Von Göttern und Gütern

In „Tribut an Freud“ schildert Hilda Doolittle ihre Arbeit mit dem Gründungsvater der Psychoanalyse

Von Jens ZwernemannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Zwernemann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der anglophonen Literaturgeschichtsschreibung gilt sie als eine der Schlüsselfiguren der modernistischen wie der feministischen Literatur gleichermaßen: Hilda Doolittle, oder, wie sie ihr Ex-Verlobter Ezra Pound zu Beginn des von ihm initiierten ,Imagismus‘ kurzerhand titulierte, „H.D. Imagiste“. Doolittles lyrische Texte avancierten dank ihrer extremen sprachlichen Verdichtung und konsequenten Konzentration auf ein zentrales sprachliches Bild schon bald zum Inbegriff des ,idealen‘ imagistischen Gedichts und verhalfen der Lyrikerin – zumindest in literarisch progressiv gesinnten Kreisen – zu großer Popularität, die sich spätestens mit der Veröffentlichung ihrer „Collected Poems“ (1925) zu literarischem Ruhm wandelte.

Das Privatleben Doolittles hingegen gestaltete sich weitaus dramatischer: Ihre erste Schwangerschaft endete 1915 mit einer Fehlgeburt (als deren Auslöser die Lyrikerin selbst den Schock über den Untergang der Lusitania angab), und die Geburt ihrer Tochter Frances kostete die gerade an der Spanischen Grippe Leidende 1919 fast selbst das Leben. Während ihr Bruder Gilbert im Ersten Weltkrieg fiel, kehrte Doolittles Mann Richard Aldington, mit dem sie seit 1913 (zunehmend unglücklich) verheiratet war, traumatisiert aus dem Krieg zurück. Seit den 1930er-Jahren wurde sie darüber hinaus von starken Ängsten vor dem Aufstieg Hitlerdeutschlands und dem Ausbruch eines neuen Krieges geplagt.

Doolittle suchte schließlich Hilfe und fand sie: Bryher, ihre wohlhabende Lebensgefährtin, verwies die Autorin an ihren eigenen Psychologen – Hanns Sachs. Dieser, gerade im Begriff aus Deutschland zu emigrieren, mochte sie zwar nicht mehr selbst als Patientin annehmen, doch schickte er sie stattdessen zu keinem Geringeren als Sigmund Freud. Die Lyrikerin muss hoch erfreut gewesen sein. Eine Ehre war es für sie, von dem mittlerweile 76-Jährigen als Patientin angenommen zu werden; eine Ehre vielleicht auch für ihn, neben Lou-Andreas Salomé eine weitere bekannte Schriftstellerin zu seinen Adeptinnen zählen zu können. Doolittles Sitzungen mit dem Gründungsvater der Psychoanalyse begannen im März 1933. Sie war sofort fasziniert von Freud, den sie in der Widmung ihrer 1943 – also vier Jahre nach dessen Tod – verfassten Erinnerungen an diese Zeit als „Arzt ohne Fehl und Tadel“ idealisiert. Erstmals 1946 erschienen, bilden diese „Schrift an der Wand“ übertitelten Memoiren den ersten Teil der unlängst erschienen Ausgabe von Doolittles „Tribut an Freud“. Damit legt der Verlag Urs Engeler Editor nach „Madrigal“ (2008) und „Hermetic definition / Heimliche Deutung“(2006) seinen bislang dritten Band mit Werken Doolittles vor.

Scheinbar rückhaltlos war die anfängliche Begeisterung der Lyrikerin für jenen Mann, den sie (privat-)etymologisch als „Sigmund, die singende Stimme; nein, es heißt natürlich Siegmund, der sieghafte Mund oder Ausspruch oder die sieghafte Stimme“ heroisiert. Ihre Sitzungen bei ihm, da konnte es für sie keinen Zweifel geben, waren die Krönung ihres Lebens: „bei dem Professor hatte ich wirklich das Gefühl, als sei ich auf dem Höhepunkt des Erreichbaren angelangt; ich will damit sagen, ich empfand die Tatsache, dass ich ihm mit 47 Jahren begegnete und von ihm als Analysandin oder Studentin angenommen wurde, als die Krönung all meiner sonstigen persönlichen Kontakte und Beziehungen […].“

Als Studentin, ja fast schon als Vertraute Freuds stilisiert sich Doolittle in ihren Memoiren und füllte mit dieser Rolle eine vermeintliche Lücke aus, die durch den plötzlichen Unfalltod von Freuds Lieblingsschüler J.J. van der Leeuw entstanden war: „Der Professor sagte: ,Sie sind gekommen, um seinen Platz einzunehmen.‘“

