Blutball

Rex Millers Roman „Fettsack“ handelt von einem monströsen Serienkiller

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er ist riesig groß, er ist fett, er ist stark, er lebt im Abseits der Gesellschaft, er liebt es zu töten und er ist nicht zu fassen. Seit Jahren sucht ein Serienkiller Chicago heim. Er tötet sie langsam, weidet sich an ihren Qualen, nimmt seine Opfer aus und verspeist ihr Herz. Er hinterlässt keine Spuren und niemand hat ihn je gesehen. Chaingang Bunkowski hat Geschichte. Die amerikanische Regierung hat ihn vor Jahren aus dem Gefängnis geholt, um ihn als Ein-Mann-Killerkommando in Vietnam einsetzen zu können. Chaingang war ungemein erfolgreich, und zwar deshalb weil ihm das Töten Freude bereitete. Es ist seine wichtigste Begabung und sein größtes Vergnügen – natürlich, wir werden es erfahren, weil er selbst als Kind gequält und geschunden wurde. Damit wäre nicht zu spaßen, wenn es denn nicht fast zwanghaft immer wieder als Ursache allen Bösen ins Spiel gebracht wird: Aus Geschundenen werden Schinder, die am Ende mit niemandem mehr Mitleid haben, außer – aha, der schwache Punkt – mit jungen, verletzlichen und entsetzlichen einsamen Hündchen. Wenn ihm das nicht mal das Genick bricht.

Zurückgekehrt in die USA, macht Chaingang genau da weiter, wo er in Vietnam aufgehört hat. Er vergnügt sich mit dem Töten, und wenn sich gerade keine Gelegenheit bietet, dann stellt er sich wenigstens vor, wie er jemanden leiden lässt. Chaingang tötet, wenn er Geld braucht, Chaingang tötet, wenn er sich zu essen besorgt, Chaingang tötet, wenn ihm nach einer Frau ist, Chaingang tötet, wenn ihm nach einem Abendvergnügen ist, wie andere ins Kino gehn, Chaingang tötet, wenn ihm nach Töten ist. Chaingang watet in einem Meer von Blut, und die Leser waten mit ihm. Ein Monstrum, das so schnell wie möglich zur Strecke gebracht werden muss.

Die Tötungsarien, die Miller ausbreitet, haben wenig Ziel und Sinn, sie sind nicht einmal als symbolische Aktivitäten verstehbar, kaum als kathartische Szenarien, in denen das Gute und Reine über das Böse und Blutige gestellt wird. Chaingang leidet nicht an der Welt, er lässt sie leiden und vergnügt sich daran. Mehr ist es nicht, und am Ende läuft seine Mordserie ins Leere. Man kann das verwegen, extravagant, stilistisch ungewöhnlich finden (wie es der Klappentext vorspiegelt), man kann es auch geschmacklos und übertrieben finden, man kann auch in diesem Ansatz einen einigermaßen kontrollierten Verstoß gegen die Grenzen des guten Geschmacks und Tolerierbaren sehen. Das bleibt jedem selbst vorbehalten. Aber selbst wenn an der Lesbarkeit des Textes nicht zu zweifeln ist, der große Wurf, als den ihn sein Verlag darstellen will, ist Millers Krimi eben nicht. Denn dazu ist er eigentlich doch zu handlungsarm. Dazu ist auch seine Auflösung zu klischeehaft und zu unwahrscheinlich. Und dazu werden der Gegenspieler Chaingangs, der Serienkiller-Spezialist Jack Eichord, und seine neue, große Liebe – die bigotte Witwe eines der Opfer Chaingangs – doch zu perfekt zusammen gebracht.

Guter Sex und die große Liebe, während ein Monstrum seine blutige Bahn zieht? Ein arg auf die Spitze getriebenes Arrangement, das man Rex Miller einfach nicht abnehmen will. Ein durchtriebener und ein wenig durchgedrehter Ermittler, der sich an die Fersen des perversen Killers heftet und ihm so lange folgt, bis er ihn schließlich erlegt hat? Das war nicht einmal 1987 (vor mehr als zwanzig Jahren) – als der Roman zum ersten Mal erschien – besonders neu, und auch nicht gelungen. Nichts gegen verrückte Ermittler. Aber in diesem Fall ist er auch nur eine absehbare Zutat in einem Gericht, das bloß auf den Erfolg aus ist. Denn die Übertreibungen und auf den Skandal setzenden Bluträusche wirken schließlich zu kalkuliert, um gelungen zu sein. Man sieht Millers Debüt an, wie es gebaut ist, welche Elemente es enthält, zu welchem Zweck sie gewählt und zusammengeführt wurden und wohin das alles führt. Es gibt ein bisschen Horror-Show und ein bisschen was fürs Herz und auch noch etwas für denjenigen, der am Ende den Bösen hängen oder mindestens untergehen sehen will. Dass Millers Roman nicht nur im Krimi, sondern auch im Horror-Genre reüssiert sein soll, bestätigt das.

Es ist eines der gängigsten Einwände gegen den Krimi, dass er als Genre der Kulturindustrie auf Standardisierungen setzen muss, um erfolgreich sein zu können. In der Variation alles ähnlich zu machen, führt das, folgt man alten ideologiekritischen Ansichten, am Ende dazu, dass sich alle mit dem Bestehenden zufrieden geben. In der Übertreibung aber, im Regelverstoß steckt – um den Gedanken weiter zu treiben – der Wunsch danach, die Ordnung wieder herzustellen. Und dafür braucht es nicht nur die Opfer, die der Killer findet, sondern auch den Killer selbst. Erst wenn er tot ist, hat die liebe Seele Ruh und kann schlafen gehen. Der nächste Krimi kommt aber bestimmt. Das funktioniert auch mit Millers „Fettsack“ ganz gut, nur hat er eben von allem ein bisschen zu viel, so dass es am Ende nicht nur ein Segen ist, dass Chaingang weg ist, sondern auch, dass man Buch fertig gelesen hat.

Titelbild

Rex Miller: Fettsack.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Joachim Körber.
Edition Phantasia, Bellheim 2008.
256 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-13: 9783937897301

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