Das Werk als Wille und Vorstellung

Eine Dissertation zur philosophisch-psychologischen Selbstdeutung in Thomas Manns "Doktor Faustus"

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Darstellung einer ausgewiesenen 'Lebensbeichte' eröffnet eine Studie zu Thomas Manns Deutschlandroman "Doktor Faustus" die Möglichkeit, die dem Autor wohl bewusste Grundproblematik seiner Schriftstellerexistenz von den jugendlichen Anfängen bis zu ihrer 'reifen' Form nachzuvollziehen. Dass Thomas Mann die an sich selbst erfahrene "Einheitssehnsucht" (das reaktionäre Bedürfnis, seine typisch moderne Vereinzelung zu überwinden) dabei keineswegs in ein System privater Chiffren einfriedet, sondern mit Hilfe des von Schopenhauer, Nietzsche und Wagner bereitgestellten Instrumentariums zu einer literarischen "Theorie der Sublimierung" entfaltet und sie im welthistorischen Maßstab objektiviert, gehört zu den erhellendsten Feststellungen Thomas Klugkists. Mittels einer detaillierten Analyse der Figuren und Leitmotive nähert sich sein Buch dem Gegenstand.

Unter der von Klugkist aufgezeigten Perspektive unternimmt es der "Doktor Faustus", das tragische Scheitern des 'Selbstüberwinders' Nietzsche innerhalb eines schopenhauerianisch verdunkelten Kosmos' zu inszenieren. Zum einsichtsvollen Verzicht auf die reale Wiedergewinnung der Einheit bekehrt, findet sein Autor einen Weg, seine Sehnsucht zumindest imaginär zu befriedigen: "Durch die Schopenhauersche Mystik versichert, daß die erstrebte Einheit mit dem Ganzen in Wahrheit immer schon gegeben war, durch Nietzsches Wagner-Kritik auch unterrichtet, wie sich die damit behauptete Allmacht des Einzelnen in eine schon im kreativen Prozeß erlösende Werk-Konzeption überführen ließ, begriff Thomas Mann spätestens seit Bilse und ich seine poetische Tätigkeit nach dem hohen Muster der Willens-Objektivation." Es spricht für die Glaubwürdigkeit von Klugkists Deutung, dass der Selbstversuch misslingt und Thomas Mann die Entzweiung auch in seinen Erzählwelten nicht zu überwinden vermag. Entschädigt wird Mann für sein Scheitern mit einem unverbesserlichen Individualismus, "der seine tragisch erfahrenen Antinomien bewusst nur ausstand, - nicht überwand."

Klugkists Darstellung empfiehlt sich durch ihre Gründlichkeit und die Weitmaschigkeit des Diskurses. Der Lesbarkeit allerdings wäre eine konzentriertere Bearbeitung des Themas entgegengekommen - obwohl (oder gerade weil) es sich bei diesem gestandenen Band bereits um die gekürzte Fassung der Dissertationsschrift handelt.

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Thomas Klugkist: Sehnsuchtskosmogonie. Thomas Manns "Doktor Faustus" im Umkreis seiner Schopenhauer - Nietzsche - Wagner - Rezeption.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 1999.
600 Seiten, 75,70 EUR.
ISBN-10: 3826016394

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