Er ist das Walroß

Philip Norman hat die Biografie von "John Lennon" aufgeschrieben

Von Ole PetrasRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ole Petras

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Biografien von Popstars verfolgen paradoxe Ziele. Einerseits soll eine möglichst große Nähe hergestellt, der Künstler gleichsam als menschliches Wesen sichtbar gemacht werden. Andererseits unterminieren derartige Lebensbeschreibungen zwangsläufig die Autonomie der Kunst und riskieren bei allzu großer Offenheit, die Aura des Stars zu beschädigen. Die immer fragliche Authentizität wird in der Biografie auch zum Problem des Autors, der aus öffentlichen und privaten Quellen ein möglichst stimmiges Bild der Person entwerfen muss. Der Leser wiederum ist mit einer Vielzahl von Aussagen konfrontiert, deren Richtigkeit er selbst nicht überprüfen kann, und vielleicht nicht überprüfen will, weil die Musik und ihre Rezeption einer solchen Rubrizierung widerstehen. Viel eher geht es um Deutungsangebote und die Möglichkeit der Kohärenzbildung. Eine gute Biografie stiftet folglich Zusammenhänge, ohne Lesarten zu beschneiden.

Philip Norman legt mit seinem schlicht "John Lennon" betitelten Werk eine sehr ausführliche Geschichte des ehemaligen Beatle vor. Ob es sich dabei, wie er schreibt, um eine "völlig neue Rekonstruktion" von Lennons Leben handelt, ist fraglich. Norman selbst behandelte das Thema bereits 1981 in seinem damals viel gelobten Buch "Shout! The Beatles in their generation". Und wohl keine andere Band verfügt über eine Bibliografie vergleichbaren Umfangs. Neben der üblichen Schilderung mehr oder weniger bekannter Drogendelikte und Persönlichkeitsstörungen machen also vor allem zwei Details das Buch zum Skandalon. So titelte "Bild.de" kurz nach Erscheinen des Bandes (subtil wie immer): "John Lennon soll Paul McCartney begehrt haben!" Yoko Ono zog ihre Unterstützung für das Buch zurück, weil Norman unter anderem behauptet, Lennon habe mit seiner Mutter Julia schlafen wollen.

Ein Blick auf die Textsorte enthüllt, dass gerade Biografien enthüllen müssen - um sich zu legitimieren und um gekauft zu werden. Im Fall John Lennons mutet ein derartiges Vorgehen jedoch befremdlich an. Lennon selbst war es, der sich der medialen Festschreibungen zu erwehren suchte: "I was the walrus / but now I'm John", heißt es in dem Lied "God" von 1970. Norman kommentiert diese Zeilen wie folgt: "Das Ende [des Liedes] ist dann ein verspätetes Lebewohl an die Beatlemaniacs dieser Welt, apologetisch, ein bisschen traurig, aber unwiderruflich." Fast unmerklich wandelt sich die Perspektive: Das Lied erscheint als Vehikel der Inszenierung und nicht andersherum. Sicherlich strotzen Lennons Songs vor Statements und Anspielungen, aber die mediale Figur Lennon ist ohne ihre Songs undenkbar. Dieser vordergründige Fehlschluss mag wiederum von Norman intendiert sein, der kein Werk beschreiben will, sondern ein Leben, das seine Autorität (scheinbar) nicht mehr beweisen muss. Der monumental angelegten Studie mangelt es aber eben darum an Tiefe und tieferen Einsichten, die über die (zum Beispiel vom "Musikexpress" brav zitierte) Herleitung von Anekdoten hinausgingen.

Denn dass die persona Lennon und vor allem sein Solowerk ausgedeutet wären, lässt sich beim besten Willen nicht behaupten. Die friedensbewegten Welthits und sein gewaltsamer Tod verbauen den Blick auf einen Künstler, über dessen Poetik weniger geschrieben wurde, als es den Anschein hat. Die 'Strawberry Fields' in Liverpool zu lokalisieren, ist eine Sache. Die in dem gleichnamigen Lied zum Ausdruck gebrachte Erinnerungskultur an die Herkunft des Komponisten rückzubinden eine andere. Norman beschränkt seine Exegese des Stückes auf die Aufforderung Lennons, "ihn in seine Kindheit zurückzubegleiten". Gerade diese naive Sicht auf ein Werk, über dessen Ausnahmestellung kein Zweifel gelassen wird, hinterlässt den Leser unbefriedigt. Auch Auskünfte wie diejenige über die bevorzugte Körperhaltung des lesenden John Winston füllen diese Kluft nicht: "Wenn sie [Tante Mimi] dann die Zimmertür öffnete, hockte er zusammengekauert auf dem Bett, hatte die Füße gegen die Wand gestemmt und las ein Buch. Sein Leben lang konnte er Gedrucktes nicht richtig genießen, ohne dabei diese an eine Haarnadel erinnernde Haltung einzunehmen." Bei der Lektüre solcher Petitessen ist plötzlich nicht mehr zu entscheiden, ob die Quelle oder der Sinn dieser Information mehr verwundert.

Dass Lennon auch in Deutschland zumeist auf die Imagine-Ästhetik reduziert wird, beweist der Umschlag des Buches. Der Verlag Droemer verwendet nicht die Fotografie Bob Gruens wie die Originalausgabe, sondern zeigt eine stilisierte Nickelbrille auf weißem Hintergrund. Deren Gläser sind grau schraffiert, was lässig rüberkommen soll, aber nachlässig wirkt. Vielleicht kondensiert in diesem Detail das ganze Problem der Lennon-Geschichtsschreibung: Auch Norman schafft es nicht, die immer wieder dokumentierte Fallhöhe des Künstlers als Nachweis für seine Exzeptionalität anzusehen. Im Gegenzug entsteht ein aufgrund seiner intendierten Stimmigkeit und Exaltiertheit notwendig oberflächliches Bild, das dem selbst evozierten Mythos mehr Glauben schenkt als dem Werk. John Lennon hat immer wieder - zuletzt in David Sheffs berühmten Playboy-Interview von 1980 - betont, dass auch die Beatles zuerst eine Rock'n'Roll-Band gewesen seien, eine großartige zwar, aber eben nur eine Band.

Will man sich der Person John Lennon nähern, sollte der handwerkliche Aspekt ihrer Kunst nicht in den Hintergrund rücken. Vor allem die mythische Überhöhung des Phänomens Lennon beschneidet Lesarten und erstickt das zweifelsfrei vorhandene revolutionäre Potential seiner Musik in Lob und Stardom. Erst das im Appendix enthaltene Interview mit Sean Lennon lässt erahnen, welches Charisma seinem Vater eignete - gerade dann, wenn John Lennon nicht als Beatle oder Popstar, sondern als Mensch wahrgenommen wurde. Auch diesen zu beschreiben wäre einer Biografie würdig.


Titelbild

Philip Norman: John Lennon. Die Biographie.
Übersetzt aus dem Englischen von Reinhard Kreissl.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2008.
1018 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783426273524

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