In ihren Sitzungen berichtet sie Freud von ihren Träumen, die der Meister psychologisch ausdeutet. Dabei wird beider Affinität für Figuren der klassischen Mythologie bald deutlich; dienen diese Freud als Präfigurationen diverser psychischer Dispositionen, so wird Doolittle nicht müde, den hochverehrten Professor als Postfiguration mythologischer Helden zu beschreiben: Freud als Prometheus, der den Menschen das Feuer der Erkenntnis bringt, als Herkules oder auch – historisch gewendet – als Hannibal, der sich bereits als junger Arzt in der Pariser Salpêtrière des Dr. Charcot durch besonders ausgeprägte Ambitionen, aber auch durch besonderes Talent hervortat: „Bei den Irren, denen der junge Freud seine private Beachtung schenkte, gab es Umstände, die von den verschiedenen Ärzten und Beobachtern bagatellisiert wurden, die jedoch genug Stoff enthielten, der ernsthafter Betrachtung würdig war“.

Doolittle schreibt eine hochgradig intuitive Biografie Freuds, die sich, wie die Autorin selbst eingesteht, weitaus weniger an nachlesbaren Fakten orientiert, als vielmehr an ihrer persönlichen Einschätzung: „Die tatsächlichen Fakten sind jedem zugänglich, der sich ernstlich mit Prof. Freuds Werk beschäftigt. Doch scheint mir, dass es irgendein derartiger innerer Denkprozess gewesen sein könnte, der ihm das Thema eröffnete.“ Mag sich ihre Schrift hierbei auch über weite Strecken als euphorische Hagiografie lesen, so mischen sich dennoch bald kritische Misstöne in ihren Lobgesang: Finanziert wurden Doolittles Sitzungen durch die wohl mehr als generöse Spende Bryhers an die Psychoanalytische Vereinigung. Trivial mögen diese finanziellen Erwägungen der reichen amerikanischen Erbin erschienen sein, trivial wohl auch Doolittle selbst – und dennoch stellt Doolittle immer prominenter gerade auch Freuds monetäres Interesse an seinen Patienten heraus. So habe er ihr gegenüber seine ,Entdeckung‘ des Unterbewussten mit den Worten beschrieben: „I struck oil“ – eine Metapher, die ihr, aller Bewunderung zum Trotz, höchst unangemessen erscheint. „Der Professor verwendete für diese Quelle der Inspiration die Metapher des Öls. Sie konzentrierte die abstrakte Vorstellung, machte sie konkret, verwandelte sie in ein Symbol aus der modernen Geschäftswelt. […] Er verwendete die Sprache oder den Jargon des Bankhauses, der Wallstreet, das konkrete, bestimmte Bild eines Geschäftsmannes für eine Glückssträhne oder die Hoffnung auf Erfolg. ,Ich stieß auf Öl, aber es ist noch genug davon übrig, es reicht noch für 50, für 100 Jahre oder mehr‘“.

Bereits zu Beginn ihrer Erinnerungen wird die Janusköpfigkeit der Einstellung Doolittles zu Freuds Geschäftsinteressen deutlich: Nachdem er 1938 nach London emigrierte, empfängt den Psychologen eine kurze Botschaft der Dichterin, bei deren Entzifferung es zu einer wahrhaft ,Freudschen‘ Fehlleistung kommt: „Ich bekam heute einige Blumen. […] Einige Worte: ,der Rückkehr der Götter zum Gruß‘ (andere lesen: Güter).“

Dabei vermag es auch die glühende Bewunderin des „Professors“ angesichts dieser Ambiguität von ,Göttern‘ und ,Gütern‘ nicht, sich von anti-jüdischen Stereotypen freizumachen: So bewundert sie nicht nur Freuds „scharfen jüdischen Instinkt“; apropos eines Gesprächs über eine Bronzestatuette der Pallas Athene konstatiert sie: „,Sie ist vollkommen‘, sagte er, und er meinte, dass das Bildwerk aus der anerkannt klassischen Zeit stammte, der Zeit des Perikles oder kurz davor; […] Er sprach als feuriger Liebhaber der Kunst und als ein Kunstsammler. Freilich, er sprach doppeldeutig, aber er sprach vom Wert. Von dem tatsächlichen spezifischen Wert des Stücks; er taxierte wie ein Jude; das Blut Abrahams, Isaaks und Jakobs floss in seinen Adern. Er kannte sein ganz konkretes Pfund, sein Pfund von der Rippe, wenn man will, aber dieses Pfund Fleisch war zwischen uns ein Pfund Geist, etwas Greifbares, das gemessen und gewogen werden konnte, in der Waage gewogen und – Gott gebe es – nicht für zu leicht befunden.“ Ihre absolute Loyalität Freud gegenüber stellt sie dabei jedoch zu keiner Zeit infrage. Im Gegenteil wünscht sie sich, die ihr noch verbleibende Lebenszeit Freud gleichsam ,überschreiben‘ zu können: „Es wäre keine so großartige Zahl, wie ich sie für ihn hätte wünschen mögen, aber es wäre immerhin etwas.“

