Reinigungsunternehmen der mentalen Art

Zoran Drvenkars Roman "Sorry" wartet mit einer mörderischen Gründergeschichte auf

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für Berliner ist das (fast) der Normalfall: Vier junge Leute stehen vor dem Nichts. Der eine, Kris, ein Journalist, wird entlassen, sein Bruder Wolf, ein verkrachter Schriftsteller, ist eh arbeitslos, wie nicht anders als Tamara und Frauke, die auch nichts vorzuweisen haben als Träume, aus denen nichts geworden ist. Vier Arbeits-, Hoffnungs- und Chancenlose, die sich mit einem Mal am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen, indem sie - es ist schon fast peinlich - eine außergewöhnliche Geschäftsidee haben, sich selbständig machen und dann auch noch ungemein erfolgreich damit sind.

Die Idee? Ganz einfach. Die Vier bieten sich als professionelle Entschuldiger an. Chefs, die Mitarbeiter zu Unrecht entlassen haben, Geschäftspartner, die sich gegenseitig das Leben zur Hölle gemacht haben - "Sorry", wie sich der Betrieb nennt, den die vier bisherigen Verlierer gegründet haben, entschuldigt sich für sie, sucht Lösungen und Kompensationen. Ein Reinigungsunternehmen der mentalen Art also, das offensichtlich auf einen großen Bedarf stößt. Denn nach kurzer Anlaufzeit sprechen sich die Dienste von "Sorry" herum, und die vier können sich vor Aufträgen nicht retten, verdienen sehr schnell sehr viel Geld, so viel anscheinend, dass sie sich eine Grunewaldvilla leisten können, die sie auch noch von Grund auf sanieren (deren Stundensatz hätte ich gern, und was sagt eigentlich das Finanzamt dazu?).

Die Entrepreneur-des-Jahres-Erfolgsgeschichte ist aber nur die Basis, auf der das nun Folgende geschieht: Eines Tages nimmt "Sorry" einen Auftrag an, der sich als purer Schrecken erweist. "Sorry" soll sich bei einer Frau entschuldigen, als aber Wolf als Repräsentant von "Sorry" an der angegebenen Adresse ankommt, findet er die Frau tot an eine Wand genagelt, der Auftraggeber zwingt die Vier aber, die Entschuldigung trotzdem auszusprechen und die Leiche verschwinden zu lassen. Wie, das bleibt der Lektüre überlassen.

Mit diesem Moment bricht das Erfolgsgespann auseinander. Der mörderische Erpresser setzt die Vier derart unter Druck, dass sie zum ersten Mal nicht mehr miteinander einig sind und zwischen Einschalten der Polizei und Eingehen auf den Erpresser hin und her schwanken. Der Druck, der auf Wolf, Kris, Tamara und Frauke lastet, lässt auch in der folgenden Zeit nicht nach. Frauke schert als Erste aus - und will die Polizei einschalten.

Wolf, Kris und Tamara aber gehen auf die Drohungen ein. Sie nehmen die Tote von der Wand, reinigen die Wohnung gründlich, verscharren sie auf ihrem Grundstück und schicken dem Erpresser Aufnahmen von der Entschuldigung zum Beweis.

Damit aber hat die Geschichte noch kein Ende gefunden: Eines Morgens taucht die Polizei auf, öffnet das Grab - findet aber keine Leiche. Sie ist verschwunden.

Zoran Drvenkar gelingt ein fast unmögliches Kunststück. Er baut nicht nur einen plausiblen, sondern auch noch einen extrem spannungsgeladenen Kriminalroman, der nicht nur psychologisch und erzähltechnisch erstaunliche Qualitäten aufweist, sondern auch noch neue Lösungen für alte Kriminalentwürfe vorzuweisen hat. Sein Stil ist nicht nur kontrolliert und punktgenau, auch der Handlungsbogen funktioniert phänomenal, auch wenn er ihn immer wieder durch Vorwegnahmen, Rückblicke, Perspektivwechsel und Erzählbrüche konterkariert.

Dabei konzentriert sich Drvenkar auf ein auffallend kleines Figurenensemble: die Vier von "Sorry", den Mörder und einen Freund, die beiden Opfer und eine weitere Figur, die - auch wenn sie als "deus ex machina" auftaucht - trotzdem plausibel ist. Mit diesem Personal entwirft Drvenkar nicht nur einen funktionsfähigen Plot, der Roman ist zudem derart souverän durchgeführt, das Konzept umgesetzt, dass vor dem Autor den Hut ziehen mag, dem danach ist. Grund genug gibt es jedenfalls.

Zwar mag die ungemein brutale Art, mit der die Ursprungstat und auch die Folgeverbrechen geschehen (Nagel durch Hand und Stirn der Opfer), störend und nicht zwingend notwendig sein. Ein simpler Mord hätte es auch getan, die Leiche zu versorgen ist ja eigentlich schon Aufwand genug. Aber selbstverständlich ist die Aufladung der ganzen Atmosphäre durch solche symbolträchtige Untaten deutlich größer als durch einen simplen Mord (Schuss in den Kopf, Messer ins Herz oder Gift ins Becherchen). Insofern sei das Vergnügen (?) dem Autor gegönnt, zumal "Sorry" auch und gerade so zu den besten Krimis der Saison und darüber hinaus zu zählen ist: Drehbuch, Hauptdarsteller, Kamera, Sound - alles vom Besten, was es in deutscher Sprache im Genre derzeit zu lesen gibt.

ISBN 3-550-08772-1


Titelbild

Zoran Drvenkar: Sorry. Thriller.
Ullstein Verlag, Berlin 2009.
400 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783550087721

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