschüren wurde Auswanderung als der Weg ins große Glück propagiert. Vervollständigt wurde der Diskurs durch Briefe und Reiseberichte von Auswanderern sowie öffentliche Debatten und literarische Texte rund um dieses Thema.

Diesem Phänomen - dem Konstrukt 'Amerika' in der deutschsprachigen Literatur ab 1848 - widmet sich der von Christof Hamann, Ute Gerhard und Walter Grünzweig herausgegebene Sammelband "Amerika und die deutschsprachige Literatur nach 1848". Im Mittelpunkt stehen dabei Migration, kultureller Austausch und frühe Globalisierung (so auch der Untertitel des Werkes) im deutsch-amerikanischen Kontext. Besonderes Augenmerk legen die aufgenommenen Beiträge auf Diskussionen über die Ziele der Auswanderung von Deutschland in die USA, Meinungen über die Auswirkungen der Migrationsbewegung auf Deutschland und die 'deutsche Seele', Auseinandersetzungen um die Aus- und Rückwanderungsbewegung sowie Werturteile über das fremde Land in literarischen Texten.

Die Beiträge legen unterschiedliche Schwerpunkte. So stehen im ersten Teil nicht-kanonisierte Autoren und Genres zentral und werden im zweiten Teil (bis heute) kanonisierte Autoren besprochen. Unter die erste Kategorie fallen Betrachtungen zur Figur des "reichen Onkels aus Amerika", der in finanziellen Notlagen gerne aushilft sowie des tapferen und tugendhaften Pfadfinders. Stereotypisierte Figuren wie diese werden als imaginierte Vorstellung des deutschen beziehungsweise amerikanischen Nationalcharakters vorgestellt. Zwei Beiträge beschäftigen sich mit den Schriftstellern Berthold Auerbach und Friedrich Spielhagen, die die USA als vielfachen Ausgangspunkt ihrer literarischen Werke nahmen, obwohl sie selbst keinerlei persönliche Erfahrungen in den Staaten gemacht hatten. Nimmt Spielhagen in seinen Werken Bezug zu und reagiert auf die heftigen politischen Debatten rund um die deutsche Auswanderung, die sich vor allem um die Frage nach den Folgen dieser für die deutsche Identität drehen, so interessieren Auerbach eher moralische Aspekte. Die USA sieht er als zentralen Raum moralischer Düsternis und finanzieller Korruption ebenso wie als Ort der individuellen Katharsis. Ausführlich besprochen werden auch die damals äußerst beliebten Familienzeitschriften, die das Bild Amerikas in Deutschland prägten. Deutsche Familien wiederum, die in die USA emigriert waren, sollten den Ratschlägen der Zeitschriften folgend ihren Traditionen aus der Heimat treu bleiben. Abgeschlossen wird die erste Sektion durch Walter Grünzweigs Plädoyer für zunehmenden Respekt den die USA betreffenden Diskursen in der deutschsprachigen Literatur gegenüber. Deutsche Romane des 19. Jahrhunderts enthielten teilweise bereits vergessenes Wissen über die USA, das in verschiedenen Bereichen der Wissenschaft, aber auch des täglichen Lebens nützlich sein könnte.

Der zweite Teil stellt kanonisierte Autoren und deren Bild von den USA in den Fokus des Interesses. Konkret handelt es sich hierbei um die Autoren Theodor Fontane, Gottfried Keller und Wilhelm Raabe. Die Autoren scheinen in ihren amerikabezogenen Romanen die USA als einen von Deutschen geprägten Raum aufzufassen, denn Amerikaner treten hier nicht auf. In weiteren Beiträgen gelangen die Autoren zu der Schlussfolgerung, dass es oftmals gerade nicht Ziel der genannten Literaten war, den amerikanischen mit dem deutschen geografischen und kulturellen Raum zu vergleichen und somit den einen über den anderen zu stellen, sondern vielmehr die Ambivalenz des Raumes 'USA' zu vergegenständlichen. Die USA bedeuten einerseits weites Land, Prärie, Freiheit, Naturverbundenheit und Männlichkeit, verkörpern andererseits aber auch wachsende Verstädterung, Hektik, Lärm, Dynamik, demokratische Ideale, wachsenden Kapitalismus und Konsumdrang. Die Opposition zwischen Stadt und Land, das Thema Raumerschließung sowie die Auswirkungen dieser Prozesse auf die Identität (vor allem der deutschen Immigranten) stehen im Vordergrund. Die Figuren sind dabei von Patriotismus als auch von Kosmopolitismus gleichermaßen geprägt - anders stellt sich dagegen das Nordamerika Karl Mays in dessen Winnetou-Romanen dar. Dieses trägt Züge eines Phantasmas und nur scheinbare Tendenzen einer Migration des Ich-Erzählers.

Die in "Amerika und die deutschsprachige Literatur nach 1848" aufgenommenen Beiträge sollen laut den Herausgebern einen Paradigmenwechsels in der Beschäftigung mit dem Amerika-Thema in der deutschsprachigen Literatur einläuten, denn "[s]tand früher die imagologische Analyse eines 'Amerikabildes' als von der 'realen' Zielkultur weitgehend unabhängiges Konstrukt im Vordergrund, also ein isoliertes 'deutsches Amerika', so zeigen die vorliegenden Untersuchungen vielfältige Beziehungen zwischen den transatlantischen Systemen".

Die vorgestellten Texte sollen also weniger auf ihren Wahrheitsgehalt und ihr Vermögen einer authentischen Repräsentation der Vereinigten Staaten hin gelesen werden, sondern die Romane werden eher "als Entwürfe der transatlantischen Kommunikation verstanden, als Teil und Ausdruck eines bereits seit längerem existierenden globalen Beziehungsgeflechts zwischen den Vereinigten Staaten und Europa".

Die literarischen Texte werden aus der Dynamik des Zeitalters der Globalisierung 'neu' gelesen, wodurch deren transkultureller Charakter aufgezeigt wird. Die Autoren arbeiten dabei interdisziplinär. Zwar stehen literarische Themen im Mittelpunkt des Sammelbandes, diese werden aber im größeren Kontext betrachtet, wodurch auch Bereiche wie die Soziologie und die Politik gestreift werden. Ein Unterschied zwischen 'hoher' und trivialer Literatur wird dabei nicht gemacht. Die gut ausgearbeiteten Case Studies illustrieren das Anliegen der Herausgeber und bieten vielfältige Anknüpfungspunkte für weitere Forschungsvorhaben.


Titelbild

Christof Hamann / Ute Gerhard / Walter Grünzweig (Hg.): Amerika und die deutschsprachige Literatur nach 1848. Migration - kultureller Austausch - frühe Globalisierung.
Transcript Verlag, Bielefeld 2009.
291 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783899429664

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