Doolittles „Tribut an Freud“ bietet eine Vielzahl von Lesarten: als (mehr oder weniger überformter) Bericht einer Analysandin Freuds, als Teil der Autobiografie Doolittles und als Teil einer Biografie Freuds. Selbst als zeitgeschichtliches Dokument lassen sich die Reminiszenzen Doolittles lesen, die in Wien den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg des Nationalsozialismus mit einer Mischung aus Angst und verwundertem Staunen beobachtet: „Schon wurden die Schatten länger oder stieg die Flut. Die Vorzeichen bevorstehender schlimmer Ereignisse erschienen jedoch in einem komischen Gewand. Zum Beispiel ergoss sich gelegentlich ein koketter konfettiartiger Regen vom Himmel, vergoldete Papierhakenkreuze und schmale bedruckte Papierstreifen, wie wir sie an Weihnachten aus unseren Knallbonbons zogen […]. Die Sprüche waren kurz und klar und treffend. Man las in sauberem Anfänger-Deutsch: ‚Hitler gibt Brot‘, ‚Hitler gibt Arbeit‘ und so weiter.“

Neben „Schrift an der Wand“ enthält der Band mit „Advent“ auch das Tagebuch Doolittles, das sie während der Arbeit mit Freud führte und in dem sie sich über die Methoden und die Schlussfolgerungen des Meisters deutlich kritischer äußert, sowie 21 Briefe beziehungsweise Postkarten Freuds, die sich in Doolittles Nachlass fanden. Diese werden in der jeweiligen Originalsprache (Deutsch beziehungsweise Englisch) dargeboten; auf jene Briefe, die Freud auf Englisch verfasste, folgt deren deutsche Übersetzung. Warum man es allerdings für nötig hielt, die Orthografie der Briefe zu „moderniser[en]“, wird ein editorisches Enigma bleiben.

Abgerundet wird der Band durch Anmerkungen des Übersetzers Michael Schröter zu zentralen Personen und intertextuellen Verweisen in Doolittles Text, sowie durch ein „Vorwort“ Klaus Theweleits. Letzteres wurde in überarbeiteter Version auch im dritten Band von Theweleits „Buch der Könige“ veröffentlicht und erscheint, bei aller sprachlichen Gewandtheit und allem rhetorischen Geschick, als Vorwort zunächst doch gewöhnungsbedürftig, könnte man doch meinen, es wolle gerade dem klaren, unprätentiösen Text Doolittles den sprachlichen Rang ablaufen: „Ein Büchlein, das ,als ein zauberhaftes Ornament der biographischen Freud-Literatur unübertroffen bleiben wird‘ […], zitiert Ullstein die Stimmen von Ernest Jones und Max Schur auf dem Bach Cover (klingt nicht sehr einladend) … es ging auch nicht besonders gut auf dem Psychomarkt … trotz Boom usw. … den Band, den ich hier liegen habe, hat Freund Christian Schaeffer aus einem Grabbelkasten gezogen, 3 Mark 15 … ,Huldigung an Freud‘ für ,Tribute to Freud‘, ist ja auch bei einer Autorin, die ,Hilda‘ heißt, nicht das Gelbe der Einladung … Hildigung … in einem Land, wo H.D. so unbekannt ist wie… (… wie die Psychoanalyse?)“ Darüber, ob „Tribut“ nun tatsächlich die kongenialere Übersetzung von „Tribute“ ist als es „Huldigung“ war, lässt sich sicherlich streiten (umso mehr, als beide Versionen aus der Feder desselben Übersetzers stammen).

Mehr Leser als der 1975 bei Ullstein erschienen Ausgabe von Doolittles Erinnerungen wünscht man dem aktuellen Band aber auf jeden Fall – allein schon, um den von Theweleit konstatierten, sicherlich noch immer relativ niedrigen Bekanntheitsgrad seiner Autorin auch im deutschsprachigen Raum zu erhöhen. Apropos „das Gelbe der Einladung“: Theweleits Feststellung, dass man „tatsächlich ein Buch über die Psychoanalyse geschrieben haben [muss] (und zwar kein schlechtes), um diesen Tribute würdigen zu können“ sollten potentielle Leserinnen und Leser nicht allzu wörtlich nehmen: Auch psychoanalytische Laien werden in Doolittles Buch sicherlich viele Aspekte entdecken, die es wert sind, gewürdigt zu werden.

Titelbild

Hilda Doolittle (Hg.): Tribut an Freud.
Mit einer Einführung von Klaus Theweleit.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Michael Schröter.
Urs Engeler Editor, Basel 2008.
360 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783938767481

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch