Der erhabenste aller Revolutionäre

Alice Pechriggl führt in die Geschichte des Begriffs „Eros“ ein

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Über Eros, den bekannten Sohn der Aphrodite, wurde schon so manches gesagt. „Erhabenster aller Revolutionäre“ wurde er bislang allerdings wohl noch nicht genannt. Alice Pechriggl hat diesen Ehrentitel nun dem mächtigen Gott verliehen, über dessen Herkunft die griechischen Denker durchaus uneins waren. Nicht nur, ob Ares, Hermes, Zeus oder ein anderer sein Vater ist, auch ob Aphrodite sich zu Recht seine Mutter nennen darf, ist weit strittiger als gemeinhin angenommen wird. Weitere mögliche Eltern werden genannt. Uranus und Gäa, Hermes und Diana etwa. In Hesiods Theogonie tritt er hingegen bereits nach dem Chaos, der (wie Karl Albert übersetzt) „breitbrüstige[n]“ Gäa und dem „dämmrige[n]“ Tartaros auf den Plan des Geschehens, ohne von irgendeinem Weib oder einem anderen Wesen geboren worden zu sein. Und Aristophanes ließ ihn aus einem Ei kriechen, das der Wind befruchtet hatte.

Das sind zwar noch lange nicht alle Ursprungsmythen über den ebenso schönen wie mächtigen Bewohner des Olymps, doch Pechriggl interessiert all dies weniger. Denn ihre dem Eros gewidmete Einführung folgt nicht der Mythologie, sondern der Philosophie und somit Inhalt und Geschichte des Begriffs oder vielleicht noch etwas genauer gesagt: des Konzepts, auch wenn die Autorin selbst diesen Ausdruck meidet.

Pechriggl beginnt ihre Einführung mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass es ihr „um Eros, nicht um Liebe“ zu tun ist. Was ihn von deren anderen Formen wie etwa der agapê oder der philia unterscheidet, ist „die Verbindung zu den aphrodisia, zum sexuellen, also körperlich-genitalen Begehren und Genießen – und zwar über die bloße Fortpflanzungssexualität hinaus“.

„[I]m tieferen Sinn“ habe dies an Platon anknüpfend erst Sigmund Freud erschlossen, lautet die Hypothese ihres Buches. So wundert es nicht, dass der antike Philosoph und der moderne Psychoanalytiker die beiden Schwerpunkte des chronologisch-systematisch strukturierten Bandes bilden. Ersterer mehr dem Umfang, letzterer mehr dem Inhalt nach.

Bevor die Autorin den Weg durch die Begriffsgeschichte antritt, moniert sie, wie man sagen darf, sehr zu recht, „dass gerade jene sich als universale Experten in Liebes- und Heiratssachen aufschwangen, die – ob ‚aus Prinzip‘ oder zur Vermeidung ihrer persönlichen Liebesunglücksschleife – am wenigsten damit zu tun haben wollten: die keuschen (was immer das im Konkreten heißen mag), zeitlebens zölibatären, zuweilen sich für ihre fleischlichen Wünsche dornig geißelnden Propheten, mystischen Prophetinnen, Päpste und andere Patres der Kirche“.

Im Hauptteil des Buches stellt die Autorin zunächst ausführlich die beiden für das Erosverständnis der folgenden Jahrtausende maßgeblichen platonischen Dialoge vor: das „Symposion“ und „Phaidros“. Sodann zeichnet sie die „brüchige[n] Übergänge von antiken zur christlichen Sexualvorstellungen“ nach und zeigt, wie der christlichen, „sexuellen Zwangsmoral“ und ihrem „widersprüchlichen Befehl eines immer schon Schuld behafteten Zwangs zur Fortpflanzungssexualität, die genau kontrolliert werden will“, mit „Zensur und brachialer Gewalt“ Geltung verschafft wurde, bis der Eros sich in der Renaissance und im Humanismus einer (Neu-)Platonischen „Wiedergeburt“ erfreuen durfte. Ihr folgte die Aufklärung mit dem „Anti-Idyll“ der Libertinage, deren „Sexualisierung der Gewalt“ sich mit einer „Inszenierung gewalttätiger Sexualität“ verband, „die keineswegs nur bei Sade vornehmlich auf Kosten der Frauen“ ging. Zugleich entstand Jean-Jacques Rousseaus „kleinbürgerliche[s] Geschlechtersetting“, das in die „Eros-Melancholie der Romantik als erbaulich-aufklärerische[r] Erziehungsanstalt“ mündete.

Das alles ist insgesamt sehr konzis, informativ und nachvollziehbar dargebracht. Etwas zu knapp geraten sind allerdings die gerade mal zwei Absätze über Immanuel Kant, dem Pechriggl immerhin konzediert, den Eros „weder idyllisiert noch ins rein Negative gewendet“ zu haben.

Näher befasst sie sich mit Arthur Schopenhauers „biologistischer Erotologie“, Friedrich Nietzsche und natürlich mit Freud. Nietzsche und seine „mehr oder weniger fragmentarisch verstreute Eros-Theorien“ hätten allerdings eine etwas kritischere Inaugenscheinnahme verdient. Schon der Begriff Theorie tut den in der Philosophiegeschichte irrlichternden Aphorismen des hämmernden Handwerkers zu viel der Ehre an.

Angemessener scheinen da schon Pechriggls Deutungen von Schopenhauers Geringschätzung des Spezies erhaltenden Triebs. Trotz der „Krudheit“ des Seins- und Daseins-Verneiners sei seine „zuweilen verschrobene“ und überhaupt recht „wundersame ‚Metaphysik der Geschlechtsliebe‘“ insofern „aufklärerisch“, als er „die institutionalisierte Moral weitgehend aus dem Spiel zu lassen versucht“. Das hindere ihn aber nicht daran, „ebenso frauenfeindlich wie homophob“ zu argumentieren. Interessant sei die Sexualmetaphysik des stets verneinenden Geistes aus Frankfurt dennoch, da Freud die von ihm offengelegte „‚unbewusste‘ Macht des Geschlechtstriebs“ aufgegriffen habe.

Für einen kurzen Wimpernschlag erscheint nicht nur Freud als Vater der Psychoanalyse sondern mit Lou Andreas-Salomé sogar einmal eine ihrer etwas bekannteren Mütter im Augenwinkel der Autorin. Doch wird sie mit dem Klischee „Schülerin Freuds“ nur unzureichend gewürdigt. Auch tut es ihrer Sexualtheorie unrecht, wenn Pechriggl diese mit einer beiläufigen Handbewegung als „relativ simpel“ vom Lesepult wischt, mag sie auch ausgesprochen biologistisch sein. Immerhin aber fasst die Autorin Salomés Sexualtheorie in den wenigen ihr vergönnten Zeilen korrekt zusammen.

Einer der letzten Abschnitte gilt der „feministischen Eros-Kritik“, ein etwas irritierender Titel, könnte er doch so verstanden werden, als hätten Feministinnen keine eigene positive Eros- beziehungsweise Sexualtheorie entwickelt. Doch wird das in den drei Seiten des Kapitels, das unter anderem Simone de Beauvoir, „ihre Gegenspielerin“ Luce Irigaray sowie Monique Wittig und Judith Butler nennt, schnell korrigiert.

Das Fazit dieser Besprechung nimmt sich an der knappen Art des besprochenen Buches ein Beispiel und besteht aus nur drei Worten: Im Ganzen empfehlenswert.

Titelbild

Alice Pechriggl: Eros.
UTB für Wissenschaft, Stuttgart 2009.
127 Seiten, 10,20 EUR.
ISBN-13: 9783825230500

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