Die Leiden des jungen Woedman

Melancholisches Selbstmitleid und pubertäre Lebensverdrossenheit bestimmen Peter Drehmanns Roman „Immer nur begraben“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hans Woedman verlässt am 29. April 2006 sein Haus und quittiert seinen Job. Er lässt an diesem Morgen auch seine im sechsten Monat schwangere Frau Bebel sitzen. Und das alles an seinem vierzigsten Geburtstag. Er hat keine Ahnung, warum er dies tut, was er eigentlich machen will oder wohin es geht. Fest steht für ihn nur, dass er weg muss. Seinen Selbsterfahrungstrip beginnt er mit nur einer Regel: Er wird sich Richtung Osten begeben und nur in Städten, die mit dem Buchstaben B beginnen, seine Reise unterbrechen. Dort wird er nach etwas suchen, von dem er keine Vorstellung hat, was es ist.

Die Unzufriedenheit mit der eigenen Situation gibt Woedman auch in den „neuen Städten mit B“ immer wieder nur Anlass zu Fluchtbewegungen: „Irgendwo dort hinten stand die Villa Tugendhat, in vergeblicher Harmonie mit sich selbst, und irgendwo in der Stadt war die junge Frau mit den idealen Proportionen. Und hier ging er, verwirrt und verirrt, ohne zu wissen, wohin es ihn morgen verschlagen würde, und seine einzige Gewissheit war, dass er weg wollte, weg von dort, wo er war.“ Dabei ist die einzige positive Konnotation der eigenen Existenz Woedmans schriftstellerische Neigung. Der Protagonist hat bisher nur einige Prosaminiaturen hervorgebracht und leidet unter seiner Schreibblockade. Und damit wird die Reise zu einer Suche nach dem eigenen kreativen Potential. Im Roman wird dies durch sentenzartige Zusammenfassungen der jeweiligen Kapitel geleistet, wenn der Autor seine Hauptfigur die Abschnitte mit Sätzen wie „Auf der Suche nach Klarheit“ zusammenfassen lässt. Tragischerweise bleiben diese Erkenntnisse für die Entwicklung des „Helden“ aber folgenlos.

So irrt der Protagonist über fasst 400 Seiten durch halb Europa und trifft an jedem Ort auf das gleiche Problem: seine eigene Orientierungslosigkeit, Unentschlossenheit und Unzufriedenheit. Nur die Erinnerungen an seine zurückgelassene Frau werden mit dem Voranschreiten seiner Reise immer positiver und man könnte meinen, eine Rückkehr in die vorherigen Verhältnisse wäre eine ernstzunehmende Option. Sein Fazit der Reise fällt in einem Zwischenbericht allerdings sehr deprimierend aus: „Was haben dir diese Tausende von Kilometern unterm Strich gebracht? fragte Woedman in der Kapsel des Ford Courier. Deine Haare und deine Nägel sind gewachsen, das ist wahrscheinlich der einzige signifikante Unterschied zu deinem Leben als begüterter Bürger von Breda. Die Wahrheit über Woedman hast du jedenfalls nicht zu fassen gekriegt. Immer, wenn du sie angetippt hast, ja bei der sanftesten Berührung, hat sie sich aufgelöst wie Schuhe nach endlosen Pilgerfahrten. Wie deine Schuhe. Jede deiner Bewegungen in den letzten Monaten war ein Fauxpas.“ Mit dem näher rückenden Ende der Flucht kommt auch die künstlerische Perspektive des Protagonisten zum Stillstand.

Zwischen den einzelnen Kapiteln des Buches findet der Leser die von dem Protagonisten erwähnten „Prosaminiaturen“, die sich Woedman nicht zu einem Buch haben fügen wollen. In ihnen liegt die eigentliche Stärke des Bandes. Sie fokussieren das Gleichgewicht zwischen zielloser Reise und künstlerischem Potential der Hauptfigur und skizzieren damit das Problem der Schreibblockade und des sich selbst nicht genügenden Individuums, das in einer Lebenskrise steckt. Dabei sind es vor allem die ‚normalen Details‘, die die Hauptfigur dem Leser nahe bringen. Das Scheitern ist daher nur folgerichtig, nimmt es doch die gegenseitige Bedingtheit der Dualität von Ziellosigkeit und künstlerischer Möglichkeit in den Blickpunkt. Was dem Leser vielleicht anfangs als jammernde Odyssee eines Mannes in den Vierzigern erscheinen könnte, fügt sich zu einem grandiosen Panorama einer Krise, das mit einem poetischen Bild des Verschwindens des Protagonisten endet: „Stillschweigend steuerte er auf ein Happy End zu. An einem der Hundstage vollendete er in ungemein kargem Stil sein Meisterwerk: Ein Tintenfleck auf einem schmutzig weißen Betttuch war alles, was die Mitarbeiter der Stadtreinigung in dem nach Verwesung stinkenden Haus noch von dem Schriftsteller vorfanden.“

Titelbild

Peter Drehmanns: Immer nur begraben. Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2009.
366 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783630621418

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