Der Kampf jeder gegen jeden

Roger Smiths Krimi "Kap der Finsternis" ist eine fulminante Studie über eine Gesellschaft im Vorfeld der Zivilisation

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Südafrikageschichten unterliegen im Grundsatz ähnlichen Klischeegefahren wie New York- oder Washington-Szenarien: Dunkle Areale der Gewalt, Gangs, die die Straßen unter sich aufteilen und sich in einem Dauerkrieg miteinander befinden, Gangster, Exgangster, Huren und Dealer, die ums Überleben, den nächsten Kick und den Rang in jener Gegengesellschaft kämpfen, korrupte Polizisten, die sich zu Herren über Leben und Tod aufschwingen, die töten, wo und wie sie wollen, und für die Gerechtigkeit kein wirklicher Maßstab ist, sondern nur ihre eigene Macht und der archaische Anspruch auf Rache, den sie sich selber zuschreiben. Das Ganze wird im Südafrika-Genre mit der Apartheid-Problematik unterfüttert, deren Rassismus - in die eine wie die andere Richtung - die gesamte Handlung grundiert.

Wirklichkeit oder Realismus sind in diesen Romanen kein Gradmesser. Es geht um sie ebenso wenig wie in japanischen Yakuza-Romanen darum, ob es so etwas wie eine japanische Unterwelt im Yakuza-Stil wirklich gibt. Dabei mögen solche Texte sogar kritisch gedacht sein, auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam machen wollen oder politische Fehlentwicklungen anprangern, das Genre selbst hat derart starke Regeln, dass sich die Romanwelt um Wirklichkeit nicht zu kümmern braucht.

Solche Romane bilden Wirklichkeit nicht ab, auch wenn sie sie verarbeiten, sich auf sie beziehen und sie selbst wieder mit prägen. Kein New York-Besucher, der nicht von Mafia- oder Ghetto-Geschichten gehört hätte. Das bildet sich auch im Verhältnis zu Südafrika ab, wenn wir uns auch in einer anderen Phase befinden: Kein Südafrika-Besucher, der nicht von den Berichten über die Gewalt, die dort durch die sozialen Brüche provoziert wird, gehört hätte. Und künftig wird das Südafrika-Bild nicht zuletzt von den Krimis mitgeprägt werden, die nun auch in den deutschen Markt kommen und in denen das archaische Verhältnis zur Gewalt eine vorrangige Rolle spielt.

Roger Smith führt das in größer Selbstverständlichkeit und Ausführlichkeit vor: Jack Burn ist mit schwangerer Frau und Sohn aus den USA geflohen, wo er an einem Raubüberfall beteiligt war. Genügend Geld hat er mitgehen lassen, dass er für einige Zeit ausgesorgt hat. Nun sitzt er in Kapstadt, als eines Abends zwei Gang-Mitglieder in sein Haus eindringen, um Beute zu machen. Er tötet beide, um seine Familie zu schützen, beseitigt die Leichen, und alles könnte so bleiben, wie es war.

Aber nichts ist, wie es war: Die Beziehung zu seiner Frau ist unwiederbringlich gestört, ein korrupter, fetter, stinkender Polizist, Barnard, ist hinter einem der beiden Gangster her und sieht seine Chance, das große Geld zu machen, als er auf Burns wahre Identität stößt. Ein Ex-Gangster, der mittlerweile als Wachmann arbeitet, hat die beiden zudem im Haus Burns verschwinden sehen, ohne dass sie wieder aufgetaucht sind. Zu allem Überfluss ist Barnard selber wieder Objekt einer polizeiinternen Ermittlung, da seine Gewaltherrschaft im Viertel jedes akzeptable Maß übersteigt.

Mit dieser Konstellation beginnt nun eine Jagd jedes Einzelnen auf jeden Einzelnen, die mit unerhörter und gnadenloser Härte geführt wird. Gewalt ist hier nicht mehr die ultima ratio, sondern die normale Kommunikations- und Handlungsform. Sie wird nicht mehr als letzter Ausweg gesehen, sondern als Normalfall, bei dem nicht einmal darauf geachtet wird, ob sie funktional oder kontraproduktiv ist.

Die Beseitigung der Leichen, die etwa in deutschen Krimis immer zum Hauptproblem wird, ist hier überhaupt keiner Rede wert. Die beiden Gangster werden einfach ein wenig abseits abgelegt. Normale Opfer der Gang-Kriminalität, ein gewöhnliches Bild. Auch dass Barnard einen Jungen, der ihn zu den Leichen der beiden Gangster führt, erschießt und die Leichen allesamt verbrennt, ist solange nichts Außergewöhnliches, bis der interne Ermittler (nebenbei ein ehemaliges Opfer Barnards) die ersten Fragen stellt.

Die Selbstverständlichkeit, mit der in diesem Romane Leichen produziert werden, korrespondiert mit der Fahrt, die der Roman aufnimmt. Denn Teil des Klischees von den Gesellschaften abseits der gewaltreduzierten Zivilisation ist eben auch, dass Gewalt die Geschichten zu einem schnellen, brutalen Ende führt.

So ist es im Wesentlichen zu Beginn bereits klar, wer der Geschichte zum Opfer fällt, und wer nicht. Denn es gehört zu den nicht minder normalen Phänomenen dieser Geschichten, dass sie eigentlich vor allem moralische Erzählungen sind: von der Vergeblichkeit der Gewalt, von der Gerechtigkeit der Strafe, die dann auch die Richtigen trifft.


Titelbild

Roger Smith: Kap der Finsternis. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Jürgen Bürger und Peter Torberg.
Tropen Verlag, Stuttgart 2009.
360 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-13: 9783608502022

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