Surf-Ermittler

Don Winslows Krimi „Pacific Private“ klärt über die Geschichte des Surfens in Kalifornien auf

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schön waren die guten alten Zeiten, in denen ein Privatermittler zwar durchaus mal Polizist gewesen sein durfte, aber wenigstens schlecht gelaunt und nicht besser erzogen war, gut als Ermittler (was sonst) und im Ganzen eine ziemlich verkrachte Existenz nah am Existenzminimum. Daran war meist ein übler Kollege (eigentlich ja Ex-Kollege), das Schicksal oder seine Frau (eigentlich ja mittlerweile Ex-Frau) schuld, was insgesamt zu einer eher, sagen wir, skeptischen Haltung zum Sozialleben führte, das sich allerdings ohnehin schon auf dem beinahe untersten Niveau bewegte. Dass er sich eine Sekretärin und ein Büro leisten konnte, war immerhin schon was, und muss mit den indiskutablen Löhnen jener Jahre zu tun haben. Seine Zeit vertrieb sich ein solcher Ermittler mit Trinken und trübe in die Landschaft zu stieren, wenn man das, was von der Trinkerseite des Tresens aus zu sehen ist, Landschaft genannt werden kann. Womit hätte er auch seinen Zeitvertreib bestreiten sollen, denn außer ermitteln konnte ein solcher Kerl nichts Besonderes. Vor allem konnte er eines nicht, surfen.

Aber die Zeiten ändern sich und Ermittler sind eben nicht mehr nur verkrachte Existenzen, die mit sich jenseits des Ermittelns nichts anzufangen wissen, sondern sie können plötzlich auch das eine oder andere.

Eigentlich ist Boone Daniels vor allen Dingen eine Surfer, zwar ein Ex-Cop, aber das auch nur zufällig und weil man von irgendwas leben muss. Das „Ex“ erklärt sich daraus, dass er sich ein einziges Mal geweigert hat, einen Verdächtigen zu foltern, statt ihn zu verhören. Das führte dazu, dass ihn seine Kollegen schnitten (was auf ihre grundsätzlich positive Haltung zu den Grundrechten auch in den USA schließen lässt). Das Kind, das vermisst wurde, tauchte aber nie wieder auf, weshalb sich Boone am Ende doch Vorwürfe machte und seine Ermittlungen auch nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst weiterführte. Bis heute vergeblich, und auch am Ende dieses Romans wird er die kleine Rain nicht gefunden haben. Aber ein solches Trauma ist – wie so einiges andere auch – mittlerweile schon beinahe Standardausstattung der ehemaligen Cops und derzeitigen Privatermittler.

Damit haben wir aber noch nicht genug erfahren über die Vergangenheit Boones. Wir müssen uns im Laufe des Surf-Krimis noch mit seiner Biografie beschäftigen, seit der Kindheit. Wir lernen die Geschichte kennen, die ihn mit Sunny verbindet, jener schlanken, gut aussehenden, blonden und langhaarigen Surferin, die sogar noch besser ist als er. Auch wie sie aufgewachsen und zum Surfen gekommen ist, wird uns mitgeteilt.

Wir lernen seine Peergroup kennen, die Dawn Control, die aus lauter merkwürdigen Surfern besteht, die nebenbei auch noch Berufe haben wie Menschen retten oder Verbrechen aufklären und dergleichen. Natürlich sind alle gut miteinander befreundet, sorgen füreinander und sind nicht immer gesetzestreu, aber die Besten.

Und dann lernen wir natürlich noch eine Menge über die Geschichte jenes Küstenstrichs kennen, der heute als Surfparadies berühmt und ziemlich überlaufen ist. Ist eben lange her, dass man sich um dieses Stück Land am Meer sorgen musste, da es niemanden wirklich interessierte und niemand hierher wollte (was sich selbstverständlich schon seit Jahrzehnten geändert hat).

Und – wie könnte es anders sein – dann hat ja auch noch das Surfen seine Vorgeschichte, seine Geschichte, seine Helden und seine Schurken. Von den ersten Surfern ist die Rede, und von den ersten Brettern, von der Einführung neuer Materialien und neuer Techniken, die das Surfen revolutioniert haben. Wir lesen von den bedauernswerten Schicksalen von Surfern, die ertrunken, früh gestorben oder auch nur in Armut ihr Alter verlebt haben, weil sie vor allen Dingen nur eines wollten, surfen und nicht die dicke Kohle machen.

Wir lernen schließlich auch, was eigentlich eine Welle ist, und wie große, ja riesengroße, ja Monsterwellen entstehen, und wie lange man darauf warten muss.

Wir lernen also eine ganze Menge, müssen dafür eine ganze Menge lesen, und da wir das in einem Kriminalroman tun, sollte die Frage erlaubt sein, warum irgendjemand überhaupt das alles lesen soll und muss, der nur an einem Krimi und nicht an einem Volkshochschulvortrag über die Geschichte des Surfens und die Biografien von Surfern interessiert ist.

Natürlich, der Verlag – in diesem Fall Suhrkamp – hintergeht einen nicht, indem er Kriminalroman aufs Cover schreibt. Denn in der Tat steckt in den vielen hundert Seiten auch ein Kriminalfall, der es sogar in sich hat. Eine Frau ist verschwunden, die in einem Versicherungsfall aussagen soll, eine andere Frau ist hingegen an ihrer Stelle zu Tode gekommen. Boone und eine Anwältin, Petra Hall, sind ihr auf den Fersen und am Ende kommt ein wirklich ansehnlicher Fall heraus. Aber Hand aufs Herz, muss man gern surfen, um diesen Krimi zu lesen? Man muss nicht, aber dann hat man das Problem, dass einem eine Menge Seiten geboten werden, die man getrost überschlagen darf. Und dafür hat man nicht gezahlt.

Titelbild

Don Winslow: Pacific Private. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Conny Lösch.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
350 Seiten, 8,95 EUR.
ISBN-13: 9783518460962

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